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Seltene Spezies. Früher hielten Menschen schwarze Schwäne für unvorstellbar. Auch Finanzrisiken werden unterschätzt. Foto: p.-a. /dpa

© picture-alliance / dpa

Anlegerschutz: Das Undenkbare denken

Von Lehman bis Fukushima: Wie sich Anleger gegen Restrisiken schützen.

Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Dow Jones binnen eines Tages knapp 30 Prozent verliert, lag im Jahr 1987 statistisch betrachtet ziemlich genau bei null. Doch die Realität widerlegte die Mathematik: Am 19. Oktober stürzte der amerikanische Leitindex um fast 30 Prozent ab. Der „Schwarze Freitag“ war fortan ein „Schwarzer Schwan“ – eine extrem seltene Spezies. Im Oktober 2008 ließ sich die Spezies wieder blicken, als der Zusammenbruch des Bankhauses Lehman Brothers die Risikomodelle erneut über den Haufen warf und die Welt völlig unvorbereitet ins Chaos stürzte.

Immer häufiger, so scheint es, ist die Welt mit Ereignissen konfrontiert, die unerwartet und urplötzlich auftauchen und dabei massive systemische Auswirkungen haben: Neben Lehman und zuvor der Dotcom-Krise zählen dazu die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko, die Nuklearkatastrophe in Japan, die Umwälzungen in der arabischen Welt oder die Verschuldungskrise in Südeuropa. „Bestimmte Ereignisse wirken sich wegen der Globalisierung und der Komplexität unserer Gesellschaften und unseres Finanzsystems heute rascher, intensiver, fataler und globaler aus als früher“, weiß Reinhold Hafner, Chef von Risklab, einer Tochter von Allianz Global Investors, die Strategien gegen schwarze Schwäne entwickelt und institutionelle Anleger berät.

Dass die Finanzwelt sie „Black Swans“ nennt, ist einem Buch gleichen Namens geschuldet, in dem der Finanzmathematiker und Hedgefonds-Manager Nassim Nicolas Taleb hart mit dem Risikomanagement seiner Zeitgenossen ins Gericht geht. Ähnlich wie die Menschen früher die Existenz schwarzer Schwäne schlicht für unvorstellbar hielten, würden Risiken heutzutage systematisch unterschätzt. Der Grund: Das Handeln vieler Marktteilnehmer fußt auf Wahrscheinlichkeiten und Prognosen, die aus den Kursschwankungen und Abweichungen der Vergangenheit sowie bekannten Risikofaktoren errechnet werden. Extremes und Unerwartetes wird entweder ausgeblendet oder gar nicht mitgerechnet, weil es sich außerhalb des Suchradars verbirgt. Man glaubt, dass für die extreme Abweichung von der Normalität die Formel gilt: Je extremer, desto seltener.

Leider, das belege die Realität, bietet diese Sicht nur trügerische Sicherheit. Es seien vielmehr genau jene unerwarteten Schwarzen Schwäne, die die Finanzmärkte entscheidend beeinflussen, glaubt Taleb.

Kein Wunder also, dass die Finanzkrise und zuletzt auch wieder der Japan-Gau den Blick der Finanzmärkte und institutioneller Anleger für effektives Risikomanagement geschärft haben. „Auch Privatanleger können und sollen Black Swans bei ihrer Finanzplanung berücksichtigen“, ist sich Risklab-Chef Hafner sicher. Entscheidend sei dabei nicht, dass es gelinge, ein drohendes Megaereignis am Horizont auszumachen und vorherzusagen. Wichtig sei vielmehr, auf das Undenkbare vorbereitet zu sein und damit negative Folgen rasch eingrenzen zu können.

Aber wie? Hafner empfiehlt Depots mit „asymmetrischen Renditeprofil“. Dies bedeutet vereinfacht ausgedrückt: Gewinne laufen lassen, Verluste rasch begrenzen und verkaufen. „Man vermeidet also die Extreme nach unten, bleibt aber sehr flexibel und schnell, wenn es an den Wiedereinstieg in ein Risiko geht“, rät der Risklab-Chef. Wer sich die Entscheidung für den richtigen Zeitpunkt nicht selbst zutraue, könne dies auch einem Fonds-Profi überlassen, der mit komplexem und systematischem Risikomanagement vertraut ist und nicht nur normale Wahrscheinlichkeiten berücksichtigt. Eine Alternative wäre, die eigene Geldanlage grundsätzlich mit Gegenpositionen abzusichern, also beispielsweise Put-Optionsscheine dauerhaft in das Depot zu integrieren.

Bei der Konkurrenz von der DWS, der Fondstochter der Deutschen Bank, sieht man solche dauerhaften Absicherungen jenseits von Garantieprodukten skeptisch. „Permanente Wertsicherung ist teuer und kostet in normalen Zeiten enorm Rendite“, kritisiert DWS-Sprecher Claus Gruber. Die Fondsfirma mit derzeit 152 Milliarden Euro Kundeneinlagen hat zwar seit der Finanzkrise das Risikomanagement „systematisiert und intensiviert.“ In „Stresstests“ würden die Folgen denkbarer Extremsituationen simuliert. Beim Auftreten schwarzer Schwäne will man jedoch je nach Fonds lieber individuell reagieren. Wo aber könnte gerade der nächste schwarze Schwan gemästet werden? Manche halten die ausufernde Staatsverschuldung der USA für ein Schwänchen, andere sehen den chinesischen Immobilienmarkt oder die starke Verstrickung der Spekulation in Rohstoffinvestitionen als heraufziehende MegaGefahr. Genannt werden, je nach Fantasie, auch der Ausfall aller Erdsatelliten, der Ausbruch eines Supervulkans, die Löschung internetbasierter Dateien oder auch ein Megaerdbeben in Kalifornien. Jochen Steffens etwa, Trading-Experte und Herausgeber des Börsenportals Stockstreet, bringt die Erdbeben in Haiti, Chile, Neuseeland und Japan in einen Zusammenhang, der im Uhrzeigersinn rund um die Pazifische Platte führe und damit auf ein Beben in Kalifornien mit seinen vier Atomkraftwerken hindeuten könne. Doch Fakt ist: Ein echter schwarzer Schwan wartet eher jenseits des Denkbaren.

Auch an anderer Stelle könnte der Blick in die statistische Vergangenheit beruhigen – oder aber für trügerische Sicherheit sorgen. Die Mathematik zeigt, dass rasche Verkäufe bei langfristiger Betrachtung vielleicht gar nicht erforderlich sein müssen: Deutschlands Fonds-Urgestein, der Fondak für deutsche Standardwerte, ist seit 1950 auf dem Markt. Über alle Krisen hinweg und einer Horde schwarzer Schwäne in sechs Dekaden zum Trotz hätte er dem Anleger, der seit Anbeginn dabei war, pro Jahr satte 10,8 Prozent Rendite gebracht. Doch selbst im eigenen Haus, bei Allianz Global Investors, hält man solch langen Atem für unrealistisch. Die klassische Strategie des „Kaufen und Halten“, und das extrem langfristig, sei sehr schwer durchzuhalten, weiß Hafner. Zudem habe nicht zuletzt Japan gezeigt, dass ein Markt auch mal auf Sicht von 22 Jahren im Minus liegen könne.

Doch auch der Blick auf die Entwicklung des Dow Jones, bei dem der „Black Swan“ am Black Friday für fatale Verluste gesorgt hat, spricht eigentlich gegen eine übereilte Reaktion auf die schwarzen Federtiere: Es dauerte gerade einmal 15 Monate, bis der Dow die herben Verluste wieder eingespielt hatte. Heute, 24 Jahre später, notiert der US-Leitindex 783 Prozent höher. Genauso gut aber könnte der nächste schwarze Schwan noch gravierendere Folgen haben. Auch wenn die Wahrscheinlichkeiten dafür wieder gegen null taxiert werden, ist sich Risklab-Chef Hafner sicher: „Nach der Krise ist stets vor der Krise.“

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