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Wirtschaft: Anklage nur im Ausnahmefall

Die meisten deutschen Firmen, die in den Oil-for-Food-Skandal mit Irak verwickelt sind, kommen davon

Berlin – Für den Anwalt der Firma Meyra aus Ostwestfalen, einer der führenden Rollstuhlhersteller der Welt, ist die Sache klar. „Mein Mandant hat nie Zahlungen an irakische Stellen geleistet. Er hat sich nichts vorzuwerfen.“ Doch ist Meyra eines von rund 60 deutschen Unternehmen, die in einem Untersuchungsbericht des früheren US-Notenbankchefs Paul Volcker vom Herbst 2005 auftauchen.

Der Vorwurf ist bei allen gleich: Die Unternehmen sollen im Rahmen des „Öl für Lebensmittel“-Programms der Vereinten Nationen Aufträge erhalten haben, in dem sie rund zehn Prozent der Auftragssumme über Mittelsmänner an den Irak zahlten. Weltweit waren es mehr als 2200 Unternehmen, die den inzwischen hingerichteten Diktator Saddam Hussein auf diesem Weg mit insgesamt 1,8 Milliarden Dollar geschmiert haben sollen.

In Deutschland werden diese Vorgänge als Verstöße gegen das einstige Irak-Embargo und damit gegen das Außenwirtschaftsgesetz verfolgt. Doch kommen die Firmen bei den bundesweiten Ermittlungen glimpflich davon, wie sich aus Recherchen des Tagesspiegels bei den etwa zwei Dutzend beteiligten Staatsanwaltschaften ergibt. Etwa die Hälfte der rund 60 Ermittlungsverfahren läuft noch, die übrigen sind überwiegend ohne jegliche Sanktionen eingestellt worden. Nur sechs Verfahren wurden gegen Geldauflagen eingestellt oder stehen kurz davor.

Möglich ist das nach Paragraf 153 a der Strafprozessordnung, der als „Freispruch zweiter Klasse“ gilt. In einem Fall wurde ein Strafbefehl verhängt – das ist eine rechtskräftige Verurteilung, jedoch ohne mündliche Verhandlung. Die Geldauflagen summieren sich inzwischen auf rund 750 000 Euro.

Angesichts der Umsätze der Unternehmen im Irak ist das nicht viel. In dem Untersuchungsbericht des früheren US-Notenbankchefs Paul Volcker wird für die rund 60 deutschen Firmen ein Auftragswert von insgesamt mehr als 170 Millionen Dollar genannt. Nimmt man ausländische Töchter und Beteiligungen deutscher Konzerne hinzu, kommen noch einmal mindestens 100 Millionen Dollar zusammen.

Bei Meyra geht es um Rollstühle, Ersatzteile und Gehhilfen für mehr als 2,6 Millionen Dollar, die in den Irak geliefert wurden. Laut Volcker-Bericht zahlte das Unternehmen illegale „After Sale Service Fees“ (etwa: nach Verkauf bezahlte Servicegebühren) von 236 580 Dollar. Doch der Anwalt bestreitet das: Ein freier jordanischer Handelsvertreter habe die Aufträge eingefädelt und schriftlich versichert, dass er keine Gelder gezahlt habe. Daran müsse man sich halten. „Wenn er aber doch gezahlt haben sollte, um seine Aufträge nicht zu gefährden, dann trifft meinen Mandanten daran keine Schuld.“

So steht auch bei Meyra eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Auflagen bevor. „Kein Mensch will eine Einstellung nach 153 a. Aber es wird so kommen. Die Gespräche laufen schon“, sagt der Anwalt. Die Staatsanwaltschaft klingt noch nicht ganz so versöhnlich: Meyra habe sich bisher wenig kooperativ gezeigt, heißt es inoffiziell. Wenn das Unternehmen sich nicht bald auf die Einstellung gegen Auflagen einlasse, könne auch Anklage erhoben werden. Doch das dürfte eine leere Drohung bleiben – auch bei der Staatsanwaltschaft weiß man, wie schwierig ein Prozess würde.

Denn die Beweislage ist in keinem der Fälle klar. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, die allein zehn Verfahren führt, räumt ein, wie schwierig die Ermittlungen sind. „Die Auswertung der Dokumente gestaltet sich komplex“, sagt die Leitende Oberstaatsanwältin Hildegard Becker-Toussaint dem Tagesspiegel. Viele Unterlagen lägen nur in arabischer Sprache vor, es gehe um lange zurückliegende Vorgänge. „Weitere Vernehmungen, insbesondere der zumeist ausländischen Handelsagenten, sind noch in diesem Frühjahr geplant.“

Die Ermittlungsverfahren gegen die prominentesten deutschen Namen auf der Volcker-Liste laufen noch. Dazu gehören Siemens, Linde, Daimler-Chrysler, Fresenius Medical Care (FMC) und die Medizintechnikfirma B. Braun Melsungen, die von Ludwig Georg Braun, dem Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags geleitet wird. Doch die Staatsanwaltschaften sehen wenig Ansatzpunkte. „Den meisten Unternehmen kann nicht nachgewiesen worden, dass das Geld nicht nur an die Vermittler floss“, sagt der Düsseldorfer Oberstaatsanwalt Peter Lichtenberg dieser Zeitung. Trotzdem können die umstrittenen Geschäfte noch Folgen haben. Siemens ist deshalb auch ins Visier der US-Börsenaufsicht SEC und der französischen Justiz geraten.

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