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Arbeitnehmer: Comeback der Gewerkschaften

Die Gewerkschaften profitieren von der globalen Krise. Der Trend zur Entsolidarisierung ist erstmal vorbei, sagt ein Experte.

Berlin - Untergehen werden sie. Die Globalisierung, hieß es von Wirtschaftsexperten, überleben sie nicht. Und tatsächlich kehrten in den vergangenen Jahren immer mehr Arbeitnehmer den Gewerkschaften den Rücken. In den Verbänden im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) waren 2006 weniger als 20 Prozent der Beschäftigten organisiert. Ende der 70er waren noch fast 35 Prozent dabei. In den meisten westlichen Ländern – mit Ausnahme Skandinaviens – verloren die Arbeitnehmerverbände sogar noch mehr Mitglieder. In den USA war zuletzt nur noch jeder zehnte Beschäftigte dabei.

Doch die Gewerkschaften haben den Mitgliederschwund unter Arbeitnehmern gestoppt: „Die soziale Frage ist zurück und mit ihr ein Wertewandel“, sagt Klaus Dörre von der Schiller-Universität in Jena, der seit Jahrzehnten zu Gewerkschaften forscht. Der Trend zur Entsolidarisierung sei erst einmal vorbei.

Von einer „Kehrtwende“, sprach kürzlich auch Berthold Huber, Chef der 2,3 Millionen Mitglieder der IG Metall. Fast 16 000 Arbeitnehmer sind 2008 mehr ein- als ausgetreten. Auch die Gewerkschaft Verdi, 2,18 Millionen Mitglieder, verliert vielerorts nur noch Rentner. „Und wir gewinnen Beschäftigte dort, wo wir kämpfen“, sagen Funktionäre. So konnten 2008 nach Streiks in den Kommunen und im Nahverkehr neue Mitglieder rekrutiert werden. Und bei der Chemiegewerkschaft IG BCE ist man stolz, dass in diesem Ausbildungsjahr 60 Prozent der Lehrlinge beigetreten seien.

Vor allem während Tarifrunden gewinnen die Gewerkschaften neue Mitglieder, weil die Verbände dann mit Kampagnen in den Betrieben neue Leute erreichen. In den USA haben die Gewerkschaften, von denen sich viele als soziale Bewegung begreifen, im Zuge der Kampagne für Barack Obama 400 000 Arbeitnehmer gewonnen. Und so wollen auch die deutschen Gewerkschaften wieder nach vorne – und fordern derzeit höhere Löhne: bei der Bahn, der Lufthansa, im öffentlichen Dienst. Helfen könnte ihnen, sagt Dörre, ausgerechnet die Konkurrenz: Den DGB-Gewerkschaften drohen spezialisierte Berufsverbände Mitglieder abzunehmen. Die Flugbegleitergewerkschaft Ufo etwa verhandelt zwar erst seit 2002 mit der Lufthansa, konnte nach eigenen Angaben aber die Hälfte der Lufthansa-Stewardessen bei sich aufnehmen. Die hätte Verdi auch gern.

Die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) verließ die Tarifgemeinschaft mit dem DGB-Konkurrenten Transnet und startete 2003 Aktionen für einen eigenen Lok-Tarif. Tausende Mitglieder konnte die GDL aufnehmen, 35000 Lokführer gehören ihr jetzt an. Zwar haben die Lokführer trotz ihres spektakulären Arbeitskampfes 2007 kaum weitere Mitglieder gewonnen, Austritte verzeichnen sie aber auch nicht. Transnet dagegen verlor im vergangenen Jahr fast fünf Prozent der Mitglieder. Der Wechsel des ehemaligen Transnet-Chefs Norbert Hansen in den Vorstand der Deutschen Bahn war in der Gewerkschaft unpopulär. Der neue Transnet-Vorsitzende Alexander Kirchner kommt bei der Basis besser an.

Basisnähe hin oder her: Die Gewerkschaften haben es – trotz neuerlicher Erfolge – selbst im Boom Anfang vergangenen Jahres nicht geschafft, ihre Potenziale auszuschöpfen, betonen Politikwissenschaftler. Der Zuwachs an neuen Jobs war größer als das Mitgliederplus. Immerhin habe nun die Wirtschaftskrise neben allen Problemen gewerkschaftlichen Ideen zum Durchbruch verholfen, sagte DGB-Chef Michael Sommer kürzlich.

Die Parteien wissen um das gewerkschaftliche Protestpotenzial. Die SPD – traditionell dem DGB verbunden – hatte mit der Agenda 2010 viele Gewerkschafter verärgert. Da aber auch Linkspartei und CDU um die Gunst der Arbeitnehmerverbände buhlen, geht die SPD auf Tuchfühlung. In Thüringen seien führende Gewerkschafter in den vergangenen Wochen dringend gebeten worden, für die SPD zu kandidieren, sagt Dörre. „Die brauchen den DGB.“ Denn noch unpopulärer als die Gewerkschaften je waren, sind die Parteien. Hannes Heine

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