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Chefs von außen.

© picture alliance / dpa

Wirtschaft: Am Anfang war die Familie

Erst die Firma, dann die Verwandtschaft: Immer mehr Familienkonzerne entscheiden sich für externe Manager – und brechen mit der Tradition. Besonders junge Führungskräfte profitieren davon

Als Andreas Engelhardt beim Kurzwarenhersteller Prym 2005 die Geschäftsführung übernahm, brannte es an allen Ecken. Die EU-Kommission warf Deutschlands ältestem Familienunternehmen mehrere Kartellvergehen vor und verdonnerte es zu Strafzahlungen in zweistelliger Millionenhöhe. Die Strafforderungen lasteten wie Blei auf dem Mittelständler, das maue Geschäft während der Wirtschaftskrise tat ihr übriges, um Prym das Leben schwer zu machen.

Noch gerade rechtzeitig schritt der Aufsichtsrat ein und wagte einen für Familienfirmen oft noch immer heiklen Schritt: Mit Andreas Engelhardt übernahm erstmals in fast 500 Jahren Firmengeschichte eine externe Führungskraft die Leitung im rheinischen Stolberg. Die Entscheidung schien unumgänglich, sagt Engelhardt rückblickend, „es war an der Zeit, die Strukturen zu überprüfen und Verkrustungen aufzubrechen“. Der 50-Jährige macht keinen Hehl daraus, dass bei seinem Antritt einiges im Argen lag, es den bisherigen Geschäftsführern aus dem Familienkreis zum Großreinemachen am nötigen Abstand fehlte: „Man wollte den Blick von außen schärfen.“

Wie bei Prym brechen mittlerweile immer mehr familiengeführte Unternehmen mit der über Jahrzehnte gepflegten Abschottung nach außen. Der Keramikhersteller Villeroy & Boch hat den Vorstandsposten ebenso extern besetzt wie der Motorsägenhersteller Stihl, der Maschinenbauer Voith, der Modekonzern Wöhrl oder die Medizintechniker von B. Braun.

Was früher höchstens eine Notlösung war, ist zum Trend geworden, sagt Brun-Hagen Hennerkes, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen. Das hänge auch mit einem Kulturwandel in der Unternehmensführung zusammen: An die Stelle von Einzelgeschäftsführern würden immer stärker Führungsteams treten, sagt Hennerkes. Das klischeehafte Bild des mittelständischen Gründers und Patriarchen ist damit passé. Angestellte Manager ohne Beteiligung am Unternehmen machen heute einen Großteil aller Führungskräfte im Mittelstand aus. Auch in Familienunternehmen liegt die Zahl der nicht beteiligten Chefs nur wenig unter dem Durchschnitt.

Aktuelle Studien bestätigen den Trend: Nach Angaben des Wittener Instituts für Familienunternehmen sitzt in der Chefetage jedes zweiten Unternehmens mittlerweile ein Fremdgeschäftsführer, jeder dritte Betrieb teilt die Geschäftsführung zwischen Familienmitgliedern und externen Managern auf. Eine Studie der Universität Siegen legt derweil nahe, dass sich die Entwicklung in den kommenden Jahren noch verstärken könnte: Immerhin fast 30 Prozent der Befragten können sich eine externe Lösung vorstellen. Weitere 25 Prozent stehen einer Hybridlösung, also einem doppelten Führungsgespann aus interner und externer Übergabe, positiv gegenüber.

Für Prym hat sich der Führungswechsel ausgezahlt. Engelhardt trieb den Umsatz in die Höhe und regelte den Streit mit den EU-Kartellbehörden: Anfang März einigte sich der Konzern mit den Monopolwächtern auf eine Strafzahlung in Höhe von 15 Millionen Euro. Immer noch nicht wenig angesichts der ursprünglich angesetzten Strafe von 70 Millionen Euro, aber verkraftbar. Die 41 Familiengesellschafter hat die Arbeit des Adoptiv-Managers überzeugt: Mittlerweile ist die gesamte Geschäftsführung beim Traditionsunternehmen mit externen Managern besetzt.

Einzelgänger wie Theo Müller, der bei seinem Molkereikonzern reihenweise Fremdmanager verschlissen hat und nicht loslassen konnte, stellen mittlerweile eher die Ausnahme dar. Dennoch kann es einige Zeit dauern, bis das Vertrauensverhältnis zwischen Eigentümer und externem Manager entwickelt hat.

Die Erfahrung musste auch Engelhardt bei Prym machen: „Vertrauen bekommt man nicht vom ersten Tag an.“ Den Vormittag seines Amtsantritts verbrachte er damit, sämtliche Gesellschafter kennen zu lernen, am Nachmittag lud er dann die Betriebsräte ein. „Ich musste viel Überzeugungsarbeit leisten. Mit Management by Dampfwalze kommt man nicht weit“, sagt er. Sei das erst einmal geschafft, fielen auch scharfe Einschnitte, wie sie bei Prym während der Krise notwendig waren, einfacher als in anonymen Großkonzernen: „In familiengeführten Unternehmen herrscht eine höhere Loyalität.“

Für den Familienexperten Arist von Schlippe, Professor an der Uni Witten-Herdecke, zeichnet sich ein Wandel auch in der Unternehmenskultur ab: Gerade wenn Familienunternehmen verstärkt wachsen oder sich international aufstellen wollten, stießen sie mit den althergebrachten Prinzipien häufig an ihre Grenzen. „Ein neuer Chef bringe dafür den entscheidenden Schwung mit“, sagt von Schlippe. Die Besetzung mit einem Externen wirke auf viele Unternehmen daher wie ein „Erwachen“. Der Stuttgarter Professor Hennerkes warnt allerdings davor, den Bogen zu überspannen: Das Bauchgefühl dürfe nicht völlig verloren gehen, sagt er: „Intuition spielt in Familienunternehmen nach wie vor eine große Rolle.“

Aber nicht nur für die Unternehmen zahlt sich die Fremdexpertise aus – auch für Nachwuchsmanager werden die familiengeführten Unternehmen zusehends attraktiver, die mit flachen Hierarchien und schnellen Entscheidungsprozessen locken.

„Wer bei uns anfängt, übernimmt schnell Verantwortung“, sagt Prym-Chef Engelhardt. Das sei allein schon durch die im Vergleich zu den Dax-Konzernen dünne Personaldecke bedingt. Kurze Wege, transparente Leistung: „Wer in einem Familienunternehmen Karriere machen möchte, der weiß, dass er viele Gestaltungsmöglichkeiten hat. Und dass der Sprung an die Spitze recht schnell gehen kann“, sagt auch Arnold Weissman, Gründer und Geschäftsführer der Strategieberatung Weissman & Cie.

Ein weiterer Pluspunkt: Die enge und langfristige Bindung. Eine Studie der Stiftung Familienunternehmen kommt zu dem Schluss, dass Geschäftsführer und Vorstände von Familienunternehmen signifikant länger im Amt bleiben, als die entsprechende Führungsriege bei Konzernen in Streubesitz.

Was sich beim Kurzwarenhersteller Prym bewährt hat, muss das Medizintechnik-Unternehmen B. Braun noch in der Zukunft beweisen: Seit April führt hier erstmals ein Externer den Konzern. Einem völlig Firmenfremden wollte der bisherige Chef Ludwig Georg Braun sein Unternehmen aber nicht anvertrauen: Heinz-Walter Große zählt mit 33 Jahren Betriebszugehörigkeit zu den Urgesteinen in Melsungen und war zuletzt im Vorstand für die Finanzen zuständig.

So ganz loslassen kann freilich auch Ludwig Georg Braun selbst nicht. An seinem letzten Arbeitstag ließ er sich daher die Option zur Rückkehr offen: „Ich kann ja immer noch vorbeikommen und 'Guten Tag' sagen.“ (HB)

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