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Wirtschaft: Analysten: Die meisten Unternehmen werden nicht überleben - Geschäftskonzept und finanzielle Kraft entscheidend

Mitten im Frühling scheinen die Blütenträume von der wunderbaren Geldvermehrung mit Internet-Aktien ausgeträumt: Willkommen in der Realität. Der erst vor einem halben Jahr gegründete Londoner Online-Modehändler Boo.

Mitten im Frühling scheinen die Blütenträume von der wunderbaren Geldvermehrung mit Internet-Aktien ausgeträumt: Willkommen in der Realität. Der erst vor einem halben Jahr gegründete Londoner Online-Modehändler Boo.com wollte zum "größten globalen Online-Shop für Fashion und Sportswear" werden, stattdessen hat er gut 130 Millionen Dollar "vernichtet" und mit seinem Zusammenbruch nun die Anleger aufgeschreckt. Die Spekulationen über die Dauerhaftigkeit mancher Geschäftskonzepte und die Langlebigkeit einiger Dot.com-Unternehmen sind in vollem Gange. An der Börse wird die wachsende Skepsis gegenüber dem Internet-Boom an den fallenden Kursen für Aktien vieler solcher Unternehmen sichtbar. Die bange Frage ist letztlich nicht mehr, ob weiteren Internet-Firmen die Luft - sprich: das Geld - ausgeht, sondern wer die nächsten und wie viele es überhaupt sein werden.

Die internationale Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers warnt in einer aktuellen Studie über 28 britische Internetfirmen, dass jede vierte dieser Gesellschaften in sechs Monaten zahlungsunfähig sein könnte. Ähnlich schwarz sieht es auch über die Ländergrenzen hinweg aus. Auf längere Sicht dürfte nur ein Bruchteil der heute bestehenden Internet-Unternehmen auf der Bildfläche bleiben, die große Mehrheit dagegen verschwinden. Wer ist nach Meinung von Aktienanalysten am meisten gefährdet?

"Man kann davon ausgehen, dass alle Unternehmen, die nicht in naher Zukunft Gewinne erzielen, Probleme bekommen", meint Bernard Tubeileh, Aktienanalyst bei Merrill Lynch Global Equities in Frankfurt (Main). "Und dabei meine ich nicht nur den Aktienkurs, sondern auch das Geschäft der Unternehmen selbst." Die Cash-Position vieler kleiner Firmen reiche nur für sechs Monate, und sie können sich in einer schlechten Börsensituation kaum weiteres Geld am Markt beschaffen. "75 Prozent aller Internet-Unternehmen werden es nicht schaffen, das gilt für Europa, für die USA, weltweit. Ein Teil wird in Konkurs gehen, ein Teil wird fusionieren beziehungsweise übernommen." Generell seien alle Online-Einzelhändler gefährdet, da das Geschäftskonzept leicht kopiert werden könne. Das führe zu Verdrängungswettbewerb. Selbst wenn das Konzept gut sei, reiche das nicht aus. Wenn ein Unternehmen einfach zu klein sei, um seine Geschäftsidee am Markt - auch finanziell - durchzusetzen, könne es nicht überleben.

Michelle Lang von der Privatbank Sal. Oppenheim warnt vor Aktien von Unternehmen, die einen hohen "cash burn" haben, also viel Geld ausgeben ("verbrennen"), ohne hohe Umsätze zu erzielen. Als Beispiel nennt sie FortuneCity, bei der im ersten Quartal hohen Marketingaufwendungen Erlöse gegenüberstanden, die niedriger waren als erwartet.

Friedrich Schellmoser von der HypoVereinsbank ist besonders skeptisch: "Die aktuelle Kurstalfahrt ist sicher noch nicht zu Ende", prognostiziert er. Die Lektion sei nach der Euphorie "bitter notwendig". 90 Prozent der Internet- und E-Commerce-Werte würden vom Markt verschwinden, der Rest im Aktienkurs auf einen Bruchteil gedrückt.

Man sollte aber jetzt nicht die gesamte Branche in Grund und Boden reden. Es wird eine Marktbereinigung stattfinden. Gute Ideen und Strategien, die langfristig tragen, verbunden mit einem qualifizierten Management, werden sich auch in Zukunft behaupten. Wer hat in der Welt von Internet und E-Commerce noch die besten Chancen?

Es sollten mehrere Vorteile zusammenkommen. "Das Geschäftskonzept sollte einzigartig sein, das Unternehmen einen großen Partner oder zumindest einen großen Kunden haben, und es sollte in absehbarer Zeit Gewinn erwirtschaftet werden", sagt Merrill-Lynch-Analyst Tubeileh. Brokat und Intershop seien gute Beispiele. "Die gehören zu den Firmen, die auf jeden Fall überleben werden." Offenbar sehen das viele Anleger auch so, denn die beiden Aktien haben seit Beginn der Kurstalfahrt am Neuen Markt weniger stark verloren als der Durchschnitt.

Michelle Lang achtet darauf, ob Unternehmen ihre Marketingausgaben wirklich in deutlich höhere Erlöse umsetzen können, und ob sie am Markt einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben. Für sie sind United Internet, die mit 17 Beteiligungen in der gesamten Internet-Palette breit aufgestellt sei, sowie Fluxx.com und Tomorrow Internet attraktive Aktien. Auch Intershop und Web.de hätten gute Kurschancen. Bei Tomorrow und Web.de verweist sie auf die Zahlen fürs erste Quartal 2000, die anders als bei FortuneCity besser als erwartet ausgefallen seien. Generell sei die Auswahl der "richtigen" Unternehmen aber sehr schwierig. Mit Käufen dürften es Anleger im Moment ohnehin nicht eilig haben: Allgemein scheint bei Technologie-Aktien der Boden noch nicht gefunden.

Bernd Frank

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