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Jens Spahn will Beatmungspatienten nun doch nicht aus der heimischen Umgebung reißen.

© dpa

Ambulante Pflege: Jens Spahn lenkt beim Streit um Intensivpflege ein

Häusliche Pflege sollte bei Beatmungspatienten die Ausnahme sein, das war der Plan des Gesundheitsministers. Nach heftigen Protesten denkt Spahn jetzt um.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) mag politische Scharmützel, etwa mit den Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Diese Auseinandersetzung hatte er aber nicht gesucht: Gegen Beatmungspatienten, die sich in ihren eigenen vier Wänden in Intensivpflege befinden. Häusliche Betreuung sollte für volljährige Patienten die Ausnahme werden, so der Plan, den das Ministerium im August in einem Referentenentwurf darlegte.

Es folgte ein selbst für Spahns Verhältnisse heftiger Protest von allen Seiten, vor allem von Betroffenenverbänden und Patienten – sie fürchteten, der Minister wolle sie aus ihrer heimischen Umgebung in fremde stationäre Hände zwingen. Jetzt lenkt Spahn ein. Gerade schickte das Ministerium eine überarbeitete Fassung des Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) in die Ressortabstimmung, die Erläuterungen dazu liegen dem Tagesspiegel vor.

Aus ihnen geht hervor, dass der Vorrang stationärer Betreuung ersatzlos gestrichen werden soll. Und alle, die derzeit zuhause oder in Wohngemeinschaften intensivpflegerisch betreut werden, bekämen Bestandsschutz – ihnen droht also keine Verlegung in eine stationäre Pflegeeinrichtung, auch nicht perspektivisch. „Wichtig ist“, kommentierte Jens Spahn den Entwurf, dass „Intensivpflege-Patienten, die am sozialen Leben teilhaben, auch künftig zu Hause betreut werden“ könnten. Im Spätsommer kommenden Jahres könnte das Gesetz in Kraft treten.

Anreiz für kriminelle Pflegedienste

Spahn zielt mit dem Gesetz auf eine allseits anerkannte Misere bei der Intensivpflege. Nach Schätzung ärztlicher Fachgesellschaften könnten zwei Drittel der Beatmungspatienten von der Beatmung entwöhnt werden, der Wegfall von Einnahmen ist für viele Akteure in dem Feld aber ein Anreiz, dies zu unterlassen. Zudem werden durch hohe Vergütungen im ambulanten Bereich kriminelle Pflegedienste animiert, Patienten ohne Notwendigkeit zu beatmen: 23.600 Euro zahlt die GKV für eine häusliche Intensivpflege pro Monat.

Stationär ist die Beatmung zwar günstiger, allerdings müssen Patienten oder die Angehörigen Eigenanteile zwischen 2000 und 3000 Euro zahlen. Viele entscheiden sich aus diesen Gründen für eine häusliche Pflege, obwohl in vielen Fällen eine stationäre die bessere wäre. Hier wollte Spahn mit dem ersten Entwurf seines Gesetzes ansetzen: Stationäre Pflegeeinrichtungen sollten mehr Geld für die Beatmungsentwöhnung bekommen – und sanktioniert werden, wenn sie dies unterlassen. Zudem sollen ambulante Dienste schärfer überwacht werden. Dabei wird es auch mit dem überarbeiteten Entwurf bleiben. Allerdings entfällt die Vorgabe, dass jeder Intensivpflegepatient über 18 Jahre in der Regel stationär beatmet und betreut werden muss.

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ALS-Patienten können zuhause bleiben

Das Ziel, mehr Patienten ins Krankenhaus zu bekommen, bleibt aber, sagte Spahn. „Wir machen die Versorgung von Intensiv-Patienten in speziellen stationären Einrichtungen für Betroffene und deren Angehörige bezahlbar“, indem die Krankenkassen die Kosten komplett übernehmen. „Die besonders aufwändige Intensivpflege in der eigenen Häuslichkeit bleibt weiterhin möglich.“ Entschieden werde darüber aber im Einzelfall. Grundsätzlich soll dabei eine sogenannte Angemessenheitsregel gelten.

Patienten, die „trotz Beatmung in der Lage sind, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten“, also zum Beispiel solche mit ALS, sollen weiter die Möglichkeit haben, „wie andere Menschen am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben“. Dieser Satz allerdings birgt Potenzial für weitere Auseinandersetzungen. Denn Patienten im Wachkoma dürften nicht in diese Kategorie fallen, für sie also die häusliche Pflege nicht in Frage kommen – außer natürlich, sie werden vor Inkrafttreten des Gesetzes schon beatmet und genießen damit Bestandsschutz.

Bärbel Bas, für Gesundheit zuständige Fraktionsvizin der SPD im Bundestag, begrüßt die Änderungen auf Anfrage des Tagesspiegels grundsätzlich. Allerding müssten auch Wachkomapatienten von der Änderungen profitierten. „Entscheidend ist jetzt die konkrete Formulierung im Gesetz“, so die Koalitionspartnerin. „Wir werden vor allem die Kriterien prüfen, nach denen entschieden wird.“ Franz Knieps, Vorstand des Verbands der Betriebskrankenkassen, befürwortet den Bestandsschutz und die „Angemessenheitsregel“ ebenfalls – fragt sich aber genauso, wie es sich dann bei den Wachkomapatienten verhält. Neuer Streit scheint also auch beim überarbeiteten Gesetz vorprogrammiert. 

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