zum Hauptinhalt
Hoffnungsträger. Die Blätter der Stevia-Pflanze stecken voller Süßkraft. Sie werden getrocknet und dann zu Tinkturen oder Tabs verarbeitet. In Japan ist die pflanzliche Süße bereits weit verbreitet, in Deutschland nicht. Foto: AFP

© AFP

Alternativer Süßstoff: Das Geschäft mit dem Honigkraut

Ein Extrakt, 300 Mal süßer als Zucker, soll in der EU zugelassen werden. Einige Börsenprofis jubeln schon, aber Experten warnen.

Sie ist keine Schönheit, mit der man den heimischen Garten zieren möchte. Und wenn man man ihre Blätter, die grünbraun getrocknet auch in kleinen Beuteln verkauft werden, sieht, könnte man denken, es handele sich um ein berauschendes Rauchkraut. Dem ist nicht so. Und doch drängt Stevia rebaudiana, kurz Stevia oder Honigkraut genannt, immer stärker in das Bewusstsein von EU-Beamten, Unternehmern, Börsenhändlern und zunehmend auch von Verbrauchern. Diese Pflanze, so sagen einige Experten, könnte den regulierten EU-Markt für Süßstoffe aufmischen. Das könnte passieren – wohl aber nicht so, wie schadenfrohe Kritiker der Zuckerindustrie sich das wünschen.

Die Geschichte der in Europa noch recht unbekannten Stevia-Pflanze ist ein Lehrstück über die EU-Bürokratie, Industrie- und Verbraucherschutzpolitik. Und eine Geschichte über Medien. Durchaus namhafte Zeitungen berichteten über „Süßes Glück aus der Super-Pflanze“ und den „Angriff auf den Zucker“. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Ursprünglich stammt diese Pflanze aus dem Nordosten Paraguays, wo sie wild wächst. Schon vor Jahrhunderten soll die einheimische Bevölkerung ihre Blätter zum Süßen ihrer Getränke benutzt haben, sagt die Legende. Darin befindet sich der Stoff Steviosid. Schon die getrockneten Blätter sind rund 15 bis 30 Mal süßer als Zucker, extrahiert man diesen Stoff, wirkt er gar bis zu 300 Mal so intensiv.

Dieser Stoff, könnte – industriell aufbereitet und gut portioniert – für Menschen interessant sein, die sich zuckerfrei ernähren wollen oder müssen. In Japan zum Beispiel, wo die Regierung im Jahre 1969 sämtliche synthetisch erzeugten Süßstoffe wie etwa Cyclamat verboten hat, hat Stevia einen Anteil von 40 Prozent am Süßemarkt. Der Stoff steckt dort in fast allen Lebensmitteln von Fisch und Kaugummi über Eiscreme bis zur Diätcola. Auch in Korea, Israel und Brasilien stehen Produkte mit Stevia legal im Regal. In den USA setzt es sich langsam durch.

In Europa aber ist es kompliziert. Ein Gespräch mit der Verkäuferin in einem Reformhaus im Osten Berlins vor drei Tagen verlief so: „Guten Tag, haben Sie Stevia-Produkte, mit diesem Süßmittel?“ Die Dame greift ins Regal hinter der Ladentheke: „Da könnte ich Ihnen diesen Badezusatz anbieten. Oder die Zahnpflege-Dragees vielleicht.“

„Was muss ich denn kaufen, wenn ich meinen Tee damit süßen will?“ Da sagt sie: „Wenn Sie den Badezusatz in den Tee hineintropfen wollen, ist das Ihre Sache. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“

Recht so. Denn hierzulande ist es bei Strafe verboten, Stevia als Nahrungsmittel zu verkaufen. Das gilt spätestens seit Januar 1997. Da trat die sogenannte Novel-Food-Verordnung in Kraft. Von diesem Zeitpunkt an durften „exotische“ Lebensmittel und Ergänzungsmittel, die bis dahin nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden, nicht mehr verkauft werden. Darunter sind Substanzen, die aus Pilzen und Algen gewonnen, oder gentechnisch verändert worden sind – es sei denn, Hersteller konnten mit aufwendigsten Studien die Unbedenklichkeit nachweisen.

Auch Stevia gelangte auf die Liste. Kritiker behaupten, das sei auf Druck der subventionierten Zuckerrübenindustrie geschehen. Eine Sprecherin des Produzenten Nordzucker weist das zurück. „Wir schauen uns die Entwicklung von Stevia genau an. Es könnte Auswirkungen auf den Süßstoffmarkt haben. Bedroht fühlen wir uns davon aber nicht“, sagt Bianca Deppe-Leickel.

Abgesehen davon, dass Zucker als Energiespeicher mehr kann als nur süßen, ist auch der Preis ein Faktor. Ein großindustriell hergestelltes Kilo Zucker kostet gut einen Euro, ein 100-Milliliter-Fläschchen „Badezusatz“ aus einer badischen Hinterhofmanufaktur kostet 6,25 Euro (inklusive des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes von sieben Prozent). Ein Plastikspender mit 300 Tabletten kostet gar 9,35 Euro – rund fünf Mal so viel wie gewöhnliche Süßstofftabletten. Man muss schon Überzeugungstäter sein, um so viel Geld für den Stoff auszugeben.

Menschen, die glauben, sie würden mit dem Kauf von Tinkturen und Tabs aus dem Reformhaus lokale Kleinunternehmer unterstützen oder gar gesünder leben, könnten sich täuschen. Fast alle Stevia-Pflanzen stammen aus chinesischer Produktion. „Und die Produkte daraus, die hier illegal verkauft werden, sind von höchst unterschiedlicher Qualität. Sie unterliegen auch keinerlei Lebensmittelkontrolle, da sie eben nicht als Lebensmittel deklariert sind“, sagt Udo Kienle von der Uni Hohenheim bei Stuttgart. Er forscht seit knapp 30 Jahren an Stevia, gilt als der unabhängige Experte in Deutschland.

Kienle glaubt, dass hochwertiges Stevia sehr wohl Süßstoffe ersetzen kann. Zugleich hält er Verschwörungstheorien, wonach die Lobbys der Zucker- und Süßstoffindustrie Stevia vom EU-Markt fernhalten, für unwahrscheinlich. „Südzucker zum Beispiel hat selbst lange damit experimentiert, das Thema aber nicht weiter verfolgt“, sagt Kienle. Auch sei die Macht der Zuckerbarone begrenzt gegenüber der Macht jener Lebensmittelmultis, die Stevia im ganz großen Stil auf den EU-Markt drücken wollen. So erwirkte der Danone-Konzern in diesem Jahr eine Sondergenehmigung, um einen Stevia-Jogurt versuchsweise in Frankreich zu verkaufen.

Und da ist der US-Mischkonzern Cargill. Dem sagt man nach, dass er über die Jahrzehnte die mittelständische US-Zuckerwirtschaft plattmachte, indem er begann, den Limonadenherstellern Isoglukose zu verkaufen, Zucker, der billig aus Maisstärke gewonnen wird. Coca Cola brachte in den USA auch „Sprite Green“ heraus – gesüßt mit Stevia von Cargill,

Cargill ist zudem eines von drei Unternehmen, die bei der EU-Lebensmittelbehörde Efsa in Parma einen Antrag auf Zulassung von Stevia in der EU gestellt haben. „Wir haben viele Millionen dafür ausgegeben, um die dafür nötigen Studien beizubringen“, erklärt Cargill-Sprecherin Elizabeth Fay. Mit erstem Erfolg: Im April billigte die Efsa den Antrag und reichte ihn an die EU-Kommission weiter. Ein Sprecher des zuständigen Gesundheits- und Verbraucherschutzkommissars teilte dem Tagesspiegel jetzt mit, dass man noch Modifikationen von den Antragstellern erwarte. So müssten die Produkte so angepasst werden, dass die empfohlene Tagesration nicht überschritten wird. Wenn das geschehen sei, könnte Stevia vielleicht Ende 2011 zugelassen werden.

Ein deutsches Magazin für Geldanlagen befasste sich vor wenigen Wochen mit dem Thema und erwähnte in einem Artikel neben der Cargill-Aktie auch die des chinesischen Stevia-Produzenten Sunwin, die seit Januar 160 Prozent gewonnen habe. Die Aktie von Purecircle, einem Unternehmen aus Malaysia, das das Honigkraut verarbeitet, sei gar um 200 Prozent gestiegen. „Solche Anlagetipps sollte man nur mit äußerster Vorsicht genießen“, sagt Stevia-Forscher Udo Kienle. Er berichtet von einer US-Firma, die den Stoff bereits biotechnologisch hergestellt hat. Der sei absolut identisch, nur ohne Verunreinigungen. „Wenn die an den Markt gehen, dann ist es mit dem Kraut ganz schnell vorbei.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false