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Wirtschaft: Arbeiten müssen wir trotzdem (Leitartikel)

Ddie Spekulanten kommen ins Grübeln. Das ist gut.

Ddie Spekulanten kommen ins Grübeln. Das ist gut. Der Einbruch der Technologiewerte in der vergangenen Woche hat die Euphorie an der Börse gedämpft. Das Märchen, Internetaktien bescherten mit ein bisschen Glück automatisch Reichtum, ist falsch. Es herrscht kein Casino-Kapitalismus.

Die Korrektur an den Börsen kommt der Deutschen Telkeom alles andere als gelegen. Heute beginnt die Zeichnungsfrist für die neue T-Online-Aktie. Jeder Fünfte will dabei sein, heißt es. Die Deutschen sind auf dem Weg, zu einem Volk von Aktionären zu werden. Ein Traum soll wahr werden: Reich werden ohne Arbeit. Das wäre das Ende des paradiesischen Fluchs, der den Menschen auftrug, im Schweiße ihres Angesichts Einkommen zu schaffen. Von Robert T-Online, der Werbekunstfigur der Deutschen Telekom, erhoffen viele die Aufhebung dieser Menschheitsbürde. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Zahl der Shareholder hierzulande verdoppelt; schon gibt es mehr Kleinaktionäre als Gewerkschaftsmitglieder. 1997 meldeten die deutschen Börsen gerade 35 Neuemissionen von Aktien; in diesem Jahr werden es mehr als 200 werden. Der Anlass für das Aktienfieber der Menschen ist nachvollziehbar: Wenn seit zehn Jahren die Realeinkommen allenfalls mäßig, die Börsenindizes aber zweistellig wachsen, dann entspricht es purer Rationalität, sich am spekulativen Geschehen zu beteiligen. Doch jeder Neuanfang neigt zur Überteibung. Die Deutschen, vor allem die Jungen, sind kurz davor, ein Volk der Zocker und Spieler zu werden.

Man muss nicht so weit gehen und den Sturz der Technologieaktien als List der Finanzmärkte deuten. Aber es ist, als hätten die Börsen der Welt sich zu einer pädagogischen Maßnahme versammelt. Je höher das Gewinnpotential, desto höher das Risiko, heißt die erste Lektion. Korrekturen der überbewerteten neuen Finanzmärkte waren längst überfällig. Auch Hoffnungswerte der Neuen Ökonomie dürfen nicht unbegrenzt Verluste machen und Potenzial immer nur für die Zukunft versprechen. Die zweite Lektion heißt: Für kurzfristigen Wertzuwachs taugen Aktien gerade nicht. Weil die Volatilität, also die Ausschlagsfreude der Kurse nach oben wie nach unten, bei den Werten der Neuen Ökonomie besonders groß ist, ist auf kein Wachstumsversprechen wirklich Verlass.

Wer also meint, der paradiesische Fluch lasse sich außer Kraft setzen, denkt naiv und unerwachsen. Ein Rückschlag für die neue Aktienkultur wäre bald die Folge. Schon der nächste Crash würde im Nu aus dem Volk der Aktienbesitzer wieder ein Heer von Antikapitalisten machen. Aber niemand sollte dem Kapitalismus zum Vorwurf machen, was dieser gar nicht versprochen hat. Denn das Risiko gehört zum Wettbewerb. Und niemand hat behauptet, die Erfolgsgeschichte der T-Aktien - Initialzündung der neuen Aktienkultur - lasse sich wiederholen. Im Gegenteil: Einige Anzeichen sprechen dafür, dass die T-Online-Aktie einer anderen Handelslogik folgen wird als die erste T-Aktie. Denn jetzt zeigt sich, wer wirklich von der Neuen Ökonomie profitiert: der Kunde. Erst dann kommt der Shareholder.

Die Preise von Gütern und Dienstleistungen, die im Internet gekauft werden, sind heute im Schnitt zehn Prozent billiger im Vergleich zum Einkauf bei Tante Emma oder im Supermarkt. Weil das so ist, werden immer mehr Menschen ihre Waren im Netz einkaufen. Und immer mehr Online-Unternehmen werden entstehen. Daraus folgt aber: Die Margen ihrer Gewinne werden kleiner. Viele Unternehmen werden aus der Neuen Ökonomie wieder verschwinden. Ohne Frage: Das Wachstumspotenzial, das die technische Revolution beschert, ist unvermindert hoch. Daraus folgt aber gerade nicht, dass die Gewinne der neuen Internetunternehmen weiter überproportional steigen werden.

Die Zeit der Monopolrenten im Netz neigt sich dem Ende zu. Das ist der ökonomische Sinn des Korrektursignals einbrechender Technologieaktien. Vieles spricht dafür, dass die heutige Internet-Revolution nach dem Muster früherer technisch ausgelöster Marktumwälzungen verläuft: Erst kommen die Erfinder, dann die Vermarkter, dann die Spekulanten. So war es schon bei der Erfindung Eisenbahn vor 150 Jahren. Zuletzt aber triumphieren die Kunden. Sie werden vom Internet noch profitieren, wenn die Spekulanten längst wieder ordentlich arbeiten.

Rainer Hank

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