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Wirtschaft: Arbeitslosigkeit im August auf Rekordhöhe

Experten: So viele Erwerbslose wie seit sechs Jahren nicht mehr / Handwerk für Kürzung bei ABM

Berlin (brö/ce). Die Arbeitslosigkeit in Deutschland dürfte im August so hoch gewesen sein wie seit sechs Jahren nicht mehr. Diese Ansicht vertraten am Mittwoch Wirtschaftsexperten im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „4,34 Millionen Menschen fehlt derzeit eine Beschäftigung“, prognostizierte Stefan Bielmeier von der Deutschen Bank. Das wären rund 330000 Arbeitslose mehr als im vergangenen Jahr. Eine Entspannung auf dem Jobmarkt erwarten die Fachleute frühestens mit der beginnenden konjunkturellen Erholung im nächsten Jahr. Am Donnerstag will die Bundesanstalt für Arbeit (BA) die offiziellen Zahlen für den August vorlegen.

Wegen der Wirtschaftskrise ist die Arbeitslosigkeit in diesem Sommer im Jahresvergleich nicht wie üblich zurückgegangen, sondern angestiegen. Im Juli waren 4,352 Millionen Menschen erwerbslos gemeldet, das war eine Quote von 10,4 Prozent. Auch ohne saisonale Effekte dürfte die Arbeitslosigkeit zugenommen haben. DeutscheBank-Experte Bielmeier schätzt das Plus auf 30000. Rainer Schmidt, Arbeitsmarkt-Experte beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW), geht sogar von 40000 Erwerbslosen mehr aus. Dies zeige, dass trotz der besseren Stimmung in der Wirtschaft von einem Aufschwung noch keine Rede sein könne, sagte er.

Eine Entspannung sei vorerst nicht zu erwarten, hieß es. Erst ab 2004 würden Produktion und Investitionen zunehmen, erwartet Ulrich Hombrecher, Chefvolkswirt der West LB, dann werde auch die Beschäftigung ansteigen. „Der Aufschwung muss sich erst als nachhaltig erweisen – dann wird es mit einem halben Jahr Verzögerung vielleicht neue Jobs geben“, vermutet er. Seit 2001 stagniert die deutsche Wirtschaftsleistung, derzeit ist sie sogar rückläufig. Für das kommende Jahr prognostizieren die Konjunkturforscher ein Wachstum von 1,5 Prozent.

Bevor die Erholung kommt, könnte die Arbeitslosigkeit aber noch eine neue Rekordmarke erreichen. „Wenn es in den Monaten Januar und Februar besonders kalt ist, werden wir mehr als fünf Millionen Arbeitslose haben“, sagte Deutsche-Bank-Mann Bielmeier. Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hält dies bislang für unwahrscheinlich.

Verantwortlich dafür sind die zu zaghaften Arbeitsmarkt-Reformen der Regierung, sagte Roland Döhrn, Konjunkturfachmann beim Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. „Die Wirkungen der Hartz-Reformen und des Job-Aktiv-Gesetzes sind überschätzt worden. Bislang haben sie sich als nahezu wirkungslos erwiesen“, kritisierte er. Erst wenn die Firmen wieder Bedarf an Arbeitskräften hätten, werde sich die Einführung von Personal-Service-Agenturen (PSA, siehe Lexikon), Ich-AGs und Job-Floatern bemerkbar machen, sagte Döhrn.

Eine Ausnahme sind die Mini-Jobs. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft vom Mittwoch sind durch die neuen Regeln für geringfügige Beschäftigungen bislang 900000 neue Stellen entstanden. Das Gros entfalle auf Menschen, die bisher nicht im Erwerbsleben gestanden hätten oder die ihre Schwarzarbeit legalisiert hätten. Insgesamt zählte die Bundesknappschaft, die für die geringfügig Beschäftigten zuständig ist, Ende Juni 5,8 Millionen Minijobber.

Hanns-Eberhard Schleyer, Generalsekretär des Handwerksverbandes ZDH und Mitglied der Hartz-Kommission, mahnte, den Hartz-Reformen mehr Zeit zu geben. Es sei noch zu früh, Erfolg oder Misserfolg etwa der PSA zu bewerten. Bislang hätten diese seit Mai aktiven Leiharbeitsagenturen weniger als 200 Menschen in einen festen Job vermittelt. „Hartz hat manches bewegt“, sagte Schleyer dem Tagesspiegel. Es sei nicht dramatisch, dass über den Job-Floater nur ein paar tausend Menschen in Arbeit gebracht worden seien. „Man muss auch mal etwas ausprobieren können.“ Er forderte die Regierung auf, wie im Kommissionsbericht vorgeschlagen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen stärker zurückzufahren und künftig nur noch über Steuern, nicht mehr aus der Arbeitslosenversicherung zu finanzieren. „Die Förderinstrumente der Bundesanstalt müssen radikal durchforstet werden“, mahnte Schleyer.

Ob auch die Binnennachfrage im Frühjahr 2004 anziehen wird, beurteilte Schleyer skeptisch. Womöglich stiege allein der Export an, nicht die Binnennachfrage. „Das Konsumverhalten ist viel zu schwach. Nach einem erheblichen Abbau von Arbeitsplätzen im Handwerk in diesem Jahr hoffen wir im nächsten Jahr zumindest auf eine Stabilisierung auf dem Arbeitsmarkt.“ Wie sich die Lage entwickle, hänge davon ab, in welchem Umfang Reformen verabschiedet würden und ob sich international ein Ende der Krise abzeichne.

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