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Ohne Zuwanderung würde das Pflegesystem in Deutschland kollabieren.

© dpa/Sebastian Gollnow

Arbeitskräfte aus dem Nahen Osten: Neue Partnerschaft erleichtert Immigration

Ein Berliner Schulungsanbieter, ein weltweites NGO und eine Anwaltskanzlei bemühen sich im Nahen und Mittleren Osten um Softwareexperten für Deutschland.

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Emma Felsenstein ist in diesen Tagen im Irak unterwegs. Auf einer Art Akquisitionsreise der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) schaut sich Felseinstein, die für die Berliner Imagine Foundation arbeitet, in Bagdad und Erbil nach Fachkräften um für den deutschen Markt.

„Wir treffen im Irak Partner, die eine ähnliche Zielgruppe ansprechen wie wir, Studierende und Arbeitssuchende“, berichtet Felsenstein. „Über diese Organisationen kommen wir an Kandidaten und können hier unser Programm vorstellen.“

Die gemeinnützige Imagine Foundation schult Softwareentwickler und Tech-Talente, die nach Europa kommen möchten. Imagine, 2018 gestartet und getragen von 150 ehrenamtlichen Coaches, bietet die sechs bis neun Wochen dauernden Programme kostenlos an. „Unsere Kosten sind gering, und wir erhalten Spenden von Privatpersonen, Unternehmen und Stiftungen in Europa.“

Im Irak ist Felsenstein auf Einladung der bundeseigenen GIZ, die „gemeinsam mit unseren Partnern Menschen bessere Lebensbedingungen“ ermöglichen möchte. „400 Kandidatinnen und Kandidaten können wir in unseren Programmen im Monat aufnehmen und mit der Hilfe unserer Freiwilligen coachen“, erzählt Felsenstein im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

134.000
geflüchtete Fachkräfte stehen in der Kartei von TBB

Dazu kooperiert Imagine mit Talent Beyond Boundaries (TBB) – ein globales NGO, das geflüchtete Fachkräfte mit Arbeitgebern weltweit verbindet – und der Kanzlei Fragomen. Das Projekt kombiniert TBBs Zugang zu 134.000 Geflüchteten mit Fragomens Expertise im Einwanderungs- und Aufenthaltsrecht sowie dem auf bewerbungsrelevante Kompetenzen ausgerichteten Coaching von Imagine.

TBB hat bislang mehr als 400 Fachkräfte in die EU vermittelt. „Wir sind vor allem in Erstaufnahmeländern aktiv, also Nachbarländer von Staaten, die von Konflikten betroffen sind“, erläutert Jerome Dolling, der für TBB in Deutschland arbeitet. Dazu gehören der Libanon, die Türkei und Jordanien wegen Syrien, aber auch Kenia, Uganda und Südafrika, Pakistan, Indien und Kolumbien.

„Etwa die Hälfte der TBB-Kandidaten kommt aus Syrien“, sagt Dolling im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Deshalb unterhält TBB die größten Büros im Libanon und in Jordanien.

Wir sind gerade dabei, palästinensische Pflegefachkräfte im Libanon auszubilden und fit für den deutschen Arbeitsmarkt zu machen.

Jerome Dolling, Talent Beyond Boundaries 

Die anhaltende Schwäche der deutschen Wirtschaft schlägt inzwischen durch auf die Personaldienstleister. „Was den Bereich IT betrifft, wird derzeit nicht sehr viel aus Drittstaaten rekrutiert, in der Pflege oder im Bereich Ausbildung sieht das anders aus“, berichtet Dolling.

„Wir sind gerade dabei, palästinensische Pflegefachkräfte im Libanon auszubilden und fit für den deutschen Arbeitsmarkt zu machen.“ 40 Personen haben dafür einen Sprachkurs begonnen.

Die Rechtsexperten von Fragomen arbeiten seit Jahren und in mehreren Ländern mit TBB zusammen. Trotz Rezession und zunehmender Arbeitslosigkeit sei Arbeitsmigration für Deutschland unverzichtbar, meint Katharina Vorländer von Fragomen. „In vielen Branchen fehlen Spezialisten, die die Arbeitgeber nicht ausschließlich in Deutschland finden.“

Fragomen hilft bei der Beantragung eines Visums, das „auf Grundlage eines Arbeitsangebots oder geschlossenen Arbeitsvertrags beantragt wird“, erläutert Vorländer. „Nicht als geflüchtete Person, das ist ein großer Unterschied.“

Die Partnerschaft mit Imagine und TBB stoße hierzulande auf großes Interesse bei Bundesbehörden und verschiedener Institutionen, erzählt die Fragomen-Juristin. Zur Lösung des Arbeits- und Fachkräftemangel bedürfe es indes auch des Engagements der Unternehmen. Akteure wie TBB und IF, die Potenziale suchen und fördern, seien wertvolle Dienstleister für die Firmen.

„Ein großer Teil unserer Arbeit besteht darin, Unternehmen zu kontaktieren und sie bei der Ansprache, Einstellung und dem Onboarding internationaler Talente zu unterstützen“, erläutert Felsenstein. „Wenn da ein Match ist, kontaktieren wir das Unternehmen. Wir machen auch Akquise.“ Trotz aktueller Flaute sei der langfristige Trend eindeutig: „Die Nachfrage nach internationalen Fachkräften wird stetig steigen.“

Briten sind viel schneller als deutsche Behörden

Den Talenten vermittelten die Imagine-Coaches „Gefühl und Verständnis für den deutschen Arbeitsmarkt“, sagt Felsenstein. Zum Beispiel Kazim aus Afghanistan, der inzwischen für eine Firma in Deutschland arbeitet, die Hörgeräte produziert.

Kazim, aus Afghanistan in den Iran geflohen, wurde von Imagine gecoacht und dann von TBB sowie mit Unterstützung von Fragomen vermittelt. Zwischenzeitlich gab es Probleme mit der deutschen Botschaft vor Ort, doch TBB und Fragomen haben einen Ansprechpartner im Auswärtigen Amt, der helfen konnte.

„In einer Arbeitsgruppe mit verschiedenen Bundesministerien sowie der Bundesagentur für Arbeit und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, versuchen wir derzeit ein Ökosystem für die Arbeitsmobilität geflüchteter Fachkräfte aufzubauen“, sagt Dolling im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Im komplizierten föderalen Geflecht mischen viele Akteure mit bei der Zuwanderung und der Vergabe von Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Die Briten bräuchten für ein Visum fünf Tage, „davon können wir in Deutschland nur träumen“, erzählt Dolling. Zwei bis vier Monate seien in hierzulande üblich, in Berlin mindestens 15 Wochen.  

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