zum Hauptinhalt

Wirtschaft: Angst vorm Umsteigen (Leitartikel)

Die Bahn braucht mehr Wettbewerb. Viele Menschen haben davor Angst, und nicht nur die Beschäftigten selbst.

Von Antje Sirleschtov

Die Bahn braucht mehr Wettbewerb. Viele Menschen haben davor Angst, und nicht nur die Beschäftigten selbst. Denn die deutsche Bundesbahn ist für sie immer mehr gewesen als ein normales Unternehmen. Die Bahn ist eine Institution wie Schulen oder Krankenhäuser, sie gehört zum Alltag und zur Geschichte jedes Einzelnen. Die Politiker haben darüber hinaus ein Interesse an der Bahn: Sie wollen den Verkehr von der Straße auf die Schiene umleiten. So ist die Bahn ein öffentlicher Transportbetrieb, angesiedelt zwischen politischer Steuerung, Bürgerwillen und betriebswirtschaftlicher Rechnung.

Aber diese Bahn hat im vergangenen Jahr zum ersten Mal hohe Verluste gemacht. Sie wird damit zum Sanierungsfall. Das kam nicht ganz unerwartet. Seit vielen Jahren versuchen sich deutsche Politiker und Bahn-Manager an einer Unternehmensreform, an deren Ende eine moderne und effiziente Aktiengesellschaft stehen soll. Am Ende erhofft sich die Bundesregierung, wie bei der Telekom, auch für die Bahn einen überzeugenden Börsenerfolg.

Dass ausgerechnet deutsche Fahrkartenverkäufer und Lokführer zu Trägern einer solchen Erfolgsstory werden könnten, glauben bislang nicht viele. Zu groß ist bei aller Anhänglichkeit die Enttäuschung der Kunden über die Mängel der Bahn, insbesondere über die Verspätungen. Zu resistent gegen tiefgreifende Veränderungen zeigt sich der Apparat. Und zu unökonomisch wirtschaftet das Unternehmen, als dass der dramatische Ergebniseinbruch von 1999 ein Ausrutscher bleiben kann. Wird der Staat - im Unterschied zur Lufthansa und der Telekom - an einem Milliarden verschlingenden Sanierungsfall kleben bleiben?

Tatsächlich wird die Reform der Bahn im Gegensatz zur Telekom seit Jahren ausgebremst. In keinem anderen deutschen Markt dominieren staatliche Eingriffe und politisches Kalkül die Entwicklung eines Unternehmens so sehr wie hier. Ob bei überflüssig-teuren Investitionsentscheidungen wie dem Transrapid, bei der Strukturierung und Organisation des regionalen Nahverkehrs oder bei wichtigen Personalentscheidungen im Führungsteam: Die Bahn agiert auf einem sumpfigen Terrain inmitten von politischen Wunschvorstellungen. Das verwässert wichtige Entscheidungen. Das lenkt Ressourcen in Unternehmensbereiche, die unwirtschaftlich sind. Und das führt nicht zuletzt auch dazu, dass ein beachtlicher Teil der 240 000 Mitarbeiter der Bahn noch immer in einer subtilen Angst vor den Folgen der Bahnreform erstarrt.

Eben deshalb fehlt der Bahn auf dem Weg in die Zukunft am allernötigsten der Wettbewerb. Denn sowohl im Kommunikations- wie auch im Energiemarkt hat die jüngste Vergangenheit gezeigt, dass erst die Vielzahl der Marktteilnehmer dazu führt, dass verkrustete Strukturen in den ehemaligen Monopol-Unternehmen aufbrechen, unternehmerische Visionen entwickelt und klare Grenzen zwischen politischer und wirtschaftlicher Verantwortung sichtbar wurden. Die Kunden haben durch Preisnachlässe und besseren Service genauso davon profitiert wie die Mitarbeiter, die neue Chancen in effizienten Unternehmen gefunden haben. Das deutsche Stromnetz ist durch den Wettbewerb nicht zusammengebrochen. Und das Telefonieren hat im liberalisierten Markt nicht an Sicherheit verloren.

Auch Zugfahren, das beweisen privatwirtschaftlich geführte und im Wettbewerb stehende Bahnen auf der ganzen Welt, wird durch das Nebeneinander vieler Anbieter nicht unsicherer werden - und auch nichts von seiner Faszination einbüßen.

Zur Startseite