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Wirtschaft: Anlageverhalten: Irrationalität herrscht an den Börsen

Irren ist zwar menschlich, an der Börse aber oft auch teuer. "An der Börse muss man Irrtümer blitzschnell erkennen und seine Position aufgeben", sagte der Spekulant George Soros einmal über seinen Anlagestil.

Irren ist zwar menschlich, an der Börse aber oft auch teuer. "An der Börse muss man Irrtümer blitzschnell erkennen und seine Position aufgeben", sagte der Spekulant George Soros einmal über seinen Anlagestil. "Es geht nicht darum, Recht zu behalten, sondern nur um Gewinn oder Verlust." Doch der Ausstieg aus verlustreichen Investments fällt privaten wie professionellen Anlegern schwer. Die Gründe dafür sind psychologisch.

"Wir werden uns mehr und mehr bewusst, welche Bedeutung die institutionellen und psychologischen Faktoren für die Finanzmärkte insgesamt haben", sagte Deutsche-Bank-Vorstandsmitglied Josef Ackermann auf der Konferenz "Advances in Behavioral Finance" in Frankfurt (Main).

Umfrage unter Investoren

Glaubt man den Lehrbüchern, urteilen die Investoren rein sachlich. Doch die Realität sieht anders aus: "Wir haben im Januar insgesamt 2000 institutionelle Investoren gefragt, wie sie die Börsenlage einschätzen", erzählte Herman Brodie, Direktor des verhaltenswisschaftlich orientierten Analysebüros Cognitrend. "Die meisten hielten Aktien damals für überbewertet." Im Mai befragte Brodie die gleichen Experten erneut - und erhielt eine andere Antwort. "Plötzlich waren die Investoren optimistisch, die Bewertungsfrage hatten sie völlig verdrängt", berichtete Brodie.

Dabei hatte sich die Lage an den Weltbörsen seit Januar kaum verändert. Den Grund für den radikalen Meinungsumschwung vermutet Brodie ganz woanders: "Die meisten Investoren waren in den Markt eingestiegen und wollten ihre Engagements rechtfertigen", sagte Brodie. Objektiv gibt es keinen Grund, warum das Bewertungsniveau mal Anlass zur Sorge gab und mal nicht. Doch Privatanleger wie Profis unterliegen oft unbewussten Einflüssen, die zu verzerrten Urteilen führen.

"In Gruppen kann Konformitätsdruck fatale Folgen haben" sagte Mitveranstalter Joachim Goldberg, Gesellschafter von Cognitrend. Häufig dominiere eine Führungsperson - in privaten Börsenclubs wie in professionellen Anlageteams. Trotz mangelnder Effizienz schlössen sich Individuen oft in Gruppen zusammen, unter anderem, um Fehlentscheidungen nicht allein verantworten zu müssen. Auch die Spekulationsblase der High-Tech-Aktien an der Nasdaq und dem Neuen Markt hat womöglich den so genannten Herdentrieb als Ursache.

Risiken werden unterschätzt

Befragungen zeigten, dass Anleger stärker unter Verlusten litten, als sie sich über Gewinne freuten, sagte Professor Martin Weber, Spezialist für die verhaltenswissenschaftliche Analyse der Finanzmärkte (Behavioral Finance). Daraus resultiere die Neigung, Verluste nicht zu realisieren. Wer Aktien mit Verlust verkauft, zeigt damit offen, dass seine vorherige Kaufentscheidung ein Fehler war. Wer dagegen Verlustbringer behält, kann hoffen, dass der Kurs wieder steigt und der Kauf sich doch noch als richtig herausstellt.

Das Aussitzen von Verlusten ist also psychologisch weniger belastend als der Verkauf. Nur leider führt dies dazu, dass Gewinner-Aktien eher verkauft werden als Verlierer-Titel - also das Gegenteil der Börsenregel "Gewinne laufen lassen, Verluste begrenzen". Das Wissen um solche psychologischen Fallstricke macht leider noch nicht immun dagegen, wie Börsenexperte Brodie betonte. Doch das Erkennen von Urteilsschwächen hilft zumindest gegen allzu große Selbstsicherheit.

tmo

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