zum Hauptinhalt
Baukasten statt Paket: Markus Rieß will den Kunden mehr Wahlmöglichkeiten geben.

© dapd

Allianz: „Wir haben die Trendwende geschafft“

Der Chef der Allianz Deutschland, Markus Rieß, über Profite und Probleme im Versicherungsgeschäft, neue Policen und seine Pläne, in Deutschland weitere Stellen abzubauen.

Früher warb die Allianz mit dem Slogan: „Hoffentlich Allianz versichert“...
Das tun wir heute wieder.

Aber immer mehr Menschen sehen das offensichtlich anders. In Deutschland haben Sie in den letzten sieben Jahren eine Million Kunden verloren. Warum?
Ja, wir haben Kunden verloren, aber bei uns sind immer noch rund 19 Millionen Menschen versichert – konservativ gerechnet. Unser Kundenmarktanteil liegt über 25 Prozent. Damit sind und bleiben wir der Marktführer in der deutschen Versicherungswirtschaft.

Das reicht Ihnen?
Nein, wir können mit der Wachstumsentwicklung nicht zufrieden sein. Das gilt vor allem für die Sachversicherung.

Also Auto-, Hausrat- und Haftpflichtversicherungen.
Wir haben ein umfangreiches Programm gestartet, um in der Sachversicherung wieder nach vorne zu kommen. Das zeigt Erfolge. Wir haben im letzten Jahr den Prämienschwund stoppen können und haben in der ersten Hälfte dieses Jahres bei den Beiträgen deutlich zugelegt. Wir haben die Trendwende geschafft.

Allerdings haben Sie auch ehrgeizige Ziele: Bis 2014 wollen Sie die Beiträge in der Sachversicherung um 500 Millionen Euro auf 9,5 Milliarden Euro steigern und die Kosten kräftig senken. Wie weit sind Sie heute?
Wir liegen voll im Plan. Ich bin zuversichtlich, dass wir unsere Ziele erreichen werden.

Obwohl Sie weiter Kunden verlieren?
Wir verlieren Kunden in der Sachversicherung, und wir gewinnen Kunden in der Lebens- und Krankenversicherung. Aber das reicht mir nicht. Ich will auch in der Sachversicherung Kunden gewinnen.

Wie soll das gehen?
Mit maßgeschneiderten Produkten und einer maßgeschneiderten Beratung. Die Versicherungen müssen heute modularer sein als früher. In der Autoversicherung haben wir das jetzt schon, bis 2016 sollen auch alle anderen Sachversicherungen auf dieses Baukastenprinzip umgestellt werden. Die Kunden wählen selbst, welche Bausteine sie wollen.

Verschleiern Sie mit den Baukastenpolicen nicht nur die Tatsache, dass die Allianz teurer ist als die Konkurrenz?

Man kann doch auch die Versicherungspakete, die die Konkurrenz anbietet, nicht vergleichen. Überall ist etwas anderes drin. Bei uns erfährt der Kunde im Gespräch mit dem Vertreter dagegen genau, was er bekommt und was das kostet. Die Verbraucher finden das gut.

Wirklich? In diesen Wochen sitzen doch wieder Millionen vor dem Computer und suchen im Internet nach dem billigsten Autoversicherer.

Ja, diese Kunden gibt es auch. Für die haben wir unsere Internetversicherung Allsecur. Die bietet einfache Versicherungspakete an, die der Kunde im Internet abschließt.

Sie haben erst spät mit dem Internetgeschäft angefangen.

Ja, aber jetzt spielen wir vorne mit. Also war es offensichtlich nicht zu spät.

Sie verkaufen Ihre Policen auch direkt in den Autohäusern. Mit Volkswagen haben Sie jetzt sogar ein Gemeinschaftsunternehmen für Autoversicherungen gegründet. Werden Joint Ventures mit anderen Herstellern wie BMW oder Mercedes folgen?

Das ist zurzeit nicht vorgesehen. Aber auch ohne Joint Venture arbeiten wir in Deutschland schon mit zwölf Autoherstellern zusammen, die unsere Produkte anbieten. Mit Volkswagen machen wir das bereits seit über 60 Jahren und haben über diese Kooperation derzeit 700 000 Autos versichert.

Pech nur, dass die Neuzulassungen zurückgehen, auch bei VW.
Ja, aber im Gegenzug will VW die Quote der Autos, die durch uns versichert werden sollen, erhöhen. Das gleicht sich aus.

Bleiben Ihnen die Kunden, die sich schon im Autohaus an Sie binden, treu?
Im Normalfall bleiben die Kunden mindestens drei Jahre bei uns, vor allem, wenn das Auto geleast ist oder auf Kredit gekauft wurde. Danach stehen wir im Wettbewerb und müssen dafür sorgen, dass die Kunden bei uns bleiben.

Sie waren einige Jahre bei McKinsey. Haben Sie dadurch mehr Distanz zu den Vertretern als andere Manager, die außer der Allianz nichts kennen?
Nein, ich habe den Vertretervertrieb drei Jahre lang geführt, und ich habe hohen Respekt vor der Leistung der Vertreter. Ich will eine Gesamtvertriebsstrategie für die Allianz Deutschland aufstellen, bei der die Vertreter im Mittelpunkt stehen, ohne andere Vertriebskanäle – Makler, Internet, Autohäuser – zu vernachlässigen.

Sie wollen die Beratung durch die Vertreter verbessern. Wie?
Wir haben bereits 2008 eine Allianz-Außendienstakademie gegründet, die unsere Vertreter schult, unsere Beratungsqualität ist Tüv-geprüft, und wir haben viel Geld in eine Beratungssoftware investiert, die die Vertreter bei der ganzheitlichen Beratung des Kunden unterstützen soll.

Ihr Konkurrent Ergo wirbt mit dem Spruch „versichern heißt verstehen“. Entdecken die Versicherer erst jetzt den Kunden?
Was unsere Konkurrenz tut, kommentieren wir nicht. Was uns angeht, so kann ich nur sagen: Man kann nicht 19 Millionen Menschen versichern, wenn man sich nicht im Kundeninteresse verhält.

Was sagen Ihre Vertreter den Kunden, die um ihre Lebensversicherung fürchten? Die Zinsen in den Euro-Ländern sind niedrig. Wann bricht bei der Allianz der Anlagenotstand aus?
Gar nicht. Wir haben viele hochverzinsliche, lang laufende Anleihen und könnten sogar das heutige Zinsniveau, bei dem Bundesanleihen mit 1,5 Prozent rentieren, dauerhaft durchhalten. Denn tatsächlich erwirtschaften wir viel mehr. Im Jahr 2011 haben wir unser neues Geld noch für vier Prozent angelegt.

Wie schaffen Sie das?
Wir mischen und streuen unsere Anlagen. Uns interessieren vor allem erneuerbare Energien und Infrastrukturmaßnahmen. Bis hin zu Parkuhren. In Chicago sind wir an dem Geschäft beteiligt.

Zurück nach Deutschland. Sie wollen und müssen die Kosten senken. Stehen nach dem großen Umbau im Jahr 2006, als Bereiche zentralisiert und über 5000 Stellen gestrichen wurden, jetzt erneut Stellenstreichungen an?
Wir haben 2006 bei der Allianz Deutschland eine große Transformation vorgenommen. Wir haben die Anzahl der Standorte reduziert, und wir haben ein zentrales Datenverarbeitungssystem geschaffen, an das alle Standorte angeschlossen sind. Alle Post geht seitdem in das Posteingangszentrum nach Berlin, wird dort eingescannt und weiterverarbeitet. In dieser Größenordnung machen wir nichts Neues.

Sondern?
Wir wollen die Leistung unseres Posteingangszentrums auch anderen Firmen anbieten. Wir haben das Zentrum mit seinen derzeit 300 Mitarbeitern ausgegliedert und geben ihm eine neue Rechtspersönlichkeit, damit auch andere Unternehmen seine Dienste in Anspruch nehmen können.

Und die Beschäftigten?
Für die, die bereits da sind, ändert sich nichts. Die Gehälter der neuen Mitarbeiter werden sich dagegen am Markt für Logistikdienstleistungen orientieren.

Das heißt, sie verdienen weniger?
An der einen oder anderen Stelle ja. Zudem wollen wir Stabsstellen abbauen. Es geht um circa 400 Arbeitsplätze, die in den nächsten drei Jahren eingespart werden sollen, die meisten hier in München. Außerdem haben wir eine Servicegesellschaft in Halle etabliert, wo wir für unsere Internetprodukte einfache, nicht versicherungstechnische Tätigkeiten auslagern.

Die Betriebsräte sind nicht begeistert.
Über die Gründung der Servicegesellschaft in Halle haben wir durchaus intensive Verhandlungen mit den Betriebsräten geführt. Bei den anderen Maßnahmen sind wir mit den Betriebratsgremien noch im Gespräch.

Konzernchef Michael Diekmann hat gesagt, er erwarte mehr von Deutschland. Im vergangenen Jahr hat sich der Jahresüberschuss der Allianz Deutschland jedoch halbiert. Sind Sie deshalb bei den Veränderungen im Konzernvorstand außen vor geblieben?
Mein Name ist in diesem Zusammenhang nie gefallen.

Rechnen Sie sich trotz der schlechten Zahlen Chancen aus, Nachfolger von Michael Diekmann zu werden?
Ich konzentriere mich auf das Deutschlandgeschäft. Mit den Zahlen für 2011 können wir nicht zufrieden sein, aber ich bin zuversichtlich, dass wir sie 2012 verbessern.

Und die Nachfolgefrage?
Stellt sich nicht.

Das Gespräch führte Heike Jahberg

Markus Rieß (46) verantwortet seit Juli 2010 das Deutschlandgeschäft der Allianz. Den Versicherungskonzern kennt Rieß gut. Nach Stationen bei der Allianz Leben und der Anlagesparte Allianz Global Investors kam der promovierte Volkswirt 2007 zur Allianz Deutschland AG. Seit gut zwei Jahren ist er dort Vorstandschef. Die Allianz hat nicht nur ihren Sitz in München, Deutschland ist für den Konzern auch nach wie vor der wichtigste Markt. Doch es gibt Probleme: Die Kosten sind zu hoch, die Erträge sinken – trotz Rationalisierungen und Stellenstreichungen im Jahr 2006. Rieß, der drei Jahre lang bei der Unternehmensberatung McKinsey war, soll nun die Wende schaffen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false