zum Hauptinhalt
Furcht im Nacken. Etwa jeder dritte Berufstätige wurde schon einmal über einen längeren Zeitraum von Angst geplagt. Foto: picture alliance/moodboard

© picture alliance / moodboard

Angst im Büro: Unter Druck

Stress, das Gefühl, Aufgaben nicht gut genug zu erledigen oder drohender Jobverlust – all das kann Ängste auslösen. Wie man damit klar kommt.

Es ist dasselbe Gefühl wie an jedem Sonntagabend. Eva-Maria Jensen spürt, wie der Schmerz sich vom Nacken langsam bis nach vorn an die Schläfen zieht. Mit hochgezogenen Schultern steht sie an ihrem Küchenfenster, raucht eine Zigarette und versucht, den Lärm im Kopf loszuwerden.

Eva-Maria Jensen, 32, alleinstehend, wohnhaft in Berlin, Angestellte in einem Dienstleistungsunternehmen, heißt eigentlich anders, möchte aber nicht, dass ihr richtiger Name in der Zeitung steht. Wenn ihr Chef wüsste, wie sehr sie ihre Arbeit quält, glaubt sie, wäre sie ihren Job bald los. Allein der Gedanke an ihren Schreibtisch, auf dem sich die unerledigten Aufgaben stapeln, bereitet ihr Kopfschmerzen. Sie hat das Gefühl, nie fertig zu werden, und, was noch viel schlimmer ist, dass niemand mit ihrer Arbeit zufrieden ist.

DAS PHÄNOMEN

Ängste, wie Jensen sie kennt, sind in der Arbeitswelt kein Einzelfall. „Im beruflichen Bereich nehmen Ängste zu“, sagt der Psychotherapeut und Angst-Spezialist Norbert Merlin. Immer häufiger kommen Menschen mit solchen Sorgen in seine Berliner Praxis. Meistens sind es Versagensängste, mit denen sie kämpfen. Sie haben Existenzängste oder soziale Ängste, Angst vor Imageverlust, Angst davor, eine Rede vor einem großen Publikum zu halten, Konkurrenzangst, Angst davor, gemobbt zu werden, Angst vor Überforderung oder davor, ihren Job zu verlieren.

Etwa jeder dritte Berufstätige hat schon einmal längere Phasen der Angst durchlebt, schätzt der Berliner Psychologe und Karriereberater Jürgen Hesse.

Seit mehr als 30 Jahren berät und coacht er Menschen zu ihren beruflichen Perspektiven. Ängste spielen dabei auch immer wieder eine Rolle. Allerdings werden sie von den wenigsten als solche erkannt oder benannt. „Wer gibt schon gern zu, dass er Angst im Job hat?“, sagt Hesse. Eher würde das Problem umschrieben mit Formulierungen wie: „Die Kollegen sind nicht nett“, „Ich mag den Chef nicht“ oder „Es klappt nie im Vorstellungsgespräch“. Hesse hat festgestellt: „Auch das Wort Stress ist ein wunderbares Synonym für Angst.“

Im Laufe der Gespräche öffnen sich viele seiner Klienten und geben erstmals offen zu, was sie wirklich belastet. „Das ist für viele eine unglaubliche Erleichterung, wenn sie ihre Ängste offen ansprechen und sich zu ihren Gefühlen bekennen“, sagt der Psychologe. Viele würden auch weinen, fühlten sich hinterher aber befreit. Denn Angst, so sagt Hesse, verliere schon etwas von ihrer Macht, wenn man über sie spricht.

Die Betroffenen haben dann meist schon einen langen Leidensweg hinter sich. „Da Ängste meist unbewusst verdrängt werden, reagiert irgendwann der Körper“, sagt Wolf-Dietrich Groß, Kommunikationstrainer und Coach aus Berlin. Ob Magendrücken, Durchfall, Hautausschlag oder Rückenschmerzen: „Der Körper macht sich mit allen Organen bemerkbar und teilt so mit, dass der Mensch überfordert ist“, sagt Groß.

Bei Eva-Maria Jensen sind es nicht nur die Kopfschmerzen. Permanent fühlt sie sich schlapp, kann morgens kaum aufstehen, klagt über ein starkes Ziehen im Rücken. Der Gedanke an die Arbeit bereitet ihr schlaflose Nächte. Hat sie eine Aufgabe erledigt, folgt gleich die Angst vor der Kritik vom Chef. Ständig glaubt sie, die anderen seien besser in ihrem Job. Oft sitzt sie noch spät abends im Büro, weil sie am Tag nicht fertig geworden ist.

Sie weiß, dass viel von dem Druck, den sie verspürt, von ihr selbst ausgeht. Ihren eigenen Ansprüchen scheint sie nie genügen zu können. Das zehrt, jeder Arbeitsschritt kostet dann doppelt so viel Kraft.

„Ab einem gewissen Punkt kann Perfektionismus sehr dekonstruktiv sein“, sagt Psychotherapeut Merlin. Die Neigung, sich das Leben mit den eigenen überhöhten Ansprüchen schwer zu machen, ist oft anerzogen. „Wer nicht gelernt hat, sich selbst positiv einzuschätzen, kann sich auch keine Erfolge eingestehen“, sagt Wolf-Dietrich Groß. Solche inneren Unsicherheiten würden durch den hohen Leistungsdruck in der heutigen Arbeitswelt von außen verstärkt.

Doch nicht nur Leistungsdruck und Überforderung kann zu Ängsten führen. „Eine Arbeit muss auch sinnstiftend sein. Wer nie Anerkennung oder Lob bekommt und seine Arbeit als sinnlos empfindet, wird schnell unzufrieden sein“, sagt Therapeut Merlin. Hinzu kommt die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes in wirtschaftlich schwierigen Zeiten – eine Angst, die durchaus realistisch sein kann.

WEGE AUS DER KRISE

Dabei hat das negative Gefühl durchaus positive Aspekte. „Angst ist ja eigentlich ein wichtiges Gefühl, weil es uns vor Gefahren warnt“, sagt Psychologe Hesse. Doch wenn sie lähmt, sollte man sich Hilfe von außen suchen. Das Gespräch mit Freunden oder der Besuch beim Coach oder Berater können neue Wege aufzeigen. Die Experten zeigen, wie man lernt, sich selbst Erfolge einzugestehen oder geben Tipps, wie man Konfliktsituationen meistert.

Grundsätzlich gilt bei jeder Angst, egal wie groß oder klein sie ist: Man muss sich mit ihr konfrontieren und lernen, mit ihr umzugehen. Wer also Angst hat, vor einem großen Publikum zu sprechen, sollte seine Kompetenzen in diesem Bereich stärken und das Reden zum Beispiel zunächst im vertrauten Kreis üben. Je häufiger diese Situation gemeistert wird, desto kleiner wird die Angst davor.

„Ich rate meinen Kunden auch, sich nur auf die Gegenwart zu konzentrieren und nicht an die Vergangenheit oder Zukunft zu denken“, sagt der Coach Wolf-Dietrich Groß. Das heißt, weder der Gedanke an die letzte vergeigte Rede sollte die Situation beherrschen, noch die Angst vor den Folgen der zukünftigen Rede. Was zählt, ist das Hier und Jetzt.

Gehen die Ängste tiefer, ist eine Analyse der eigenen Jobsituation gefragt. Was lässt sich an den Arbeitsbedingungen verändern? Kann man von der Last der Aufgaben etwas abgeben? Oder lässt sich das Problem nur mit einem Jobwechsel lösen? Auch darüber sollte man nachdenken. Haben sich Ängste aber bereits zu Phobien ausgewachsen, sind Psychologen oder Psychotherapeuten die richtigen Ansprechpartner, sagt Jürgen Hesse.

Eva-Maria Jensen konnte eines Samstags nicht mehr aus ihrem Bett aufstehen. Sie blieb das ganze Wochenende liegen, wollte niemanden sehen, mit niemandem reden. Am folgenden Montag hatte sie sich wieder so weit im Griff, dass sie zum Hausarzt gehen konnte. Der riet ihr, sich einen Psychologen zu suchen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false