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Arbeiten mit Kind: Fachkräftemangel zwingt Unternehmen zu Familienfreundlichkeit

Nach einer Studie ist für Arbeitnehmer mit Kind ein familienfreundlicher Betrieb ebenso wichtig wie das Gehalt. Immer mehr Unternehmen wenden sich dem Thema zu - wenn auch nicht ganz freiwillig.

Nicole Didlaukat, 36, hat sich auf den Donnerstag gefreut. Und ihre sechsjährige Tochter auch. Die Spezialistin für Kreditsicherheiten im Firmenkundengeschäft bei der Commerzbank wird auch in den nächsten Jahren relativ entspannt zur Arbeit gehen können, soweit Alleinerziehende überhaupt entspannt sein können. Am heutigen Donnerstag eröffnet die Commerzbank in Frankfurt am Main einen Hort für Mitarbeiterkinder. Kitas hat das Institut schon, aber mit dem Hort gehört die Commerzbank zu den ganz wenigen Unternehmen, die sich auch an die Betreuung von älteren Kindern wagen. Nicole Didlaukat sagt: "Ohne das Kita- und Hortangebot der Commerzbank könnte ich nicht in Vollzeit arbeiten."

Die Bank gehört mit ihrem Engagement für Familienfreundlichkeit zu den Pionieren in der deutschen Wirtschaft und ist mehrfach ausgezeichnet worden. Mittlerweile werden bundesweit rund 360 Kinder von Mitarbeitern in Krippen, Kindergarten und Hort betreut. Tendenz steigend.

In den vergangenen Jahren ist das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Führungsetagen der Unternehmen schleichend angekommen. Betriebe wollen beispielsweise von der Hertie-Stiftung für Qualitätsstandards zertifiziert werden oder beteiligen sich an Netzwerken wie „Erfolgsfaktor Familie“, das vom Bundesfamilienministerium initiiert wurde. Über 3600 Unternehmen haben sich hier verpflichtet, auf eine neue Balance zwischen familiären und beruflichen Ansprüchen hinzuarbeiten. Allerdings gibt es keine Zahlen darüber, wie viele Unternehmen sich auch an die Verpflichtungen halten – weder das Netzwerk noch Unternehmerverbände wie die DIHK, die das Projekt unterstützen, erheben sie. Es gibt keine Kontrolle, nur Handlungsdruck.

Längst hat der Fachkräftemangel und der daraus resultierende „War of Talents“ kleine Revolutionen in den Unternehmen provoziert. Die Telekom hat ein Projekt auf den Weg gebracht, das es auch Führungskräften ermöglichen soll, in Teilzeit zu gehen. Führungskräfte, sagen Wissenschaftler, seien vor allem für Väter wichtige Vorbilder, um sich zu trauen, eigene Bedürfnisse nach flexibler oder geringerer Arbeitszeit zu formulieren. Ein weiteres Projekt der Telekom will dem Fachkräftemangel begegnen, in dem eine Teilzeitausbildung und ein Studium für Alleinerziehende angeboten werden.

Umfragen und Studien befördern diese Entwicklung, auch wenn sie häufig noch ambivalente bis kritische Ergebnisse produzieren. In der jüngsten Allensbach-Umfrage zur Mitarbeiterzufriedenheit waren 56 Prozent der Meinung, dass ihr Arbeitgeber versuche, auf die familiäre Situation Rücksicht zu nehmen. Versuche! Jeder vierte Arbeitnehmer hat dagegen den Eindruck, im Betrieb werde Familie als Privatsache betrachtet.

Auf Seite 2: Familienfreundlichkeit so wichtig wie Gehalt

In einer Studie für das Bundesfamilienministerium sagten 90 Prozent der Beschäftigten mit Kindern, Familienfreundlichkeit sei ihnen ebenso wichtig wie das Gehalt. Für 77 Prozent der Eltern ist mangelnde Familienfreundlichkeit ein Grund, die Stelle zu wechseln. Dabei mache „Familienorientierung ein Unternehmen für Eltern erst interessant“, sagt ein leitender Angestellter des Pharmakonzerns Bayer. Und Angelika Schimansky, Personalleiterin für den Bereich Forschung von Bayer in Berlin, ergänzt: „Familienfreundliche Arbeitsbedingungen sind ein wichtiges Kriterium bei der Stellensuche. Mit flexiblen Arbeitszeiten und dem Angebot von Kitaplätzen erhöhen wir unsere Attraktivität als Arbeitgeber.“

Das Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik hat in Studien nachgewiesen, dass „familienbewusste Unternehmen leistungsfähiger sind“. In der über 100-seitigen, empirischen Studie „Betriebswirtschaftliche Ziele und Effekte einer familienbewussten Personalpolitik“ kommen die Autoren zu dem Ergebnis: „Familienbewusste Personalpolitik stellt einen wichtigen betriebswirtschaftlichen Entscheidungsparameter dar, der den Unternehmenserfolg positiv beeinflusst.“ Die befragten Mitarbeiter seien zu 17 Prozent produktiver. Man kann daran zweifeln, ob „Mitarbeiterzufriedenheit“ und „Produktivität“ tatsächlich messbar sind, aber diese Ergebnisse sind für die Unternehmen wichtig. Eine Mitarbeiterin aus einem großen Unternehmen sagt: „Es ist schon hilfreich, in eine Aufsichtsratsitzung zu gehen und sagen zu können: ,Meine Herren, das rechnet sich auch’.“

Auch die Commerzbank hat ihr Betreuungsengagement evaluiert und kommt zu dem gleichen Ergebnis: „Die Maßnahmen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf führen zu einem Return on Investment.“ Wie sehr sich das Modell rechnet, beziffert eine Sprecherin auf Anfrage: „Unterm Strich machen wir damit Gewinn. Der Return on Investment beträgt zirka 23 Prozent.“

Auf Seite 3: Bei der Hortbetreuung besteht "in allen Bundesländern Nachholbedarf".

Der Hort der Commerzbank wird bis 19 Uhr geöffnet sein, Bayer betreibt in Wedding seine Betriebskita für rund 150 Kinder bis zum Schuleintritt. Die Kita ist meist bis 18 Uhr auf. Die Betriebskita des Berliner Unfallkrankenhauses in Marzahn, vor allem vom Unternehmen Dussmann finanziell getragen, ist sogar bis 21 Uhr geöffnet und zwar, wie bei Bayer oder der Commerzbank auch, ganzjährig. Das können staatliche Kitas, Horte und Schulen nur sehr selten leisten.

Der aktuelle Monitor Familienforschung des Bundesfamilienministeriums hat nachdrücklich darauf verwiesen, dass es nicht nur darum geht, auf die kleinen Kinder zu schauen, also auf die Krippenkinder bis drei Jahre, sondern dass viele Eltern auch ein Betreuungsproblem für die Schulkinder zwischen sechs und 13 Jahren haben. Das Bundesfamilienministerium zitiert eine Studie, in der es heißt: „Bei flächendeckender Versorgung mit Ganztagsschulen und Horten in den Grundschulen würde die Erwerbsbeteiligung von Müttern in den alten Bundesländern um 3,5 und in den neuen um 1,3 Prozent steigen.“ Und: „ In allen Bundesländern besteht Nachholbedarf.“

Für alleinerziehende Mütter ist es besonders schwer, Vollzeitstellen anzunehmen. Laut Bundesregierung sind 40 Prozent der Haushalte mit alleinerziehenden Müttern auf Hartz IV angewiesen. Nicole Didlaukat ist zufrieden mit ihrem Arbeitgeber. Sie sagt: „Alles ist viel stressfreier, ich bin nicht an strenge Öffnungszeiten gebunden. Das alles ist eine große Hilfe und Erleichterung.“

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