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Wirtschaft: An der Börse wird nun auch mit Angst gehandelt Die Finanzmärkte bleiben nervös – nicht nur wegen des Terrors

Von Rolf Obertreis Der Schock und die Fassungslosigkeit standen den Börsianern am 11. September 2001 ins Gesicht geschrieben.

Von Rolf Obertreis

Der Schock und die Fassungslosigkeit standen den Börsianern am 11. September 2001 ins Gesicht geschrieben. Es war 14 Uhr 46 auf dem Frankfurter Parkett, als die Nachricht vom ersten Aufprall eines Jets in einen der Türme des World Trade Centers in New York über die Bildschirme lief. Als das zweite Flugzeug einschlug, der Nordturm einstürzte und die Attacke auf das Pentagon gemeldet wurden, wollten viele Kursmakler nicht mehr handeln. Sie appellierten an den Börsenvorstand, die Systeme anzuhalten.

Doch in Frankfurt wurde nur der Handel mit US-Papieren ausgesetzt, weil die Börse an der Wall Street erst gar nicht öffnete. „Solche Forderungen sind emotional nachvollziehbar“, sagt Uwe Velten von der Deutsche Börse AG. „Aber die Börsen müssen auch an solchen Tagen geöffnet sein.“ Der Markt müsse funktionsfähig bleiben, damit Anleger reagieren könnten. Doch für viele Anleger sah das Kursbild am 11. September düster aus: Binnen Sekunden stürzten die Aktien um zehn Prozent ab, Airline-Aktien sogar um bis zu 20 Prozent. Die verheerenden Anschläge brachten die deutschen und die internationalen Börsen schwer ins Trudeln.

Und die New Yorker Börse blieb sechs Tage geschlossen. Es war die längste Pause seit einer mehr als einwöchigen Aussetzung des Handels während der Weltwirtschaftskrise im März 1933 und einer mehrmonatigen Aussetzung des Handels 1914 zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Kein Ereignis, so das Ergebnis einer aktuellen Studie, vermochte die Wall Street in den vergangenen 100 Jahren tiefer in die Krise zu stürzen als die Terrorangriffe von New York und Washington.

„Das Datum ist in den Köpfen“

Börsenpsychologe Joachim Goldberg hatte am 11. September gerade einen Termin im Frankfurter Börsensaal hinter sich und stand mit aschfahlem Gesicht zwischen den Händlerschranken. „Das Datum ist in den Köpfen“, sagt er ein Jahr danach. An der Börse wird seit den Anschlägen auch mit Angst gehandelt. Ein Jahr nach „9/11“ beschleicht die Börsianer, wie Kursmakler Lothar Jaeger sagt, ein mulmiges Gefühl, wenn sie zurückdenken. Die Bilder von den brennenden Türmen werden sie nicht vergessen.

Gut im Gedächtnis haben sie auch die Handelswoche nach der Wiedereröffnung der Wall Street am 17. Septemer 2001: Am ersten Handelstag raste der Dow-Jones-Index um 700 Punkte in die Tiefe und zog die Handelsplätze rund um den Globus mit. Doch der Kursrutsch war erst der Anfang. Die New Yorker Börse verlor in fünf Tagen 1299 Punkte, der Dax stürzte um knapp 900 auf 3787 Zähler. Insgesamt 1,38 Billionen Dollar an Marktkapitalisierung gingen gingen allein in New York bis zum 21. September verloren. Öl- und Gold-Preis schnellten in die Höhe, ebenso wie der Euro im Vergleich zum Dollar. Die Europäische Zentralbank (EZB) und die US-Notenbank Fed mussten für Liquidität sorgen und senkten die Zinsen.

„Es kam zu heftigen Marktreaktionen. Aber die Systeme haben sich bewährt“, konstatierte Bundesbank-Präsident Ernst Welteke. Für die Finanzmärkte war es die einzig gute Erfahrung während der Katastrophe. „Ob ein solches Ereignis in den Jahrzehnten davor so hätte bewältigt werden können, ist fraglich“, sagt Franz Josef Leven vom Deutschen Aktieninstitut (DAI). Aber auf Talfahrt waren die Börsen schon vor dem 11. September gewesen. „Die Blase war schon am Platzen“, sagt Joachim Goldberg. Der Anschlag hatte den Druck nur verstärkt. Auch deshalb ist der 11. September für die Börse Geschichte. Und die interessiert die Makler und Händler gemeinhin weniger, denn sie handeln mit der Zukunft. „Es war und ist als singuläre Tatsache schrecklich und war an diesem Tag eine enorme Belastung“, sagt Franz Josef Leven. Mehr aber nicht. „Das war keine wirkliche Zäsur für die Börse und die Finanzmärkte“, glaubt auch Kursmakler Jaeger.

In einer Trotzreaktion, wie Börsenpsychologe Goldberg sagt, erholten sich die Märkte nach dem 21. September. Erst Worldcom, Enron und die Bilanzmanipulationen sowie die Konjunkturflaute machten auch dieses Comeback zunichte. Bis zum 23. Juli 2002 waren die Gewinne wieder verpufft. Die Indizes fielen sogar unter das Niveau vom 21. September 2001. „Das hat gezeigt: Auch ohne den 11. September können die Kurse noch tiefer fallen“, sagt Mechthild Keitel von der Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre.

Der erste Jahrestag der Anschläge wird die Märkte an diesem Mittwoch dennoch in ganz besonderer Weise beschäftigen. Die Börsen in Europa werden der schrecklichen Ereignisse gedenken. Mit zwei Minuten des Schweigens um 14 Uhr 46. Die Systeme und der Handel laufen weiter.

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