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Nirgendwo zuhause. Adam Jaskula lebt seit vier Wochen in Berlin – nach Stationen in England und Frankreich, Norwegen und Zypern, Spanien und Schweden.Foto: Mike Wolff

© Mike Wolff

Arbeitsmigration in Europa: Wenn die Körperkraft das einzige Kapital ist

Die Zahl der Zuwanderer nimmt in Deutschland nicht erst seit der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Bulgaren und Rumänen zu. Ein Mann aus Polen suchte in sechs europäischen Ländern einen festen Job. Nun hofft er auf Berlin.

Mit einem Rucksack steht Adam Jaskula am Kottbusser Tor und hat alles bei sich, was er besitzt. Viel braucht er nicht zum Leben, das brauchte er noch nie. Das Einzige, worauf er nicht verzichten kann, ist seine Körperkraft. Weil er keine berufliche Ausbildung hat, ist sie alles, was er auf dem Arbeitsmarkt anbieten kann. Sie ist sein Kapital. Damit lebt er seit vier Wochen in Berlin. Nach Zwischenstopps in England und Frankreich, Norwegen und Zypern, Spanien und Schweden. Es ist ein Leben auf dem Weg nach Irgendwo, das der 37-Jährige seit Jahren führt. Quer durch Europa. Ohne lange Rast.

Immer wieder ein neuer Anfang

Damit sein jüngster Neuanfang gelingt, hilft ihm Katarzyna Hudec, 31, Sozialarbeiterin. Sie ist Mitglied des Projekts „Frostschutzengel“, das sich im Rahmen der Berliner Kältehilfe um obdachlose Menschen aus Osteuropa kümmert. „Viele kommen mit der märchenhaften Vorstellung zu mir, dass ich ihnen sofort eine Arbeit besorge“, sagt die Berlinerin mit polnischen Wurzeln. „Die Realität ist für sie dann oft frustrierend.“ Bei Adam Jaskula ist Hudec zuversichtlich. Er möchte die deutsche Sprache verstehen und so schnell wie möglich arbeiten. Er ist bei jedem ihrer Treffen pünktlich. Und nüchtern.

Geboren ist Jaskula in Polen, doch über seine Heimat möchte er nicht sprechen. „Ein verrücktes Land ist das“, sagt er in gebrochenem Englisch. Ein Land ohne Zukunft für ihn. Deswegen entschied er sich mit Anfang 20, nach Paris zu gehen. Doch geblieben ist er nicht. Zu viele Betrunkene und Junkies seien in den Obdachlosenunterkünften gewesen. Zu viel Elend und Gewalt. „Noch zwei, drei Wochen und ich hätte auch zur Wodkaflasche gegriffen“, sagt er. Deswegen machte er sich wieder auf den Weg, arbeitete ein Jahr in England als Taxifahrer und ebenso lang in Zypern auf dem Bau. Erst als seine Mutter schwer krank wurde, kehrte er zu seinen Wurzeln zurück. Zurück nach Warschau.

Problem spitzt sich seit Jahren zu

Um ihre Behandlung zu bezahlen, saß Adam Jaskula am Steuer einer alten Straßenbahn. Schlecht bezahlt und bis zu 16 Stunden am Tag. Nach dem Tod seiner Mutter zog er zwei Jahre später wieder in die Ferne. Nach Norwegen, wo er als Babysitter arbeitete. Nach Spanien, wo er Möbel restaurierte. Nach Schweden, wo er Prospekte verteilte. Sein Plan für Berlin? Deutsch lernen, eine Friseurlehre machen, endlich ankommen.

„Ich habe schon viele Menschen gesehen, die an der Wanderarbeit kaputtgegangen sind“, sagt Katarzyna Hudec. Vor allem seit der wirtschaftlichen Krise in Spanien und Griechenland. Warum die Frauen und Männer ihrer Heimat in jungen Jahren den Rücken kehren und ganz alleine nach einem Platz für sich suchen, weiß sie in den meisten Fällen nicht. Auch Adam Jaskula schweigt über seine Beweggründe, seine Vergangenheit, seine Herkunft. Trotz der psychischen und finanziellen Probleme ihrer Klienten betont die Sozialarbeiterin: Von den 200 Personen, die sie bislang betreut hat, habe niemand Sozialleistungen haben wollen. „Die Menschen, die aus Polen, Rumänien oder Bulgarien hierhinkommen, liegen dem Staat hier nicht auf der Tasche. Sie wollen arbeiten und tun das meistens vollkommen unterbezahlt.“

Hin und Herreisen beginnt an seiner Kraft zu zerren

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat in Berlin eine Beratungsstelle für entsandte Beschäftigte aus dem Ausland eingerichtet. Die Hauptprobleme: Lohnbetrug. Scheinselbstständigkeit. Arbeiten ohne Arbeitsvertrag. Unrechtmäßige Kündigungen. Ausbeutung. Seit 2010 haben die drei Mitarbeiterinnen 2500 Menschen beraten und sie unterstützt, etwa wenn ihnen Lohn vorenthalten wurde. Um einen Gesamtbetrag von 500 000 Euro ging es dabei. „Ein Klient sagte mir, er erwähne bei der Arbeitssuche das Wort Vertrag schon gar nicht mehr. Und das ist nur ein Beispiel“, erzählt Doritt Komitowski von der DGB- Beratung. Die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit, die für Menschen aus Polen seit 2011 gilt (siehe Kasten), habe an den prekären Verhältnissen nicht viel geändert.

Anfällige Branchen für Schwarzarbeit

Dilek Kolat, Berliner Senatorin für Arbeit, Frauen und Integration, äußert sich zu dem Thema der Arbeitsmigration grundsätzlich positiv: „Nach den bisherigen Erfahrungen mit der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit wissen wir, dass immer weniger Menschen gekommen sind als seit 2011 prognostiziert.“ Illegale Beschäftigungsverhältnisse, mit denen die Beratungsstelle für entsandte Beschäftigte täglich zu tun hat, möchte die Senatorin dennoch bekämpfen. Deshalb habe sie kürzlich die Kontrolleure für Schwarzarbeit begleitet. „In der Hauptstadt gibt es eine hohe Baustellendichte sowie ein großes Gastgewerbe. Diese Bereiche sind besonders anfällig für Schwarzarbeit“, sagt Kolat. Ohne einen Cent in der Tasche sucht Adam Jaskula in genau diesen Branchen nach einem Job.

Abzocken auf dem Arbeiterstrich

Zwar hat Sozialarbeiterin Katarzyna Hudec einen Deutschkurs für ihn gefunden und kennt auch eine Friseurin, die ihm vielleicht weiterhelfen kann, doch das kann dauern. Deswegen blättern sie in ihrem Büro gemeinsam zwei polnischsprachige Zeitschriften mit Stellenanzeigen durch. „Für den Übergang ist eine Tätigkeit auf dem Bau in Ordnung“, sagt die 31-Jährige. „Das Problem ist nur, dass viele Anzeigen Abzocken sind.“ So wie jene Angebote, die den Menschen auf dem S-Bahnhof Frankfurter Allee gemacht werden. Manchmal verdienen ihre Klienten zehn Euro am Tag. Manchmal im Monat. Manchmal nicht einmal dann.

Trotz allem hofft Jaskula, in Berlin eine Arbeit und eine Wohnung zu finden. „Mit 20 Jahren reizt das Hin- und Herreisen noch, doch so langsam möchte ich zur Ruhe kommen“, sagt er. Die Jahre auf den Straßen Europas beginnen, an seiner Kraft zu zerren. Und an dem Glauben, dass er Koffer und Rucksack einmal für eine lange Zeit auspacken darf.

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