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Wirtschaft: Andersen ist der Sündenbock

In einer Rezession ist es in den USA fast ein Ritual, Schuldige an den Pranger zu stellen. Das ist einfach.

In einer Rezession ist es in den USA fast ein Ritual, Schuldige an den Pranger zu stellen. Das ist einfach. Zu einfach, wenn man sieht, dass diesmal ausgerechnet die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Andersen zum Sündenbock gemacht wird. Die Enron-Prüfer werden von der US-Wirtschaft wie Aussätzige behandelt. Jetzt droht auch der Pharmahersteller Merck, letzter verbliebener Großkunde von Andersen, abzuspringen.

Andersen sitzt in der Klemme. Während der Wirtschaftsprüfer mit Enron um die Schuldfrage streitet, drohen Justiz und Aktionäre mit Prozessen. Um Schlimmeres zu vermeiden, hat Andersen einen Vergleich über 750 Millionen US-Dollar angeboten und einer Unternehmensprüfung durch den Ex-Notenbankchef Paul Volcker zugestimmt. Andersen muss nun viele Fragen beantworten. Schließlich haben die Wirtschaftsprüfer bei der Aufdeckung der falschen Enron-Bilanzierung versagt - obwohl Unstimmigkeiten offensichtlich waren. Andersen ist die erste Prüfungsgesellschaft gewesen, die auch Beratung angeboten hat und deshalb eine besondere moralische Verantwortung trägt.

Neben Andersen wäre auch Paul Volcker mit seinen Plänen zur Reform der Wirtschaftsprüfungsbranche der Verlierer. Volcker hat ein Team aus Wirtschaftsexperten zusammengestellt, die das Management von Andersen unter die Lupe nehmen und neue Standards für die Arbeit der Wirtschaftsprüfer festlegen sollen. Das Ziel ist, das Vertrauen der Aktionäre in die veröffentlichten Bilanzen der Unternehmen wieder herzustellen - am besten durch eine klare Trennung von Prüfung und Beratung sowie mehr Transparenz.

Schuld am Enron-Skandal sind indes vielmehr die betrügerischen Machenschaften einzelner Enron-Mitarbeiter. Auch wenn sich nicht bestreiten lässt, dass der Boom der neunziger Jahre zu einem sehr lockeren Umgang mit Bilanzen geführt hat. Experten sagen, dass seit 1999 die Gewinne von US-Firmen 607-mal korrigiert werden mussten, häufiger als im gesamten Jahrzehnt zuvor. Zugegeben, die Gewinnaufstellung eines Unternehmens allein zeichnet kein vollständiges Bild von der Lage eines Unternehmens - aber sie sollte auch mehr sein als pure Fiktion.

Aus dem Wall Street Journal. Texte übersetzt

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