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Anshu Jain macht sich Gedanken über Europa.

© ESMT

Anshu Jain in Berlin: Der Deutsche-Bank-Chef zweifelt an Europa

Anshu Jain, Chef der Deutschen Bank, fürchtet um die Wettbewerbsfähigkeit hierzulande. Die Europäer müssten handeln, mahnt er auf einer Veranstaltung in der Hauptstadt.

Von Carla Neuhaus

Es gibt viele Begriffe, mit denen man Anshu Jain beschreiben kann. Er ist Co-Chef der Deutschen Bank. Investmentbanker. Millionär. Britischer Staatsbürger. Gebürtiger Inder. Nun will Jain aber vor allem eines sein: Europäer.

Als solcher steht Jain am Mittwochmittag auf der Bühne im Auditorium der Berliner Elite-Hochschule ESMT. Schwarzer Maßanzug, weißes Hemd, dunkelrote Krawatte, dazu ein strahlendes Lächeln. In der Bank heißt es, dieser Termin sei ihm sehr wichtig, „eine Herzensangelegenheit“. Jain hat etwas loszuwerden. „Es geht um die Zukunft Europas“, sagt er. Wenn wir nicht aufpassten, verpassten wir in der Welt den Anschluss. Unsere Wettbewerbsfähigkeit stehe auf dem Spiel. Schon jetzt seien die USA und Asien uns in vielem überlegen. „Europa ist dort verwundbar, wo die anderen Wettbewerber stark sind“, sagt Jain.

Asien und die USA hängen Europa ab

Seine These untermauert er mit Beispielen: Während die Bevölkerung in Europa schrumpft, wächst sie in Asien rasant. Zudem schafften beispielsweise in China immer mehr Menschen den sozialen Aufstieg – auch deshalb, weil sie mehr in Bildung investierten. „Die Mittelklasse in den Städten Asiens wird eine dominante Größe unter den weltweiten Konsumenten“, ist Jain überzeugt.

Die USA würden dagegen eine „Energiedividende“ einfahren. Schon in drei Jahren würden die USA energieunabhängig. Der Fracking-Boom, sagt Jain, werde das Wirtschaftswachstum der USA erhöhen und das Handelsdefizit um die Hälfte senken. Zudem hätten die Amerikaner klare Wettbewerbsvorteile bei der Technologie. „Acht der zehn weltweit führenden Softwareunternehmen und sieben der zehn führenden Internetunternehmen sind amerikanisch“, rechnet Jain vor.

Und Europa? Verliert. „Wir leben in einer Welt der drei Geschwindigkeiten“, sagt Jain. Die USA sind demnach schnell, Asien ist schneller und Europa hinkt hinterher. „Die anderen Nationen werden nicht darauf warten, dass Europa aufholt“, sagt Jain. Die Probleme der Staatengemeinschaft liegen seiner Ansicht nach auf der Hand. Da sind zum einen die hohen Energiekosten, die Firmen Probleme bereiten. Da sind die Geschäftsideen der Start-ups, aus denen viel eher was werden könnte, wenn Europa mehr Risikokapitalgeber anziehen würde. Und da ist der demografische Wandel, der uns ähnlich hart treffen könnte wie die Japaner, die bereits von einer „verlorenen Dekade“ sprechen.

Warum Anshu Jain über Europa redet

Je länger Jain an diesem Mittag redet, desto weniger hört er sich wie ein Banker an, mehr wie ein Politiker. Und das ist gewollt. Jain scheint sein Ansehen aufpolieren zu wollen – weg von dem Image des Investmentbankers, hin zum Staatsmann. Er tritt damit in die Fußstapfen seines Vorgängers Josef Ackermann, der für seine offenen Worte und seine Nähe zur Politik bekannt war.

In seiner Rede schlägt Jain den großen historischen Bogen – vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute. Jain spricht Englisch, streut aber ab und an deutsche Begriffe ein wie „deutsche Marktwirtschaft“ oder „Wirtschaftswunder“. Seine Rede ist bis auf den letzten Satz durchgeplant. Auch der Ort ist kein Zufall. Berlin statt Frankfurt am Main. Studenten statt Banker im Publikum. Ihnen will Jain seine Agenda für Europas Zukunft nahebringen.

Und die sieht so aus: „Wir müssen die Produktmärkte liberalisieren und die Arbeitsmärkte öffnen, um jungen Menschen mehr Arbeitsmöglichkeiten zu bieten“, sagt Jain. Er fordert eine Reform der Renten- und Steuersysteme. Zudem würde Europa davon profitieren, wenn wir uns wieder stärker auf Bildung und Forschung konzentrieren würden. Er bemängelt, dass 15 der 20 Spitzenuniversitäten sich in den USA befinden – dort, wo er selbst studiert hat.

Auch in der Gründerszene müsse sich noch einiges tun. So werde Scheitern hierzulande stigmatisiert. „Innovationen sind immer mit Risiken verbunden“, sagt Jain. Drei von vier Start-ups scheitern – doch das sei nicht schlimm, sondern bringe uns weiter. Scheitern sei keine Schwäche, sondern eine Stärke.

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