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Wirtschaft: An langer Leine

Drachen steigen lassen ist nicht nur ein Kinderspiel: High-Tech-Objekte begeistern vor allem Erwachsene

Rot, grün und gelb bedecken Drachen den blauen Herbsthimmel. Kinder stapfen gelangweilt über die Wiese – denn meistens sind es ihre Väter, die die Leinen stramm halten und die Flugobjekte durch die Luft dirigieren. „Die Kleinen sind nur die Entschuldigung für das Drachensteigen“, sagt Michael Steltzer, Geschäftsführer des Drachenladens „Vom Winde verweht“ in Berlin-Schöneberg. Vor allem Männer sind seine Kunden. „Drachensteigen kommt nie aus der Mode“, davon ist Steltzer überzeugt. „Es ist wie eine Sucht, die sich von Generation auf Generation überträgt.“ Dennoch sind die Drachen ein Nischenprodukt. In Berlin gibt es neben „Vom Winde verweht“ nur noch einen weiteren professionellen Drachenladen: „Luftikus“.

Nicht nur zur Herbstzeit

„Der Verkauf von Drachen ist ein saisonbedingtes Geschäft und daher sehr schwierig“, sagt Michael De Souza von Luftikus. „Eigentlich ist das ganze Jahr über genug Wind, doch jeder denkt, dass nur der Herbst Drachenzeit ist“. Denn das ist Tradition: Zu dieser Jahreszeit sind die Felder abgeerntet und damit gibt es ausreichend Platz für das Spiel mit den Flugobjekten. „Außerdem denken noch immer alle, nur der Herbstwind reicht, um den Drachen in die Luft zu heben“, klagt De Souza. Doch das stimmt nicht: In Berlin beispielsweise ist es im Frühjahr viel stürmischer. Zudem braucht nicht jeder Drache hohe Windstärken, ganz im Gegenteil. Bei leichten Drachen reicht die kleinste Eigenbewegung, um ihn hochzuheben. Indoor-Drachen beispielsweise sind mit wenigen hundert Gramm so leicht, dass Wind sie zerreißen würde. Diese Drachen sind nur geeignet für Hallen oder das Wohnzimmer.

Langfristig ist die Nachfrage nach Drachen konstant, darin sind sich Händler und Hersteller einig. Nur in den 80er Jahren gab es mal einen auffallenden Drachenboom. Zu dieser Zeit verdrängten Lenkdrachen die traditionellen Standdrachen, die an nur einer Leine in der Luft tanzen. Lenkdrachen dagegen hängen an zwei oder mehr Leinen und können so durch Ziehen an den entsprechenden Leinen gesteuert werden. Auch sind diese Flugobjekte nicht mehr aus Plastik, sondern aus leichten aber stabilen Materialien gebaut – meist Polyester für das Tuch und Kohlefaser für die Stäbe. Das Ergebnis: Aus dem einfachen Spiel wurde ein High-Tech- Trend.

Die klassischen Plastikadler werden immer noch in Drachenläden, Spielwarenläden und Kaufhäusern angeboten. Sie kosten kaum mehr als fünf Euro. Rund drei Viertel der verkauften Drachen allerdings sind Lenkdrachen. Der Profi unterscheidet bei den Lenkdrachen viele verschiedene Formen: beispielsweise Flachdrachen und Zellendrachen. Bei Zellendrachen umgeben vertikale und horizontale Flächen Hohlräume. Diese Drachen sind relativ schwer, dafür aber bei starken Winden stabiler als die zweidimensionalen Flachdrachen. Eine ausgefeilte Variante sind Zellendrachen mit rotierenden Gliedern, die sich wie die Blätter eines Hubschraubers im Wind drehen.

Der Klassiker unter den Lenkdrachen ist dreieckig und wird an zwei Leinen gehalten. Easy von der Firma Level One ist deutschlandweit eines der best verkauften Modelle. Mit seinen rund 85 Euro stimme das Preis-Leistungs-Verhältnis, zudem sei er perfekt für Einsteiger, sagt der Experte Steltzer. „Er tut, was man will.“ Und auch bei fortgeschrittenen Drachenpiloten ist der Easy beliebt, „denn er ist für Trickflug gut geeignet“. Zieht man die Leinen gekonnt, fliegt er rechts, links oder seitwärts. Sogar auf den Rücken kann er sich legen und auf dem Wind gleiten. „Easy ist seit Jahren das Modell des Jahres.“

„Der neueste Trend unter den Lenkdrachen sind Parafoils, auch Mattendrachen genannt“, sagt Klaus Wanders vom Hersteller Elliot. Sie haben keine stützenden Stäbe mehr und bestehen nur noch aus zwei übereinander liegenden Bahnen aus leichtem Segeltuch. Die Tragflächen messen von einem bis hin zu 20 Quadratmetern. Die Kosten liegen je nach Größe zwischen 25 und 1500 Euro. Die ganz großen Drachen können allerdings nur bei schwachem Wind steigen, da sonst die Gefahr besteht, dass man abhebt. In den vergangenen Jahren hat dies mehrfach zu Unfällen geführt.

In Deutschland werden kaum noch Drachen hergestellt. Ausnahmen bilden lediglich Spezialanfertigungen für Profis, die damit beispielsweise Formationsflüge vorführen. „Drachen sind Handarbeit. Einen Drachen hier bauen zu lassen, ist viel zu teuer“, sagt Olaf Frank vom Drachenhersteller Level One. Lange war Polen das klassische Land für Drachenbauer. In den vergangenen Jahren haben sich jedoch viele Hersteller neu orientiert und lassen in Asien produzieren.

Ist Drachensteigen in der Epoche der High-Tech-Produkte überhaupt noch ein Spiel für den Laien? „Auf jeden Fall“, verteidigt Steltzer seine Leidenschaft. „Es ist eigentlich genauso wie Fahrradfahren: Die ersten 15 Minuten stürzt man ab und dann verlernt man es nie wieder.“

Wer sich einen Überblick über die Welt der Drachen verschaffen will, kann die schnurgeführten Flieger auf Drachenfesten in Aktion bewundern. Diesen Sonntag beispielsweise lädt das Internationale Drachenfest in den Volkspark Potsdam.

Nora Luttmer

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