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© dpa

Arbeitsmarkt: Zahl der Vollzeitstellen geschrumpft

Immer weniger Vollzeitjobs - dafür eine wachsende Zahl sogenannter atypischer Beschäftigungsformen: Binnen zehn Jahren hat sich seit Ende der 90er Jahre der Arbeitsmarkt in diese Richtung entwickelt, wie das Statistische Bundesamt nun in einer Erhebung belegt. Besonders junge Menschen sind von diesem Trend betroffen.

In den letzten zehn Jahren hat sich die Arbeitswelt erheblich verändert: Die Zahl der normalen Arbeitsverhältnisse - sprich, ein fester unbefristeter Job in Vollzeit, mit einem Gehalt, von dem der Lebensunterhalt problemlos bestritten werden kann - ist deutlich zurückgegangen. Dagegen sind die sogenannten atypischen Beschäftigungsverhältnisse - sei es der Mini-Job, die Teilzeitstelle oder die befristete Stelle - stetig angestiegen. Junge Leute sind von dieser Entwicklung am stärksten betroffen. Das ergab eine Untersuchung des Statistischen Bundesamtes, die im Zeitraum von 1997 bis 2007 die Entwicklung der Beschäftigungsverhältnisse der Erwerbstätigen im Alter von 15 bis 64 Jahre unter die Lupe genommen hat.

Bei der Gruppe im Alter der 15- bis 24-Jährigen hat sich die Zahl der atypischen Beschäftigungen fast verdoppelt und ist innerhalb von zehn Jahren von 19,5 auf 39,2 im Jahr 2007 angestiegen. Auch bei den 25- bis 34-Jährigen gab es einen Zuwachs von fast zehn Prozent. Bei der nächsthöheren Gruppe im Alter von 35 bis 44 steigerte sich die Anzahl ebenfalls deutlich um sieben Prozent im Vergleich zu den Älteren in der Gruppe der 45- bis 64-Jährigen.

Arbeitsmarktexperte: Schlechte Perspektiven für junge Leute

Die drastische Steigerung der atypischen Beschäftigungsformen besonders bei der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen zeigt nach Ansicht von Arbeitsmarktexperte Professor Rudolf Hickel von der Universität Bremen, wie stark sich die Perspektiven für junge Leute auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert haben. "Sie werden als Praktikant oder Trainee völlig unterbezahlt ausgebeutet und erhalten, wenn überhaupt, nur einen befristeten schlecht bezahlten Vertrag im Anschluss", kritisiert Hickel den Trend am Arbeitsmarkt. War es vor zehn Jahren eigentlich noch üblich, nach der Ausbildung sofort einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten und zu den Normalbeschäftigten zu gehören, ist heute das Gegenteil die Regel. Berufseinsteiger hangeln sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten, bevor sie darauf hoffen können, sich überhaupt bald zu den Normalbeschäftigten zählen dürfen.

Der Bildungsstand hat bei dieser Arbeitsmarktentwicklung generell entsprechenden Einfluss auf das Beschäftigungsverhältnis der Arbeitnehmer und ist noch wichtiger als früher. Menschen ohne anerkannte Berufsausbildung arbeiten am häufigsten in einem atypischen Arbeitsverhältnis. Dabei ist die Zahl von 1997 mit 26,6 Prozent auf 39,9 Prozent im Jahr 2007 gestiegen. Die Statistik zeigt: Je höher die Bildung ist, desto größer sind die Chancen auf ein Normalarbeitsverhältnis. Denn vergleicht man die Beschäftigungsverhältnisse in Relation mit der Bildung, wird sehr deutlich, dass atypische Beschäftigungen 2007 besonders bei Leuten mit einem mittleren Berufsabschluss eine größere Rolle spielten als zehn Jahre zuvor.

Beim Vergleich der weiblichen und männlichen Erwerbstätigen sind Frauen insgesamt viel mehr von atypischen Beschäftigungsformen betroffen als Männer. Bei den weiblichen Erwerbstätigen waren 38,4 Prozent im Jahr 2007 atypisch beschäftigt und bei den Männern nur 14 Prozent. Der Anteil atypisch beschäftigter Frauen unter den Arbeitnehmerinnen im Alter von 15 bis 24 Jahren war 1997 noch am geringsten, hat sich aber binnen zehn Jahren fast verdoppelt.

Atypisch Beschäftigte brauchen oft finanzielle Hilfe

Beim Einkommen schlägt sich die Art des Beschäftigungsverhältnisses ebenso nieder. Normalbeschäftigte können fast zu hundert Prozent ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren und oft sogar noch den von Angehörigen. Bei Menschen mit einer atypischen Beschäftigung sieht das anders aus. Sie können von ihrer Erwerbstätigkeit nicht unbedingt leben und müssen durchaus auf andere Hauptunterhaltsquellen zurückgreifen. Von den Personen, die im Jahr 2007 nicht normalbeschäftigt waren, gaben immerhin 70 Prozent an, dass sie mit ihrer Erwerbstätigkeit auch ihren Lebensunterhalt bestreiten. Allerdings mussten über sieben Prozent hauptsächlich von Hartz-IV-Leistungen leben - trotz Arbeit. Knapp drei Prozent griffen als Hauptunterhaltsquelle auf Vermögen oder Rente zurück und 1,7 Prozent waren auf andere Sozialleistungen als Haupteinnahmequelle angewiesen.

Den Zuwachs auf dem Niedriglohnsektor sieht Hickel äußerst kritisch: "Die Entwicklung zeigt, dass immer mehr Vollzeitjobs in Niedriglohn-Jobs umgewandelt werden." Das führt seiner Ansicht nach zu einer immer größeren Spaltung des Arbeitsmarktes in Vollzeitstellen und atypische Beschäftigungsformen. Er fordert entsprechende Maßnahmen, um diesen Trend aufzuhalten. Zum einen muss die Zumutbarkeit hinsichtlich des Annehmens von Arbeit bei Hartz IV gelockert werden, denn "es kann nicht sein, dass zum Beispiel eine Bankkauffrau nach einem Jahr jeden erdenklichen Job annehmen muss, ob sie davon leben kann oder nicht", findet Hickel. Zum anderen hält er die Einführung von Mindestlöhnen für dringend erforderlich, um den Unternehmen in diesem Punkt einen Riegel vorzuschieben.

Irja Most

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