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Altenpflege. In der Branche arbeitet gut jeder Zweite in Teilzeit.

© dpa

Arbeitsmarkt: Das geschönte Jobwunder

In Deutschland haben vergleichsweise viele Menschen Mini- und Teilzeitjobs – vor allem in der Pflege ist das oft unfreiwillig. Die schönen Arbeitsmarktquoten von Ministerin Nahles wirken vor diesem Hintergrund fragwürdig.

Arbeitsministerin Andrea Nahles kann sich freuen. Deutschland hat derzeit die niedrigste Arbeitslosenquote der Europäischen Union. Und selbst wenn man die Nicht-EU-Mitglieder einbezieht, stehen in kaum einem anderen Land Europas so viele Menschen in Lohn und Brot wie hierzulande. Die Erwerbstätigenquote in Deutschland – also der Anteil derer im erwerbsfähigen Alter, die einer geregelten Arbeit nachgehen – betrug 2013 gut 77 Prozent.

Bei der Beschäftigtenzahl ganz oben

Im europäischen Vergleich ist das Platz Nummer fünf. Besser waren nur noch Island, die Schweiz, Norwegen und Schweden. Und die Beschäftigtenzahl steigt weiter. Im Dezember 2014 erhöhte sie sich erneut um 22 000 – auf 42,87 Millionen. Im Vergleich zum Vorjahr legte sie noch mal um gut 400 000 zu.

Die monatlichen Erfolgsmeldungen der Bundesagentur für Arbeit sind jedoch nur eine Seite der Medaille. Die schönen Zahlen sagen nämlich weder etwas über die Art der Beschäftigung aus, noch darüber, wie viel die Menschen arbeiten. Es handle sich, erklärt der Ökonom und Konjunkturforscher Sven Schreiber, um eine „reine Personenzählung“, die keinen Unterschied mache zwischen Vollzeit- und Teilzeittätigkeiten. Und die insofern „irreführend“ sein könne.

Der Primus rutscht ab ins Mittelfeld

Der Anteil der Teilzeit- und Minijobs am Arbeitsmarkt sei in Deutschland deutlich höher als in anderen europäischen Ländern, betont Schreiber in einer Analyse für die Hans-Böckler-Stiftung. Die Erwerbstätigenzahl sei nur daher so beeindruckend, weil hierzulande mehr Menschen als anderswo in solchen Arbeitsverhältnissen steckten.

Berücksichtigt man auch die Arbeitszeit und rechnet sämtliche Arbeitsstunden auf Vollzeitstellen um, wie der Wissenschaftler dies getan hat, sieht die Sache ganz anders aus. Deutschlands Erwerbstätigenquote schrumpft dann auf nur noch etwas mehr als 66 Prozent zusammen – und der Primus rutscht ab ins Mittelfeld. Im europaweiten Vergleich belegt er plötzlich nur noch Platz elf. Höhere Quoten erreichen nun auch Finnland und Dänemark, selbst die Baltenstaaten und Tschechien schneiden besser ab.

Altenpflegerinnen finden wenig Vollzeitjobs

Das sei kein Wunder, weil auf dem deutschen Arbeitsmarkt zweierlei zusammenkomme, sagt Schreiber. Ein Viertel aller Beschäftigten habe keine volle Stelle – höher sei der Anteil nur noch in den Niederlanden und der Schweiz. Und von den Teilzeitjobbern arbeiteten viele, um sich oder dem Arbeitgeber Sozialabgaben zu sparen, besonders wenig. Minijobber machten in Deutschland die Hälfte aller Teilzeitbeschäftigten aus.

Dass viele davon gerne mehr arbeiten würden und dies auch könnten, hat jüngst eine auf Pflegekräfte bezogene Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) deutlich gemacht. Darin gab jede zweite Teilzeit-Altenpflegerin in Ostdeutschland an, nur deshalb im Job so kurz zu treten, weil eine Vollzeittätigkeit für sie nicht zu finden sei.

Gut jede zweite Helferin würde gerne mehr arbeiten

Am höchsten war der Anteil der unfreiwillig Teilzeitbeschäftigten mit 55 Prozent bei den Altenpflegehelferinnen. Der Teilzeit-Anteil in dieser Berufsgruppe beträgt mehr als 70 Prozent. Und auch von den (besser bezahlten) Fachkräften der Altenpflege, von denen gut jede zweite Teilzeit arbeitet, hätten 46 Prozent lieber einen Vollzeitjob.

Dieser Befund ärgert den Pflegebeauftragten und Chef des Arbeitnehmerflügels der Union, Karl-Josef Laumann, nicht nur deshalb, weil er in Widerspruch zu dem Dauerlamento über fehlende Pflegekräfte steht. Und wenn man wie Schreiber zur Gruppe der unfreiwillig Teilzeitbeschäftigten auch die dazuzählt, die aus familiären Gründen kürzer treten müssen, werden die schönen Quoten vollends fragwürdig. Dann nämlich arbeiten im Land des Jobwunders drei Viertel aller Teilzeitjobber erzwungenermaßen weniger, als sie möchten. Betroffen sind davon gut 10,7 Millionen Arbeitnehmer. Die meisten davon sind weiblich.

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