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Besonders Männer gehen im Seniorenalter einer Beschäftigung nach.

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Update

Arbeit im Alter: Doppelt so viele erwerbstätige Rentner

Immer mehr Menschen arbeiten im Rentenalter noch. 2016 war es jeder Neunte zwischen 65 und 74 Jahren. Die Unternehmen erkennen für sich ein Potenzial.

Immer mehr Menschen arbeiten in Deutschland bis weit in das Rentenalter hinein. Die einen sind noch voller Tatendrang und wollen sich nicht langweilen; die anderen brauchen das Geld zum Überleben. Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte, ging jeder Neunte in der Gruppe der 65- bis 74-Jährigen im vergangenen Jahr einer Erwerbstätigkeit nach. Binnen eines Jahrzehnts hat sich ihr Anteil von fünf auf elf Prozent mehr als verdoppelt.

Als erwerbstätig gilt demnach schon, wer mindestens eine Stunde in der Woche einer bezahlten, selbstständigen oder mithelfenden Arbeit nachgeht. Haben 15 Prozent der Männer im Rentenalter einen Job, sind es bei den Frauen acht Prozent. Für mehr als ein Drittel aller 942000 älteren Arbeitnehmer war die ausgeübte Tätigkeit die Hauptquelle des Lebensunterhalts. Etwas mehr als die Hälfte lebte in erster Linie von der Rente. Gut zwei Prozent lebten jeweils von den Einkünften ihrer Angehörigen oder profitierten von Einnahmen aus Vermietung oder Verpachtung.

Arbeitseifer oder eher Altersarmut?

Gründe sind die schrittweise Einführung der Rente mit 67, steigende Lebenserwartung und bessere Gesundheit. „Ältere sind noch leistungsfähig und wollen auch noch was tun. Es muss nur entsprechende finanzielle Anreize geben“, sagt Hilmar Schneider, Chef am Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Ähnlich interpretiert Jürgen Deller, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Leuphana Universität Lüneburg, die Entwicklung. „Für die meisten, die nach dem Rentenalter weiterarbeiten, ist Arbeit einfach positiv besetzt.“ Ihnen gehe es zum Beispiel darum, soziale Kontakte zu behalten oder sich weiter gebraucht zu fühlen.

Eine andere Meinung vertritt Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland. Aus ihrer Sicht gebe es zwar viele Ursachen, aber wesentlich sei, dass längst nicht alle mit ihrer Rente um die Runden kämen. „Viele arbeiten also, weil sie müssen, nicht weil sie wollen“, sagt sie. Ein Indiz dafür sei die steigende Zahl armutsgefährdeter und überschuldeter Rentner, was ein „deutlicher Beweis für die wachsende Altersarmut“ sei.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung kam zu der Prognose, dass jeder fünfte Neurentner bis zum Jahr 2036 von Armut bedroht sein wird. 2015 waren es 16 Prozent. Mit Blick auf die Grundsicherungsempfänger ergab sich ein ähnliches Bild: Waren vor zwei Jahren gut fünf Prozent der Neurentner auf staatliche Hilfe angewiesen, sollen es bis 2036 sieben Prozent sein. Betroffen seien vor allem alleinstehende Frauen, Langzeitarbeitslose und Menschen mit geringen beruflichen Qualifikationen.

Schuldnerberatungsstellen treffen allerdings auch zunehmend auf Senioren, die unter dem Existenzminimum leben, aber keine Hilfen beim Sozialamt beantragen wollen. Heikel werde es oft dann, wenn unerwartete Ausgaben wie eine kaputte Waschmaschine auf die Rentner zukämen. Zwar kommen sie laut dem aktuellen Schuldneratlas seltener in die roten Zahlen als die Durchschnittsbevölkerung. Von den Über-70-Jährigen waren im vergangenen Jahr aber 174000 Menschen überschuldet - 58 Prozent als im Jahr 2013. Bei den jüngeren Senioren zwischen 60 und 69 Jahren nimmt die Zahl der Betroffenen ebenfalls zu.

Unternehmen brauchen ältere Mitarbeiter

Aus Sicht des Wirtschaftspsychologen Deller könnte der Trend zum Weiterarbeiten anhalten. Mit den Babyboomern ginge eine sehr große und recht gut qualifizierte Gruppe in Rente. „Sie haben interessante Jobs und sind oft relativ gesund“, erklärt er. „Dann bleiben die natürlich auch häufiger im Beruf.“

Vorausgesetzt die Arbeitsbedingungen erlauben das. „Noch haben nicht alle Unternehmen verstanden, wie wertvoll ältere Arbeitnehmer und ihr Wissen sind“, meint Rudolf Kast, Chef des Demografie-Netzwerks und Botschafter der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA). Dabei hätten sie ein riesiges Erfahrungswissen, das so schnell nicht zu ersetzen sei, und angesichts des Fachkräftemangels könnten es sich viele Firmen gar nicht leisten, auf Ältere zu verzichten.

Die Unternehmen, die dieses Potenzial erkannt haben, würden älteren Mitarbeitern kürzere Arbeitszeiten und Weiterbildungen anbieten. So hat die Deutsche Bahn vor vier Jahren einen „Demografie-Tarifvertrag“ geschaffen. Ältere Kollegen mit besonders belastenden Tätigkeiten können ihre Arbeitszeit beispielsweise auf 81 Prozent verringern. Ihr Gehalt wird aber vom Arbeitgeber auf 90 Prozent aufgestockt. Das Modell sei erfolgreich: Seit Ende 2015 habe sich die Zahl der Mitarbeiter, die diese Form der Teilzeit im Alter nutzen, verdreifacht: von 504 auf 1500.

Von politischer Seite wurde Anfang des Jahres das Gesetz zur Flexi-Rente beschlossen, das für einen leichteren Übergang zwischen Arbeitsleben und Rente sorgen soll – und für ein attraktiveres Weiterarbeiten jenseits der Altersgrenze. Weitere Anreize könnten nach der Bundestagswahl folgen: CDU und SPD wollen die Flexi-Rente prüfen und eventuell verbessern, die Grünen wollen Teilrenten ab 60 attraktiver gestalten. Die AfD fordert Zuverdienstmöglichkeiten für Frührentner ohne Einschränkung der Bezüge. Und die FDP will ein festes Rentenalter ganz abschaffen – und längeres Arbeiten damit belohnen. (mit dpa)

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