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Wirtschaft: Arbeitsmarkt im Osten hinkt hinterher - Aufhellung nur in Teilbereichen - Zu geringe Exportorientierung

Die Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt bleibt geteilt. In den neuen Bundesländern war nach Angaben der Bundesanstalt die Arbeitslosigkeit zwar um 49.

Die Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt bleibt geteilt. In den neuen Bundesländern war nach Angaben der Bundesanstalt die Arbeitslosigkeit zwar um 49.800 gesunken, bereinigt um Saisoneffekte erhöhte sich ihre Zahl hingegen um 6000. Im Unterschied zum Westen, wo die Zahl der Arbeitslosen im April um 104.900 Erwerbslose gesunken war, "hellt sich die Lage im Osten nur in Teilbereichen auf", sagte Bernhard Jagoda, der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, am Dienstag in Nürnberg. Die Stellenmeldungen entwickelten sich im Osten sehr unterschiedlich. In einigen Bereichen nehme die Zahl der gemeldeten offenen Stellen aber deutlich zu.

Jagoda warnte zugleich vor einer Überbewertung der saisonbereinigten Werte. Wie schon im Vormonat verzerrten sie wegen der günstigen Ergebnisse der sehr milden Wintermonate Dezember und November den tatsächlichen Verlauf der Erwerbslosigkeit im Frühjahr. "Da in den saisonabhängigen Außenberufen im Dezember und Januar weniger Menschen wegen der milden Witterung entlassen wurden, werden natürlich jetzt im Frühjahr auch weniger eingestellt", gab Jagoda zu bedenken.

Ein Grund für die gedämpfte Wirkung des Aufschwungs in den neuen Bundesländern auf den Arbeitsmarkt sei die mangelnde Exportorientierung der dortigen Wirtschaft, sagte Viktor Steiner, Arbeitsmarktexperte beim Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Betriebe aus den neuen Bundesländern spielten im Exportsektor kaum eine Rolle und profitierten daher auch von der derzeitigen Euro-Schwäche nicht. Im Osten sei die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit weitgehend auf das Missverhältnis von Produktivität und Löhnen zurückzuführen. "In vielen Branchen hat das Lohnniveau bereits 80 Prozent des Westniveaus erreicht, die Produktivität hingegen erst 50 Prozent", sagte Steiner. Der Grund: Ein Großteil des seit 1990 in die neuen Länder geflossenen Kapitals sei in weniger produktive Branchen wie den Bausektor fehlgeleitet worden, auch durch falsche steuerliche Anreize. Bei Neuinvestitionen werde aufgrund der dürftigen Produktivität pro Beschäftigtem zu viel Geld in Maschinen gesteckt. "Bei der schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt müssten die Unternehmen aber personalintensiver produzieren", so Steiner.

Auch Wolfgang Scheremet vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin sagte, das Problem sei die starke Bedeutung des Bausektors für Ostdeutschland. Seit Mitte der 90er Jahre gebe es aber eine Sättigung vor allem beim Gewerbebau und bei Infrastrukturmaßnahmen. Daher gehe es mit der Baubranche rapide bergab, während sich die Beschäftigtensituation in der Industrie auf allerdings niedrigem Niveau gebessert habe. Der leichte Aufbau der Industriebeschäftigung werde aber "überlagert durch die strukturellen Probleme beim Bau", fügte der DIW-Arbeitsmarktexperte hinzu. Erschwerend wirke, dass die öffentliche Hand weiter Stellen abbaue. Positive Aspekte gehen nach den Worten Scheremets auch im Osten von zukunftsträchtigen Branchen wie der Informationstechnologie (IT) aus. "Die Branche ist aber noch zu klein, dass man sagen könnte, das reißt es heraus", schränkte der Arbeitsmarktfachmann ein. Für den Einsatz in derartigen Branchen ließen sich auch arbeitslose Industriearbeiter umschulen. Sie müssten aber eine niedere Tätigkeit in Kauf nehmen.

Der Arbeitsmarkt-Experte Hans-Peter Klös vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln forderte, die Regierung müsse die günstige Konjunkturentwicklung nutzen, um wichtige Reformen des Arbeitsmarktes in Gang zu setzen. "Eine wirklich dauerhafte Senkung der Arbeitslosigkeit im Osten wird es erst geben, wenn der Markt dereguliert wird - mit einem einfacheren Einstieg in die Zeitarbeit, einer differenzierteren Lohnstruktur, einem gelockerten Kündigungsschutz und einer dezentral organisierten Lohnfindung", sagte er. Zudem sollten die Mittel für die wenig erfolgreichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in den neuen Bundesländern in öffentliche Aufträge umgewandelt werden. Das sei effektiver und würde in den Unternehmen für mehr Jobs sorgen, so Klös.

Die Reaktionen der Politik auf die neuesten Arbeitsmarktzahlen reichten von Erleichterung bis vorsichtiger Skepsis. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bekräftigte sein Vorhaben, die Zahl der Arbeitslosen bis zum Ende der Legislaturperiode unter 3,5 Millionen zu drücken. Arbeitsminister Walter Riester (SPD) sprach nach den neuesten Zahlen von einem "unübersehbaren Aufschwung". Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte verstärkte Anstrengungen zur Schaffung neuer Stellen, insbesondere durch verstärkte öffentliche Investitionen und mehr arbeitsmarktpolitische Investitionen im Osten. Dagegen sprach die CDU-Opposition der Regierung einen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit ab.

brö

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