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Wirtschaft: Annäherung an den "goldenen Standard"

Polen will bis zum Jahr 2006 fit für die Währungsunion seinVON EDITH HELLER, WARSCHAUIn einer Frage herrscht in Polen ein parteienübergreifender Konsens, der auch den größten Teil der Experten und der Bevölkerung miteinschließt: Polen soll ein vollberechtigtes Mitglied nicht nur der Europäischen Union (EU), sondern auch der Währungsunion werden.Die Frage ist nur: Wann und wie?

Polen will bis zum Jahr 2006 fit für die Währungsunion seinVON EDITH HELLER, WARSCHAU

In einer Frage herrscht in Polen ein parteienübergreifender Konsens, der auch den größten Teil der Experten und der Bevölkerung miteinschließt: Polen soll ein vollberechtigtes Mitglied nicht nur der Europäischen Union (EU), sondern auch der Währungsunion werden.Die Frage ist nur: Wann und wie? Während die Antwort in Bezug auf die EU in Warschau in der Regel "so bald wie möglich" lautet, sind viele Experten in Bezug auf die Maastricht-Union zurückhaltender: Die zu rasche Erfüllung aller Kriterien könnte Polen schaden, befürchten sie. Wenn es nur um die fiskalen Richtlinien ginge, könnte Polen der Europäischen Währungsunion sofort beitreten: Dank der Haushaltsdisziplin der Warschauer Reformer betrug das Haushaltsdefizit im vergangenen Jahr nur 2,4 Prozent (erlaubt sind laut Maastricht 3 Prozent) und die Staatsverschuldung 54 Prozent (erlaubt sind 60 Prozent) des Bruttoinlandprodukts.Damit stellt das Reformland Polen einen Großteil der Mitgliedsländer der EU in den Schatten - darunter nicht zuletzt die Bundesrepublik.Experten weisen zwar darauf hin, daß diese Daten in Polen etwas anders errechnet werden als in der EU."Aber dennoch" - davon ist der Leiter des staatlichen Instituts für Finanzen, Professor Andrzej Wernik, überzeugt - "ist die polnische Haushaltspolitik der letzten Jahre imstande, die Kriterien von Maastricht zu erfüllen." Weitaus weniger günstig stellt sich die Situation Polens dar, wenn man die monetären Kriterien zugrunde legt.Von der geforderten Inflationsrate von 2,6 Prozent ist das Land an der Weichsel weit entfernt.Polens Finanzminister muß froh sein, wenn er die Inflation in diesem Jahr auf 19 Prozent drüêken kann.Dementsprechend sind auch die Kreditzinsen nicht auf dem von Maastricht geforderten Level.Vor allem aber ist das letzte der Maastricht-Postulate - eine stabile Währungspolitik - für Polen noch nicht in Reichweite: Die volle Konvertibilität des Zloty ist erst für das Jahr 2000 geplant. "Wir werden versuchen, diese Kriterien zu erfüllen - aber nicht auf Kosten des Wirtschaftswachstums", sagte Professor Urszula Plowiec vom Warschauer Institut für Konjunktur und Preise im Gespräch mit dieser Zeitung.Für Plowiec, die Generalsekretärin der polnischen Wirtschaftsgesellschaft und zugleich Mitglied des Rates für Wirtschaftsstrategie der Regierung ist, sind die Maastricht-Richtlinien "goldene Standardregeln" - aber in erster Linie für stabile Marktwirtschaften. "Nur dank unserer hohen Wachstumsrate sind wir imstande, die schmerzhaftesten Probleme der polnischen Wirtschaft zu lösen", erklärt die Professorin.Zu diesen Problemen zählt sie vor allem die Subventionen an die Landwirtschaft und das - von der Ausgabenseite her betrachtet - sehr hohe Rentenniveau.Sowohl die Renten als auch die Subventionen für die Bauern können aus politischen Gründen kaum gesenkt werden - aber bei steigendem BIP wird ihr Anteil am Staatshaushalt sinken.Nicht zuletzt aber sorgt das starke Wirtschaftswachstum von voraussichtlich knapp 6 Prozent in diesem Jahr auch dafür, daß die Arbeitslosigkeit trotz des nötigen Stellenabbaus in den ehemaligen Staatsbetrieben nicht uferlos steigt. Ein von Maastricht nicht gefordertes, aber nach Auffassung von Plowiec äußerst wesentliches Kriterium ist auch das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens, das in Polen derzeit - nach Kaufkraft gerechnet - 6300 Dollar beträgt.Das entspricht 30 Prozent des Pro-Kopf-Einkommens in den Ländern der OECD."Hier geht es um unsere künftige Position in der EU - ob wir als reiches, mittleres oder armes Land aufgenommen werden", erklärt sie."Schließlich wollen wir kein Mitgliedsland zweiter Klasse sein." Nach Meinung der Expertin kann Polen es sich nicht leisten, ein so wichtiges Instrument wie die Währungspolitik schon in naher Zukunft aus der Hand zu geben.Sollte zum Beispiel das ohnedies sehr hohe Außenhandelsdefizit weiter ansteigen, wäre eine Abwertung des Zloty unumgänglich. Auch die Inflationsrate - darin stimmt Plowiec mit dem Regierungsdokument "Euro 2006" überein - muß in Polen höher liegen, weil das Land eine wesentlich tiefere Umstrukturierung durchmacht als die Länder der EU.Eine zu strenge Anti-Inflationspolitik würde die Sanierung veralteter Unternehmen bremsen - denn jede erfolgreiche Modernisierung ist mit enormen Kosten und dadurch mit einem Inflationsschub verbunden."Ein Inflationsniveau von 2,6 Prozent, wie es nach den Richtlinien von Maastricht derzeit gelten würde, würde Polen zum gegenwärtigen Zeitpunkt ersticken", erklärt sie. "Andererseits" - so unterstreicht die Expertin - "sind wir uns in Polen klar darüber, daß nur die weitmöglichste Angleichung an die Kriterien von Maastricht den dauerhaften Zufluß von ausländischem Investitionskapital sichert." Und dieses Kapital braucht Polens Wirtschaft ebenso dringend wie billige Kredite, die es auch erst bei einer niedrigeren Inflationsrate geben kann.Deswegen hofft die Regierung auf das Erreichen einer einstelligen Inflationsrate bis Ende nächsten Jahres.Auch die Abwertung des Zloty soll von Jahr zu Jahr geringer werden und 1999 ganz enden.Möglichst bald will Polen sich auch in die europäische Währungsschlange einreihen.Für das Jahr 2000 ist die volle Konvertibilität des Zloty vorgesehen, und schon im Jahr 2006 will Polen für die Wirtschafts- und Währungsunion bereit sein.

EDITH HELLER[WARSCHAU]

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