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Betriebsausflug. Christoph Maria Herbst führt als "Stromberg" die Bürohocker der Capitol-Versicherung ins Sauerland. Zu Bürohockern werden zunächst auch die meisten Versicherungskaufleute. Fast 80 Prozent arbeiten erst einmal im Innendienst.

© picture alliance / dpa

Arbeiten in der Versicherungsbranche: Übers Land

Versicherungskaufleute haben einen schlechten Ruf. Vertreter der Branche wollen das ändern. Ein Berufsporträt.

Wie der Alltag in der Abteilung für Schadensregulierung der fiktiven Capitol-Versicherung aussieht, das erleben Kinozuschauer momentan in der Büro-Satire um den Ekel-Chef Stromberg „Lass das mal den Papa machen“. Doch auch viele Menschen, die das Film-Ekel Stromberg nicht kennen, haben eine feste Meinung über Versicherungsvertreter – und zwar nicht die beste, ist die Erfahrung von Gerald Archangeli. Seit 25 Jahren betreibt Archangeli in Charlottenburg ein Büro der Ergo Versicherungsgruppe, das er – samt eines gewissen Kundenstamms – von seinem Vorgänger übernommen hat. Oft hört er: „Versicherungsvertreter sind aufdringliche Klinkenputzer, aber meiner ist ganz nett.“ „Die Nah- und die Fernwahrnehmung sind vollkommen unterschiedlich“, sagt Gerald Archangeli.

Zum schlechten Ruf der Branche haben aber auch Skandale beigetragen, seien es die „Lust-Reisen“ bei der Hamburg-Mannheimer, Adressenhandel bei der Debeka oder Luxus-Trips als Belohnung für Allianz-Vertreter.

Als Gründungsmitglied des Vereins Ehrbarer Versicherungskaufleute (VEVK) will sich Gerald Archangeli von solchen Geschäftspraktiken abgrenzen. Der Verein dient auch als Schiedsstelle, falls einem Mitglied unlautere Geschäftspraktiken unterstellt werden. Alle Mitglieder bekennen sich zu zehn Tugenden, zum Beispiel zum ethischen Handeln oder zu ihrer sozialen und politischen Verantwortung.

Im Alltag heißt das für Gerald Archangeli, dass er die Lebenssituation seiner Kunden im Auge hat – und nicht nur die eigene Provision. „Im Alltag bedeutet das beispielsweise, dass ich einem Berufsanfänger immer raten würde, seine monatlichen Abgaben zur Rentenversicherung so zu kalkulieren, dass er seinen Lebensstandard nicht stark einschränken muss“, sagt Archangeli.

Gespräche mit seinen Klienten über neue Versicherungspolicen führt er oft abends bei ihnen Zuhause. Den Einblick in das Leben seiner Klienten findet Gerald Archangeli das Spannendste an seinem Job. „Wir erfahren Dinge, die sonst nur ein Arzt oder ein Rechtsanwalt mitbekommt“, sagt der Versicherungsexperte.

Ein gewisses Einfühlungsvermögen sei für den Job essentiell. „Die Menschen melden sich meist, wenn sie etwas Schlimmes erlebt haben“, sagt er. „Dabei reicht die Palette von Ärgernissen wie einem Fahrraddiebstahl bis zu mittelschweren Katastrophen wie einem Wohnungsbrand.“

Einen Neun-bis-Fünf-Job erwartet angehende Kaufleute für Versicherungen und Finanzen, wie der Ausbildungsberuf seit 2006 heißt, also nicht, zumindest nicht im Außendienst. Dort landen aber zunächst auch die wenigsten Berufseinsteiger. Laut einer Umfrage des Berufsbildungswerks der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV) arbeiten fast 80 Prozent der ausgelernten Azubis erst einmal im Innendienst, das bedeutet, sie prüfen Schadensmeldungen oder beurteilen Risiken. Gut 20 Prozent sind im Außendienst tätig.

Was für ein Typ Mensch muss man sein, um in der Versicherungsbranche erfolgreich zu sein? Offen, zuverlässig, zielstrebig und verantwortungsbewusst sei ein guter Versicherungsmitarbeiter, sagt Martin Burg, Allianz-Regionalleiter Nord und Standortverantwortlicher für Berlin.

Versicherungskaufleute sind in ganz unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen beschäftigt. „Vertreter sind selbstständige Unternehmer. Kundenbetreuer sind entweder bei den Vertretern oder bei der Allianz direkt angestellt. Zudem gibt es so genannte Nebenberufsvertreter, die das Versicherungsgeschäft neben ihrem eigentlichen Beruf betreiben“, erklärt Burg. Das Gehalt festangestellter Vertriebsmitarbeiter der Allianz setzt sich aus einem Grundgehalt, variablen Anteilen und einer betrieblichen Altersvorsorge zusammen.

Der Einstieg in die Branche gelingt in der Regel über eine Ausbildung (siehe Kasten). Laut dem BWV verändert sich gegenwärtig die Struktur der Versicherungswirtschaft. Ein Teil der einfacheren Tätigkeiten falle im Rahmen einer zunehmenden Automatisierung weg. Wurde früher „von Hand“ policiert, erledigt das heute ein Computerprogramm.

Zugleich gibt es in der Branche einen höheren Bedarf an Akademikern für komplexere Aufgaben. Ihre Zahl ist in den letzten zehn Jahren um ein Fünftel gestiegen. 35 Prozent der Versicherungsakademiker haben einen wirtschaftswissenschaftlichen Abschluss, 18 Prozent sind Juristen und 12 Prozent Mathematiker. Die restlichen 35 Prozent der Hochschulabsolventen kommen aus unterschiedlichen Fachbereichen, zum Beispiel aus den Ingenieurwissenschaften. Doch auch für Quereinsteiger mit ausgefallenen Studienabschlüssen sind die Versicherer offen. Sinologen, Theologen oder Botaniker haben hier bereits einen Job gefunden. Der Einstieg für eine Fach- oder Führungslaufbahn könnte zum Beispiel über eine Stelle als Trainee oder Assistent erfolgen, wirbt Martin Burg von der Allianz.

Die Beschäftigungssituation verlief laut dem BWV trotz Finanzkrise in den letzten Jahren konstant. Berlin macht dabei als siebtgrößter Versicherungsstandort Deutschlands keine Ausnahme. Das bestätigt auch die Arbeitsagentur: Im Januar 2014 waren hier im Berufsfeld Versicherung/Finanzdienstleistungen 62 Menschen arbeitslos gemeldet, 90 freie Stellen wurden von den Unternehmen den Berliner Arbeitsagenturen gemeldet.

Das skurrilste Erlebnis, das Gerald Archangelis in seiner Karriere hatte, zeigt, dass Realität und Fiktion gelegentlich nicht weit auseinander liegen. Als Archangelis eine Kundin fragte, was er besser machen könnte als sein Vorgänger, erwiderte sie: „Hauptsache, Sie machen mir nicht auch ein Kind.“ Denn mit dem Vorgänger stritt sie sich um die rechtliche Anerkennung des gemeinsamen Sohnes. Es klingt wie eine Szene aus „Stromberg“.

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