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Ulrich Walwei.

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Arbeitsmarkt-Experte im Interview: „Nur ein Drittel schafft den Aufstieg“

Ulrich Walwei, Vizedirektor des IAB über Geringverdiener, Minijobs und den gesetzlichen Mindestlohn

Herr Walwei, die Zahl der Niedriglöhner in Deutschland ist seit 2007 nicht gesunken. Warum ist der Aufschwung am Arbeitsmarkt an ihnen vorbeigegangen?

Von der besseren Arbeitsmarktsituation profitieren in erster Linie die höher qualifizierten. Der Niedriglohnsektor wird schon seit Mitte der 90er Jahre immer größer. Das hat einerseits damit zu tun, dass die einfachen Dienstleistungen zunehmen und andererseits weniger Firmen Tarifverträge haben. Zudem haben wir immer noch viele Langzeitarbeitslose, für die der Niedriglohnbereich eine Einstiegshilfe ist.

Doch viele schaffen keinen Aufstieg, wie die Zahlen des DIW zeigen.

Ja, nur ein Drittel der Geringverdiener schafft den Sprung über die Niedriglohnschwelle.

Die Minijobs scheinen das größte Problem zu sein. Plädieren Sie für eine Abschaffung des Instruments?

Minijobs sind nur selten eine Brücke in eine auskömmliche Beschäftigung. Man muss sie nicht abschaffen, aber neu strukturieren. Derzeit ist der Verdienst steuerfrei. Diese Subvention ist sinnvoll für die, die allein von ihrem Minijob leben, aber nicht nötig bei denen, die sich damit nur etwas hinzuverdienen. Diese Steuergelder sollte man besser für Leute nutzen, die trotz Vollzeittätigkeit kein Hartz-IV-Niveau erreichen, für die Aufstocker.

Was muss für die Frauen getan werden, die deutlich häufiger als Männer im Niedriglohnbereich arbeiten?

Man unterstellt häufig, dass Frauen freiwillig Minijobs machen, weil sie so Beruf und Familie vereinbaren können. In Wirklichkeit bleibt ihnen oft nichts anderes übrig, weil Kinderbetreuung und Pflege in Deutschland nicht besser organisiert sind. Die Unternehmen müssen besonders angesichts der Fachkräfteengpässe für familienfreundlichere Strukturen sorgen: Teilzeit, auch in Führungspositionen, eine Abkehr von der Präsenzkultur, mehr Heimarbeit.

Und die Politik?

Die muss die Kinderbetreuung ausbauen und falsche Anreize abschaffen. Ein Beispiel ist das Ehegattensplitting, das belohnt, wenn Frauen nicht oder kaum arbeiten. Ein sinnvolles Modell wäre ein Familiensplitting, das Steuervorteile für Kinder statt nur für die Ehe garantiert.

Kann der gesetzliche Mindestlohn die Zahl der Geringverdiener verringern?

Bei einem gesetzlichen Mindestlohn zwischen sechs und 8,50 Euro ändert sich erstmal die Zahl der Geringverdiener nicht, denn der Niedriglohnbereich beginnt unterhalb von 9,15 Euro pro Stunde. Er würde aber zumindest extrem niedrige Stundenlöhne um die vier bis fünf Euro unmöglich machen.

Welche Chancen räumen Sie ihm ein?

Ich bin nicht allzu optimistisch.

Ulrich Walwei (53) ist Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), der „Denkfabrik“ der Bundesagentur für Arbeit.

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