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Andere Zeiten, andere Berufe (2): Der Lichtputzer

Vor dem Scheinwerfer war die Kerze. Und die brauchte permanente Pflege. Sonst erstickten die Theaterbesucher im Ruß. Wer seinen Job als Beleuchtungsfachmann verstand, der hatte sogar Chancen, auf der Bühne zu landen.

Bei den antiken Griechen erübrigte sich die Frage, wie die Bühne zu beleuchten sei. Schließlich fand das Schauspiel im Freien statt, bei helllichtem Tag. Erst als das Theater in dafür geschaffene Gebäude zog, dämmerte es den Machern, dass ein Dach über dem Kopf zwar vor den unsteten Wetterverhältnissen schützt, aber ganz andere Fragen aufwirft: die der Beleuchtung zum Beispiel. Noch bis hinein ins Zeitalter von Richard Wagner, der als erster konsequent dazu überging, den Zuschauerraum zu verdunkeln, um die Dramatik des Geschehens auf der Bühne zu erhöhen, diente das Licht im Theater an erster Stelle dazu, überhaupt Sicht auf das Mienenspiel der Schauspieler zu ermöglichen.

Glaubt man den überlieferten Berichten von Zeitzeugen, so war es allerdings genauso wichtig, auch den Zuschauerraum angemessen zu beleuchten. Als 1778 im Pariser Theater das Licht des im Zuschauerraum angebrachten Kronleuchters mit Hilfe einer eigens dafür entwickelten Reflektorlampe auf die Bühne geworfen wurde, beschwerten sich die Pariser Damen über den „unschicklichen Schatten“, in den sie sich gestellt fühlten, da „nun das Licht stärker auf die Bühne gerichtet war“. Sehen und gesehen werden: Ohne Licht war das nicht möglich. Bühne und Zuschauerraum wurden also gebührend beleuchtet, nur die Logen sparte man aus – was in England zu einigen Tumulten und unflätigen Zurufen und in Neapel zu Techtelmechteln in ebendiesen führte.

Der erwähnte Kronleuchter, der in der Mitte des Raums an der Decke angebracht war und zu Beginn des Stückes nach oben gezogen werden konnte, zählte zur Standardeinrichtung des Zuschauerraums. Goethe riet sinnigerweise, diesen an einer metallenen Kette aufzuhängen und nicht an einem leinenen Strick, der zu schnell durch die Hitze der Beleuchtung Feuer fangen könne. 1807 muss ein solcher Kronleuchter in Berlin doch einmal in den Zuschauerraum gekracht sein – allerdings nachdem das Publikum den Saal verlassen hatte. Die guten Plätze in der Mitte wurden daraufhin für einige Zeit gemieden, und die dunklen Logen gewannen an Popularität.

Die Wahl der Lichtquelle auf dem Kronleuchter selbst war nicht einfach. Nicola Sabbattini, der das Barocktheater reformierte, schrieb: „Sind die (Lampen auf den Kronleuchtern) von sehr gutem Öl, das auch mit irgendeinem lieblichen Parfüm gemischt ist, damit es keinen schlechten Geruch verbreitet, so werden sie keinen üblen Anblick gewähren, und die Zuschauer werden sicher sein, dass ihnen das Wachs der Kerzen nicht auf den Leib tropft. Aber wenn eine Lampe auslischt (was, wo ihrer so viele sind, leicht geschieht), dann wird sie Gestank verbreiten, zum Verdruss der Zuschauer. Die Kerzen aus weißem Wachs wirken vornehmer und geben keinen schlechten Geruch von sich; aber es ist wahr, dass sie manchmal den unter ihnen Sitzenden die Kleider beflecken.“ Sabbattini rät, bei Kerzengebrauch kleine Teller unter den Kerzen anzubringen, damit das Wachs darauf tropfe.

Die vielen Spiegel und Goldfarbe in alten Theatern waren also nichts weiter als Mittel zum Zweck. Sie sollten das Licht besser reflektieren. An kleineren Bühnen behalf man sich mit Pech- und Wachsfackeln an den Wänden. Den Ruß, den diese erzeugten, kann man sich nur zu gut vorstellen. „Der Dampf stieg wie bei einer Bierbrauerei nach oben und wir mussten ihn einatmen“, bekannte eine Besucherin der Pariser Oper. Wenn vorne dann auf der Bühne auch noch ein Feuerregen inszeniert wurde, wie zum Beispiel in Shakespeares „Tempest“, dann war das Husten der Zuschauer programmiert. Ein Theaterbesuch zur Barockzeit war nichts für Asthmatiker.

Vieser
Durch die Welt der verschwundenen Berufe führt Sie die Journalistin und Autorin Michaela Vieser (r.). Von ihr erschien zuletzt das Buch "Tee mit Buddha - mein Jahr in einem japanischen Kloster". Die Illustrationen zur Serie stammen von der Grafikerin Irmela Schautz. -

© privat

Auf der Bühne galt als oberste Regel, das Licht so anzubringen, dass es „schön, hell und auf solche Weise aufgestellt sein soll, dass es weder mit hängenden Fackeln noch mit anderem Gerät die Sicht auf die Schauspieler versperrt und dieselben nicht in Gefahr bringt, von Wachs oder herabtropfenden Flüssigkeiten getroffen zu werden“, wie ein anderer italienischer Theaterkenner empfahl.

So ging man dazu über, an der Bühnenrampe entlang eine Reihe von Kerzen anzubringen, deren Licht die Schauspieler von unten erhellte. Der Begriff „Lampenfieber“ stammt aus dieser Zeit und hieß eigentlich Rampenfieber: Denn da bei einer länger brennenden Kerze nur ein Prozent der Energie als Licht abgeht und der Rest als Wärme, war es in der Nähe der Rampe so heiß, dass die Schauspieler fiebrig schwitzten.

Der Kerzenverbrauch in Theatern war enorm. Im Wiener Hoftheater sollen es einst 300 brennende Kerzen im Zuschauerraum und 500 Kerzen auf der Bühne gewesen sein. In Versailles, wo alles heller erstrahlte, warfen 3000 Kerzen ihr Licht auf die Schönen vor und auf der Bühne. Es lag in der Natur der damals üblichen Kerze, dass, je länger sie brannte, desto länger ihr Docht wurde. Wenn der nicht „geputzt“, also abgeschnitten wurde, fing die Kerze bald an zu rußen und zu tropfen.

Das war nicht nur am Theater so, sondern in jedem Haushalt, der Geld für Kerzenlicht besaß. Ungefähr alle halbe Stunde musste sich jemand um den Docht kümmern. Tat man es nicht, wurde die meist aus Tiertalg bestehende Kerze zum stinkenden, rußenden Ärgernis. Wieder war es Goethe, der befand: „Ich wüsste nicht, was sie besseres erfinden könnten, als wenn die Lichter ohne Putzen brennten.“ Mit der sehr viel späteren Einführung des Paraffinwachses war das Rußen so weit unter Kontrolle, doch davor muss das Dochtputzen oder -stutzen eine solche Alltagsbeschäftigung gewesen sein, dass es sogar in einem schwäbischen Kinderlied auftaucht. In Mundart wird hier nebst dem Polizisten, dem Gartenhaus und dem Wagenrad auch der Lichtputzer besungen: „Isch des net e Lichtputzscher?“

Und in der Metaphysik der Renaissance gebrauchte man den Begriff des Lichtputzers für jemanden, der im Auftrag Gottes die Seelen der Menschen stutze, damit diese heller strahlen könnten.

Auch am Theater war der Lichtputzer also unverzichtbar und entwickelte sich zu einem eigenständigen Berufsbild. Ohne ihn wäre das Spektakel auf der Bühne nur eine rauchige Angelegenheit gewesen, dank ihm eine mitunter erhellende oder gar aufklärende Erfahrung. Da der Lichtputzer immer wieder auch während der Szenen auf der Bühne erscheinen musste, um die Dochte der Kerzen zu putzen, wurde er einfach in die Stücke integriert. Gab es keine passende Rolle, dann doch gewiss ein Kostüm, das nicht auffiel. Im Gegensatz zum Schauspieler ging der Lichtputzer in den Regieanweisungen aber nicht von der Bühne ab, sondern lediglich „weg“.

Es war keine leichte Aufgabe, die Kerzen zu stutzen, denn gelegentlich ging ein Licht beim Beschneiden aus. Gelang es einem Lichtputzer, die Kerzen auf der Rampe alle zu putzen, ohne dass eine erlosch, konnte er in Frankreich dafür vom Publikum Applaus ernten. In England dagegen wurde er aufs Gehörigste angepöbelt, wenn er es nicht schaffte, vor allem aus den dunklen Logen. Ein solcher Beleuchtungsfachmann soll deswegen sogar einmal ein Auge verloren haben.

Lichtputzer waren übrigens bekannt dafür, dass sie stanken, was sie dem Rauch und Qualm, dem sie ausgesetzt waren, zu verdanken hatten. Wahrscheinlich ging es den Schauspielern aber nicht besser.

Weil sie ständig mit auf der Bühne waren, kam es – wenn auch selten – vor, dass ein Lichtputzer für einen kranken Schauspieler einsprang. In Hamburg soll es sogar einen Lichtputzer gegeben haben, der Theaterkritiken schrieb. Darüber hinaus waren Lichtputzer auch als Brandwache tätig: Bei so vielen offenen Flammen war die Brandgefahr nicht zu überschätzen. Allein im 19. Jahrhundert sind weltweit 1200 Theaterbrände bekannt geworden.

Und auch für andere Dinge konnte der Lichtputzer eingesetzt werden. Lessing befand: Wenn ein Stück nicht lang genug ist, kann auch mal der Lichtputzer herauskommen.

Am kommenden Sonntag: Die Amme Wie sich Wirtschaft wandelt: Eine kleine Kulturgeschichte der Arbeit in zehn Teilen

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