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Wirtschaft: Am Krankenbett

Die Rürup-Kommission arbeitet an einer gerechten Reform und legt sich mit Ärzten, Apotheken, Krankenhäusern und Kassen an

Die meisten Deutschen dürften im Januar 2003 ein Déjà-vu-Erlebnis haben. Die Spritpreise steigen – wie schon ein Jahr zuvor. Gemüse wird teurer – das gab es ebenfalls schon im Januar 2002. Auch die Krankenkassen verlangen mehr Geld: Der durchschnittliche Beitragssatz dürfte auf 14,4 Prozent zulegen – Anfang dieses Jahres war er bereits auf 14,0 Prozent gestiegen. Gutverdiener müssen dann 12,15 Euro im Monat mehr bezahlen, das sind fast 158 Euro im Jahr. Billige Alternativen unter den Kassen werden rar: Momentan verspricht als einzige die Taunus BKK noch den Discount-Tarif von 11,9 Prozent.

Höchste Zeit also für eine Reform. Das findet sogar Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD), die am Freitag die Reformkommission unter Leitung des Wirtschaftsweisen Bert Rürup ins Leben rief. Die Experten sollen das System zukunftsfest machen, damit es nicht an Alterung, medizinischem Fortschritt oder Massenarbeitslosigkeit zu Grunde geht. „Die Erwartungshaltung ist groß“, gab die Ministerin den 26 Politikern und Professoren mit auf den Weg. Denn zugleich soll es auch noch gerecht zugehen, so dass sozial Schwache nach der Reform nicht über Gebühr belastet werden.

Dieses Vorhaben scheint ähnlich einfach wie die Quadratur des Kreises. Zwar haben Fachleute ausgerechnet, wie dramatisch die Lage ist: Geschieht nichts, klettern die Beiträge bis 2050 schlimmstenfalls auf mehr als 26 Prozent. Doch schon kleinste Veränderungen des verkrusteten Apparates bringen die starken Interessengruppen auf die Barrikaden. So laufen die Apotheker Sturm gegen den Plan, den Arzneimittel-Handel über das Internet auch in Deutschland zuzulassen. Die Ärzte drohen gar mit Bummelstreik, sollten ihre Honorare eingefroren werden.

Sozialversicherung im Teufelskreis

Mit solchen Reformen, die mehr Effizienz in die kartellähnliche Krankenversicherung bringen, ließe sich zwar jeder zehnte Euro sparen. Trotzdem würde damit nur der Anstieg der Ausgaben gebremst. Die Einnahmen indes blieben unangetastet – dabei sind hier die Probleme ebenso drängend. Weil allein abhängig Beschäftigte Beiträge zahlen, schmälert jede Krise auf dem Arbeitsmarkt den Etat der Kassen. Erhöhen sie aus Geldnot jedoch die Beitragssätze weiter, verschwinden noch mehr Jobs – ein Teufelskreis.

Daraus ausbrechen kann die Politik nur, wenn sie an den Grundfesten des Sozialstaates rüttelt. Alle Vorschläge, die das Einnahmenproblem lösen könnten, sind kleine Revolutionen: Dehnt die Regierung die Beitragspflicht auch auf Zins- und Mieteinkünfte aus, werden die Finanzämter überlastet. Zwingt man die Beamten als zusätzliche Zahler in die Krankenkassen, werden die Privatversicherungen, die gut von ihnen leben, mit Verfassungsklage drohen. Und schafft man die solidarischen Krankenkassen gleich komplett ab und steigt auf ein kapitalgedecktes System um, werden die Gewerkschaften aufschreien. Bert Rürup kann es also nicht jedem recht machen. Das weiß er auch: „Ich werde Kompromisse suchen – aber nicht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.“

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