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Wirtschaft: Arbeitslos in Seattle

Die Billig-Konkurrenz aus Asien wird zum Problem für George Bush

Die Rechnung werde wunderbar aufgehen, hatte George W. Bush noch im vergangenen Herbst prognostiziert: Jeden Monat würden in der US-Wirtschaft 200000 neue Stellen entstehen. Damit wären bis zur Präsidentschaftswahl in diesem November jene 2,6 Millionen Jobs, die seit Bushs Amtsantritt verloren gingen, wieder ausgeglichen. Sein Versprechen wird Bush aber kaum einhalten können. Denn trotz des Aufschwungs stellen die US-Unternehmen kaum neue Leute ein. Obendrein hat der Trend zur Produktionsverlagerung in Billiglohnländer nun die Vereinigten Staaten erfasst. Ökonomen sagen, dass in den kommenden zwei Jahren jeder siebte US-Arbeitsplatz ins Ausland abwandern könnte. Das einstige Land des Jobwunders und des Turbo-Kapitalismus steht vor schweren Zeiten – das sorgt für Zündstoff im Wahlkampf.

Betroffen ist vor allem das produzierende Gewerbe. „Solange ein Fließbandarbeiter bei Ford oder General Motors mehr als 50000 Dollar pro Jahr verdient und die Gewerkschaften sich bei den Tarifverhandlungen auf die Hinterbeine stellen, werden immer mehr Jobs in der Autoindustrie nach Lateinamerika abwandern“, erklärt John McCarthy vom Wirtschaftsforschungsinstitut Forrester Research. Dasselbe gelte für die Textilindustrie. Dort haben alle, vom Sportartikelhersteller Nike bis zur Modefirma Calvin Klein, längst entdeckt, dass sich Tennisschuhe oder Designerjeans in China oder Indonesien zu einem Bruchteil der Kosten fertigen lassen. Mittlerweile stellt das produzierende Gewerbe in den USA nur noch 15 Prozent aller Arbeitsplätze. 1975 war der Anteil noch doppelt so hoch. McCarthy glaubt, dass während der nächsten 15 Jahre die Lohnsumme der Arbeiter um 136 Milliarden Dollar schrumpfen wird – und stattdessen an Beschäftigte im Ausland ausbezahlt wird.

Doch es trifft auch den Dienstleistungssektor – dafür sorgt der Staat selbst. Sozial Schwache aus Pennsylvania und New Jersey, die die Nummer einer Service-Hotline wählen, landen neuerdings in Indien und Mexiko.

Schneller Draht nach Neu-Delhi

Angeführt wird der Trend zu Outsourcing und Produktionsverlagerung allerdings von der Computerbranche. Konzerne wie IBM, Dell, Oracle oder der weltgrößte Onlinedienst AOL haben in Indien, Russland, China und auf den Philippinen Millionen von Arbeitsplätzen geschaffen, statt in den Staaten zu investieren. Typisch ist das Beispiel des indischen Softwareingenieurs, dessen amerikanischer Kollege 70000 Dollar pro Jahr verlangt. Der Akademiker in Bombay hingegen leistet für 11000 Dollar dieselbe Arbeit, erzielt damit immer noch das Zwanzigfache des durchschnittlichen Jahreseinkommens einer indischen Familie – und ist Experten zufolge sogar noch besser ausgebildet.

Auch simplere Jobs, etwa im Telefonmarketing oder im Kundendienst für die Citibank, sitzen oft nicht mehr in North Dakota oder Missouri, sondern in Neu-Delhi oder Manila. Denn die Einheimischen intensiv Englisch zu lehren, ihnen dann den Mindestlohn ihres Heimatlandes zu zahlen und Kundengespräche aus den USA nach Asien umzuleiten, ist billiger als die teuren US-Gehälter.

Die demokratische Opposition will dem Trend mit einer Neuauslegung internationaler Handelsabkommen begegnen. So fordert Spitzenkandidat John Kerry, dass sowohl für die nordamerikanische Freihandelszone Nafta als auch innerhalb der WTO schärfere Arbeits- und Sozialstandards eingeführt werden. Nur so könne das weitere Abwandern von Jobs und die Ausbeutung von Menschen in Billiglohnländern verhindert werden, sagt Kerry.

Peter De Thier[Washington]

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