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Abeitgeberpräsident Ingo Kramer führt die BDA seit Herbst 2013.

© Mike Wolff

Arbeitgeber-Präsident Kramer im Interview: „Bildung ist ein Thema für Sonntagsreden“

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer im Tagesspiegel-Interview über unterfinanzierte Kitas und Schulen, neue Arbeitszeitmodelle und die Berliner Aufgeregtheit.

Herr Kramer, Ihr Lieblingsthema ist Bildung. Wie bekommen wir denn mehr Wertschätzung für Erziehungsarbeit, wie Sie sich das wünschen?

Ich bedauere sehr, dass wir in dem Bereich der Kitas kaum Männer haben. Es gibt so ein überkommenes Rollenverständnis, wonach technische Berufe von Männern und Erziehungsberufe von Frauen ausgeübt werden. Das sollten wir versuchen zu ändern. Und gegenüber Schulen und Lehrern ist die Einstellung in unserer Gesellschaft nicht der Bedeutung dieser Institutionen angemessen. Es fehlt mir da an Empathie.

Sind deshalb mehr als zehn Prozent aller Schulabgänger nicht ausbildungsfähig?

Das hat verschiedene Ursachen, zu denen auch das Schulsystem und der Verlust klassischer familiärer Strukturen gehören. Heute sind 1,3 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 29 Jahren ohne Ausbildung, die Hälfte davon ist arbeitslos. Um die müssen wir uns kümmern.

Dann machen Sie doch.

Mit dem Projekt „Nordchance“ führen wir seit 2008 in Bremerhaven und an vielen anderen Orten in Norddeutschland lernschwache Jugendliche an die Arbeitswelt heran. Es gibt im ganzen Land jede Menge Initiativen dazu, die im Kern alle mit dem gleichen Mittel arbeiten: Man nimmt sich der Jugendlichen an, identifiziert die Defizite und kümmert sich persönlich in einer Art Patensystem. Diese jungen Menschen empfinden dann womöglich sogar zum ersten Mal das Gefühl: „Da gibt es jemanden, dem ich es wert bin, dass er sich um mich kümmert“. Das ist schon die halbe Miete.

Und wer macht den Paten?

Da kommen viele infrage. Natürlich ist das Bildungssystem Teil des Problems, wenn die Lehrer in der fünften oder sechsten Klasse bemerken, dass es schwierig wird mit dem Hauptschulabschluss und sie sich nicht richtig kümmern können. Also brauchen wir mehr Personal in den Schulen. Aber auch jeder Einzelne, ob Unternehmer oder Privatperson, kann sich in seinem Umfeld einbringen. Auf das Elternhaus allein können wir nicht immer setzen.

Warum nicht?

In meiner Heimatstadt Bremerhaven sind 50 Prozent aller Haushalte Singlehaushalte. Das ist durchaus typisch, und darauf haben wir uns auch mit unseren Bildungsinstitutionen einzustellen. Die Aufgabe muss sein, den 15 bis 20 Prozent der Jugendlichen, die Probleme haben, ins Arbeitsleben zu kommen, Türen zu öffnen. Wir brauchen dazu auch mehr Geld, gar keine Frage. Das Bildungssystem ist unterfinanziert.

Das sagen die Gewerkschaften auch.

Deshalb ist es ja nicht falsch.

Welche Resonanz bekommt der Arbeitgeberpräsident, wenn er das Thema gegenüber Politikern anspricht?

Bildung ist vor allem ein Thema für Sonntagsreden. Es fehlt mir an breiter und nachhaltiger Unterstützung für dieses unsere Zukunft sichernde Thema.

Ein Effekt der föderalen Struktur?

Vermutlich. Aber womöglich auch ein Effekt des politischen Kalküls: Bildungsinvestitionen wirken nur langfristig, also nicht unbedingt in einer Wahlperiode. Mit Bildung kann man sich nicht brüsten.

Also müssen es Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften selber wuppen, um auch künftig die Versorgung mit Fachkräften zu sichern?

Jedenfalls haben wir dafür Verantwortung. Viele sind auf dem Feld schon seit vielen Jahren tätig. Es ist ein Marathonlauf, eine kleinteilige Arbeit ohne große Schlagzeilen. Mit den Gewerkschaften und dem DGB sind wir uns da völlig einig und kooperieren in vielen Projekten.

Die IG Metall diskutiert gerade den Begriff „Bildungszeit“, analog zur Altersteilzeit, um das lebenslange Lernen zu fördern.

Da muss man aufpassen. Es gibt ja den Bildungsurlaub, mit allen möglichen absurden Erscheinungsformen, etwa Archäologie auf Mallorca.

Das erweitert den Horizont.

Da verwechseln Sie aber Urlaub und berufliche Weiterbildung. Es muss um ein besseres Zusammenwirken im Unternehmen gehen.

Die IG Metall will nicht nur Bildungszeit, sondern überhaupt mehr Zeitsouveränität für die Arbeitnehmer und flexible Ausstiegsmöglichkeiten. Was kommt da auf die Arbeitgeber zu?

Das Ziel des Unternehmens ist es, Kunden mit Produkten und Dienstleistungen nach deren Wünschen zu versorgen. Veränderungen der Kundenwünsche versuchen wir mit den Bedürfnissen der Arbeitnehmer zu verbinden. Veränderungen gibt es auf beiden Seiten ständig. Vermutlich haben wir beispielsweise in zehn Jahren Arbeitszeitmodelle, die für die Älteren eine Art Herausschleichen aus dem Erwerbsleben vorsehen.

Es geht nicht nur um Ältere, sondern auch um familienfreundliche Arbeitszeiten.

Da gibt es zwei Modelle: Teilzeitarbeit, während das Kind betreut wird, oder Vollzeit, weil es eine Ganztagsbetreuung gibt – in der Kita oder in der Schule, natürlich mit entsprechend qualifiziertem Betreuungspersonal. Dafür brauchen wir Personal, also auch Geld.

Das Geld kommt von den bislang geschonten Vermögenden und den Erben.

Brauchen wir nicht. Wir haben im Moment die höchsten Steuereinnahmen, die wir je hatten.

Das war in fast jedem Jahr nach 1945 so und hängt schlicht mit Wachstum und Wohlstand zusammen.

Dass wir keine Kredite mehr aufnehmen müssen, ist neu. Und die Frage ist doch, wofür wir Geld ausgeben. Die Bundesregierung hat innerhalb weniger Wochen entschieden, bis 2030 mindestens 160 Milliarden Euro zusätzlich für Renten ausgeben zu wollen. So lange wir solche Wahlgeschenke machen, steht für Bildung weniger zur Verfügung.

Nach vielen Jahren gibt es mal wieder eine Politik zugunsten von Arbeitnehmern und Rentnern.

Manche Punkte in der Agenda 2010 haben die Beziehung zwischen SPD und Gewerkschaften erheblich belastet. Das versucht man nun zu reparieren. Im Moment können wir uns das scheinbar erlauben, aber das wird erfahrungsgemäß nicht immer so bleiben. Die Wettbewerbsschwäche der 1990er Jahre haben wir unter anderem durch mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, die von einer rot-grünen Regierung durchgesetzt wurde, erfolgreich bekämpft. Wenn es der Wirtschaft schlecht geht, Unternehmen in Insolvenz gehen und Arbeitsplätze verschwinden, erst dann denkt die Politik wieder um.

Beim Umdenken können Sie ja helfen. Wie haben Sie das politische Geschäft hier in der Hauptstadt im ersten halben Jahr als Arbeitgeberpräsident erlebt?

Manche Dinge sind erstaunlich. Die Aufgeregtheit zum Beispiel, mit der Themen bisweilen von den Medien behandelt werden. Plötzlich wird ein Thema hochgekocht, und nach drei Tagen ist es wieder vorbei. Manchmal ist es nicht einfach nachzuvollziehen, welche Themen aus welchen Gründen nachhaltig sind und welche nicht.

Wie nachhaltig ist das Thema Tarifeinheit, bei dem die BDA seit vier Jahren eine erstaunliche Hartnäckigkeit an den Tag legt, obwohl Angela Merkel das nicht gerne anfasst?

Die Große Koalition will das regeln, und auch die Bundeskanzlerin sieht die Notwendigkeit dafür sehr wohl. Das Streikrecht wird ja auch nicht eingeschränkt. Wir wollen nur, dass die Friedenspflicht in einem Unternehmen eingehalten wird. Dass dabei verfassungsrechtliche Bedenken berücksichtigt werden, ist doch völlig klar. Deshalb braucht das seine Zeit.

Warum ist das Thema überhaupt so wichtig?

Weil wir in spätestens zehn oder 15 Jahren eine Situation befürchten, die in den 1980er Jahren in der englischen Industrie verheerend gewirkt hat. Wenn Sie ein Unternehmen mit Streiks verschiedener Beschäftigtengruppen permanent lahmlegen können, dann geht es bergab. Das wird ja auch in der Regierung und im DGB gesehen. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir in diesem Jahr eine gesetzliche Regelung bekommen werden.

Ihr Verhältnis zum neuen DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann ist gut. Hilft das bei einer Revitalisierung der Sozialpartnerschaft?

Das wäre wünschenswert. Wir beide leben jedenfalls die Sozialpartnerschaft, indem wir nach Lösungen suchen und keine Konflikte zur Eigenprofilierung schüren.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

DIE KARRIERE

Ingo Kramer (61), trat mehrfach in die Fußstapfen seines Vaters. Er übernahm die Führung des Familienunternehmens in Bremerhaven, das Rohranlagen, vor allem für Schiffe, baut. Und wie der Vater engagierte er sich in der FDP, deren Fraktion er in Bremerhaven leitete. Der Wirtschaftsingenieur war Präsident der IHK Bremerhaven und Präsident des Arbeitgeberverbandes Nordmetall. Seit Herbst 2013 ist Kramer Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).

DER VERBAND

Die BDA vertritt die Interessen der Wirtschaft in der Sozialpolitik. Zur Dachorganisation zählen 40 Verbände mit einer Million Unternehmen und 20 Millionen Mitarbeitern. Von 1996 bis 2013 führte Dieter Hundt die BDA.

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