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Wirtschaft: Arbeitsmarktreform: Rezepte gegen die Arbeitsmarkt-Misere

Hans-Werner Sinn Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, München Wie sollte die Arbeitsvermittlung reformiert werden?Die staatliche Arbeitsvermittlung scheint nicht gut zu funktionieren.

Hans-Werner Sinn Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, München

Wie sollte die Arbeitsvermittlung reformiert werden?

Die staatliche Arbeitsvermittlung scheint nicht gut zu funktionieren. Deshalb sollte man die Vermittlung von Arbeitslosen privatisieren. Private Arbeitsvermittler würden gewinnorientiert und erfolgreicher arbeiten als eine Behörde. Die Arbeitsämter sollten nur noch die Zahlung des Arbeitslosengeldes regeln.

Sollten die Transfers für Arbeitslose gekürzt werden?

Zum Thema Online Spezial: Die Arbeitsamts-Affäre Hintergrund: Der Reformplan Umfrage: Sollen Arbeitsämter privatisiert werden? Arbeitslosen- und Sozialhilfe müssen zusammengeführt werden. Sie sind zu hoch und verursachen Arbeitslosigkeit im Niedriglohnbereich. Sie wirken wie Mindestlöhne, weil sie nur gewährt werden, wenn man nicht arbeitet. Für Menschen mit geringerer Produktivität gibt es keine Jobs. Wir brauchen ein neues Sozialhilfe-System, bei dem der Staat Niedriglöhne aufstockt, statt Nichtstun zu bezahlen.

Wie schafft man es, die Langzeit-Arbeitslosigkeit zu senken?

Die niedrigsten Löhne hier zu Lande liegen bei 70 Prozent des Durchschnittsentgelts. Das ist zu viel, die Löhne für Langzeit-Arbeitslose müssen runter. Die Maßnahmen, die Langzeit-Arbeitslose integrieren sollen, brachten per saldo wenig, denn sie haben auf der anderen Seite Menschen aus dem Arbeitsmarkt gedrängt. Die neue Sozialhilfe würde auch für Langzeit-Arbeitslose Jobs schaffen.

Wie muss das Tarifsystem weiter entwickelt werden?

Wir brauchen mehr Öffnungsklauseln für schwächere Betriebe. Die Tarifverträge sollten nur noch Lohnleitlinien vorgeben. Sie müssen es Unternehmen ermöglichen, weniger als den geltenden Tariflohn zu zahlen, wenn die Belegschaft mehrheitlich dafür stimmt.

Wie löst man das Qualifizierungsproblem der deutschen Arbeitnehmer?

Qualifizierung ist immer gut, aber das ist nicht in erster Linie ein deutsches Problem. Unser duales Ausbildungssystem ist international Spitze, nur im akademischen Bereich hapert es, wie wir seit der Pisa-Studie wissen. Unsere Arbeitsmarkt-Probleme rühren nicht von einer mangelhaften Qualifikation der deutschen Arbeitnehmer her.

Ullrich Heilemann Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsforschungsinstitut (RWI), Essen

Wie sollte die Arbeitsvermittlung reformiert werden?

Konkurrenz belebt grundsätzlich auch hier das Geschäft, aber es gibt sie nicht umsonst. Ohne Frage wäre für Beitragszahler und Fiskus viel gewonnen, wenn Arbeitslose schneller wieder einen neuen Job fänden. Aber das eigentliche Problem sind die schwer vermittelbaren Arbeitslosen, nicht das "Vermittlungsproblem". Vor Schnellschüssen ohne eingehende Analyse warne ich.

Sollten die Transfers für Arbeitslose gekürzt werden?

Die Kürzung der Bezüge oder der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld wird die Bereitschaft, Arbeit anzunehmen und die Suchintensität erhöhen. Das Ausmaß ist freilich ungewiss. Fraglich ist zudem, ob eine Erhöhung des Drucks angesichts der Beitragsfinanzierung auch politisch gewollt ist. Außerdem sollten sich Politik und Administration stärker um die Miss-brauchskontrolle kümmern.

Wie schafft man es, die Langzeit-Arbeitslosigkeit zu senken?

Erstens durch höheres Wirtschaftswachstum. Zweitens durch den Erwerb der gesuchten Qualifikationen, was an erster Stelle eigene Anstrengungen und Förderung voraussetzt. Drittens dadurch, dass die Unternehmen ihre Beschäftigungs- und Einstellungspraxis überprüfen, denn letztlich bezahlen sie für den "Jugendkult", für dessen Prämierung auch die Politik gesorgt hat.

Wie muss das Tarifsystem weiter entwickelt werden?

Differenzierung, Spreizung und Flexibilisierung gehen in die richtige Richtung. Wichtiger ist aber, dass die Arbeitsmarktlage bei der Lohnfindung eine stärkere Rolle spielt, nicht nur in Konjunkturkrisen. Erfolgreich wird nur eine Beschäftigungsorientierung über mehrere Jahre sein. Wenn die Verteilungsspielräume nicht ausgeschöpft werden, bleibt den Betrieben für eigene Regelungen Spielraum.

Wie löst man das Qualifizierungsproblem der deutschen Arbeitnehmer?

Durch Anreize, sowohl finanzielle als auch indirekte - wer sich nicht qualifiziert, bekommt das auch zu spüren. Generell sollen bei jungen Menschen Eltern und Staat so viel Hilfe leisten wie möglich - die volkswirtschaftliche Rendite derartiger Anstrengungen ist hoch. Der Staat kann kaum familiäre und persönliche Defizite ausgleichen. Die Demographie wird das Arbeitsmarkt-Problem nicht lösen.

Horst Siebert Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel

Wie sollte die Arbeitsvermittlung reformiert werden?

Die Bundesanstalt für Arbeit sollte privater Dienstleister und flacher organisiert sein. Sie sollte sich im Wettbewerb mit dem privaten Vermittler messen. Im Übrigen: Eine Optimierung der Vermittlung löst nicht das massive Problem der Arbeitslosigkeit.

Sollten die Transfers für Arbeitslose gekürzt werden?

Ja, das Arbeitslosengeld sollte wieder auf maximal ein Jahr befristet werden, wie es bis Mitte der Achtziger Jahre der Fall war. Die Arbeitslosenhilfe sollte mit der Sozialhilfe integriert werden. Um einen Lohnabstand zum ersten Arbeitsmarkt zu haben, sollte die Sozialhilfe für diejenigen, die arbeitsfähig sind, knapper bemessen werden.

Wie schafft man es, die Langzeit-Arbeitslosigkeit zu senken?

Indem man die Arbeitslosen bei den Tarifverhandlungen berücksichtigt.

Wie muss das Tarifsystem weiter entwickelt werden?

Die kollektive Lohnfindung muss näher an die Marktprozesse herangeführt werden. Beim Günstigkeitsprinzip muss die Sicherheit des Arbeitsplatzes berücksichtigt werden. Betriebliche Bündnisse für Arbeit müssen erlaubt werden, wenn Einvernehmen im Betrieb herrscht.

Wie löst man das Qualifizierungsproblem der deutschen Arbeitnehmer?

Jeder Arbeitnehmer muss es als seine eigene Aufgabe ansehen, sein Humankapital zu pflegen und zu entwickeln und in seine Qualifizierung zu investieren. Der Staat muss hierfür die Rahmenbedingungen schaffen. Vor allem darf das Arbeits-einkommen nicht mit so hohen Grenzsteuer- und Abgabesätzen - 60 Prozent für den Durchschnittsverdiener - wie derzeit belastet sein.

Rüdiger Pohl Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)

Wie sollte die Arbeitsvermittlung reformiert werden?

Bei privaten Vermittlern muss gesichert sein, dass diese nur bei echten, nachhaltigen Vermittlungen Geld vom Arbeitsamt bekommen. Beim Arbeitsamt können Flexibilität und Motivation der Mitarbeiter verbessert werden. Doch die beste Reform nützt nichts, wenn keine Arbeitsplätze frei sind. Wichtiger ist daher die Dynamisierung des Arbeitsmarktes. Hier geschieht leider nichts.

Sollten die Transfers für Arbeitslose gekürzt werden?

Wer unverschuldet arbeitslos wird, hat es schwer genug und darf nicht noch in wirtschaftliche Not geraten - also keine Kürzung. Aber Anspruch auf Zahlung soll nur der haben, der ernsthaft eine neue Arbeit sucht und hierbei auch auf überzogene Ansprüche verzichtet. Kürzung also für die, die es mit der Arbeitssuche nicht so ernst meinen.

Wie schafft man es, die Langzeit-Arbeitslosigkeit zu senken?

Nur, wenn die Gesamtarbeitslosigkeit kräftig sinkt, aber nicht durch Verrentung, sondern, weil es einen Boom an neuen Arbeitsplätzen gibt, baut sich auch die Langzeitarbeitslosigkeit ab. In einem Umfeld von Millionenarbeitslosigkeit, wie wir es leider derzeit haben, rutschen indes immer wieder Arbeitslose in die Langzeitarbeitslosigkeit.

Wie muss das Tarifsystem weiter entwickelt werden?

Vieles ist in die richtige Richtung gegangen. Die Tariflöhne haben sich in den letzten Jahren moderat entwickelt; das spiegelt wirtschaftliche Vernunft. Die Ausdifferenzierung und Flexibilisierung der Tarifverträge muss weiter gehen. Dagegen stimmt das Umfeld nicht: Tarifverträge wirken auf Arbeitsmärkten, die durch zahllose Regulierungen deformiert sind. Hier sind Reformen überfällig.

Wie löst man das Qualifizierungsproblem der deutschen Arbeitnehmer?

Gibt es eins? Die meisten Arbeitnehmer sind doch gut qualifiziert. Natürlich gibt es im Strukturwandel immer wieder Arbeitsmarktsegmente, wo Qualifizierte fehlen. Da muss die Wirtschaft selbst die Initiative ergreifen. Weiterbildung gilt es auszubauen. Und die Initiative zur Verbesserung der Schulausbildung (Stichwort: Pisa-Studie) darf nicht wieder einschlafen. Gibt es sie überhaupt schon?

Thomas Straubhaar Hamburgisches Welt-Wirtschaft-Archiv (HWWA)

Wie sollte die Arbeitsvermittlung reformiert werden?

Private Arbeitsvermittler sollten die gleichen Rechte bekommen wie die staatlichen. Die Arbeitsämter sollten sich darauf beschränken, Arbeitslose über ihre Rechte und Möglichkeiten zu informieren und ihnen die Unterstützung zu überweisen. Deshalb können die Ämter viel schlanker werden, damit kann der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinken.

Sollten die Transfers für Arbeitslose gekürzt werden?

Ja, die maximale Dauer des Arbeitslosengeldes muss sinken. Eine Differenzierung ist denkbar: Arbeitslose könnten wählen zwischen einem hohen Betrag für eine kurze Zeit oder einem niedrigen für länger. Außerdem muss das Prinzip "Fordern und Fördern" gestärkt werden. Arbeitslosen- und Sozialhilfe müssen zusammengelegt und abgesenkt werden, um mehr Jobs im Niedriglohn-Sektor zu schaffen.

Wie schafft man es, die Langzeit-Arbeitslosigkeit zu senken?

Indem durch flexiblere Löhne und eine bessere Vermittlung Langzeit-Arbeitslosigkeit gar nicht erst entsteht. Zudem muss es Subventionen für den Niedriglohnsektor geben, die über das neue Mainzer Modell hinausgehen und an all jene fließen, deren Produktivität zu gering ist. Eine negative Einkommenssteuer für Erwerbstätige wäre das Richtige.

Wie muss das Tarifsystem weiter entwickelt werden?

Wir brauchen eine stärkere Differenzierung der Löhne. Sie müssen sich stärker an der Produktivität der jeweiligen Belegschaft in den Betrieben orientieren. Die Flächentarife machen es erfolgreichen Betrieben zu leicht und kriselnden Firmen zu schwer. Gesetze wie das Tariftreue-Gesetz und die Möglichkeit der Regierung, Tarife für allgemeinverbindlich zu erklären, sind überflüssig.

Wie löst man das Qualifizierungsproblem der deutschen Arbeitnehmer?

Qualifizierung ist Sache jedes Einzelnen, nicht des Arbeitgebers oder des Staates. Lebenslanges Lernen ist die beste Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. Der Staat muss nur dafür werben, mehr nicht. Notwendig ist indes eine stärkere Privatisierung des Bildungswesens und eine Orientierung hin zu mehr Wettbewerb, um die Ausbildung zu modernisieren.

Klaus F. Zimmermann Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin

Wie sollte die Arbeitsvermittlung reformiert werden?

Die neue Institution muss von der Politik unabhängig sein. Die Selbstverwaltung hat keine Zukunft. Aufgaben wie Statistik, Forschung oder Kindergeldauszahlung sollten von der Vermittlung getrennt werden. Bei der Vermittlung muss die Kooperation mit den Firmen enger werden. Es muss ferner ein Wettbewerb zwischen den Arbeitsämtern und privaten Vermittlern organisiert werden.

Sollten die Transfers für Arbeitslose gekürzt werden?

Der Bezug des Arbeitslosengeldes muss auf maximal ein Jahr verkürzt werden. Arbeitslosen- und Sozialhilfe sollten zusammengeführt und gesenkt werden. Arbeitsfähige müssten zur Auflage bekommen, einen angebotenen regulären Job anzunehmen, sonst werden ihre Transfers gekürzt. Ferner ist denkbar, die neue Hilfe pro Person lebenslang nur für eine begrenzte Periode zu gewähren.

Wie schafft man es, die Langzeit-Arbeitslosigkeit zu senken?

Durch eine frühzeitige Vermittlung und schärfere Anforderungen an den Arbeitslosen, kombiniert mit Wiedereingliederungszuschüssen. Dennoch verbeibt ein signifikanter Sockel von Menschen, die auch durch Weiterbildungsanstrengungen nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Hier wäre eine Dauersubvention von Beschäftigung eine angemessene Maßnahme.

Wie muss das Tarifsystem weiter entwickelt werden?

Das Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung durch die Bundesregierung sollte abgeschafft und betriebliche Ausstiegsklauseln gesetzlich geregelt werden. Die Tarifabschlüsse sollten über mehrere Jahre laufen, sich stärker regional, sektoral und nach Leistungsgruppen differenzieren sowie an der langfristigen Produktivität orientiert sein.

Wie löst man das Qualifizierungsproblem der deutschen Arbeitnehmer?

Der Bedarf an Hochqualifizierten steigt stark, daher muss das Zuwanderungsgesetz sofort verabschiedet werden. Eine Vertagung ist unverantwortlich und populistisch. Die Weiterbildung Geringqualifizierter ist eine langfristige Aufgabe. Sie sollten Weiterbildungen kombiniert mit geförderten Jobs erhalten. Das gesamte Bildungssystem muss reformiert werden, um lebenslanges Lernen zu ermöglichen.

Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung[M&uuml]

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