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Arcandor-Insolvenz: Ordnungspolitiker versus Sozialpolitiker

In der Großen Koalition herrscht dicke Luft. Zwei Schulen streiten um die richtige Strategie für Arcandor. Und Großaktionärin Schickedanz wirbt um Verständnis

Nach dem Fall Opel sorgt nun auch die Insolvenz der Karstadt-Mutter Arcandor für einen offenen Schlagabtausch in der Großen Koalition. Selbst aus Moskau drangen Wahlkampftöne bis nach Berlin, als Frank-Walter Steinmeier, Außenminister, Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat in Personalunion, Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg von der CSU scharf anging.

Jetzt gehe es um Job-Sicherung, aber nicht darum, "ordnungspolitische Grundsatzdebatten über Insolvenzen" zu führen, ließ Steinmeier am Mittwoch zwischen dem Treffen mit der Kreml-Spitze wissen. "Es kann doch nicht sein, dass der Arbeitsminister für Arbeit kämpft und der Wirtschaftsminister für Insolvenzen." Stattdessen müssten auch in der Regierung alle an einem Strang ziehen. "Ich hoffe, dass das auch die Auffassung des Wirtschaftsministers wird". Und sollte es Regierenden egal sein, was mit Abertausenden von Arbeitsplätzen passiere, sollten sie in ihrem Amtseid noch einmal ihre Pflicht nachlesen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.

Von Unionsseite ließ die Antwort nicht lange auf sich warten. Steinmeier sei wohl wegen des SPD-Ergebnisses bei der Europawahl "etwas nervös", lästerte Saar-Ministerpräsident Peter Müller (CDU) noch vergleichsweise milde über das "dumme Zeug", das der SPD-Spitzenmann von sich gebe. Andere Unions-Größen schossen schärfer zurück: Schwachsinn, Panik und Verzweiflung. CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach nannte die Angriffe Steinmeiers Schwachsinn. "Irgendwer muss Steinmeier nach der Europawahl gesagt haben, er müsse jetzt aggressiver werden." Er erwarte von der SPD weitere harsche Töne. Bosbach: "Wer Panik hat, schlägt um sich."

Auch Alexander Dobrindt ließ die Angriffe gegen seinen Vorgänger im Amt des CSU-Generalsekretärs nicht unkommentiert. Die Bundesregierung könne sich keinen SPD-Kanzlerkandidaten leisten, der wirtschaftspolitisch komplett die Orientierung verloren habe. "Der Weg aus der Krise geht nur mit dem Guttenberg-Effekt und nicht mit dem Steinmeier-Defekt." Dieser werde dagegen immer mehr zur Belastung für die Koalition. "Er ist sogar schon zum Mühlstein um den Hals der SPD geworden und kaum in der Lage, Gedanken zu entwickeln, um Deutschland aus der Krise zu führen." Die SPD solle sich schämen für ihren "Söldner aus Russland".

Merkels Ratschlag

Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel versuchte am Dienstag den Streit zu mäßigen. Alle in der Regierung wüssten um die Sorgen und Ängste der Menschen. Es sei in schwierigen Situationen normal, dass über unterschiedliche Wege diskutiert werde. "Aber ich glaube, dass der eingeschlagene Weg für Arcandor sehr, sehr viele Chancen für die Beschäftigten mit sich bringt." Sie können nur raten, "dass man so an die Sache herangeht, dass jeder in der Bundesregierung der Meinung ist, dass wir das Beste tun".

Der stellvertretender Regierungssprecher Thomas Steg ließ wissen, es gebe im Fall Arcandor "weder einen Streit noch Differenzen". Die Entscheidung, dem Handelsunternehmen keine Staatshilfen zu gewähren, sei in den dafür zuständigen Gremien am Montag gemeinsam und im Einvernehmen mit der Bundesregierung gefallen. "Das, was jetzt in den Interviews zu lesen ist, werte ich als politische Aufarbeitung einer wichtigen Frage, die auch die Öffentlichkeit interessiert." Das Thema habe im offiziellen Teil der Kabinettssitzung am Vormittag keine Rolle gespielt.

Dass der Konflikt in der Noch-Koalition schnell beigelegt wird, ist kaum zu erwarten. Allem Anschein nach hat sich die engste SPD-Spitze vor dem Parteitag am kommenden Sonntag entschlossen, dem Rat von Altkanzler Gerhard Schröder zu folgen: Sie solle die offene Attacke auf den "Baron aus Bayern" suchen, hatte Schröder dringend empfohlen. Ganz in diesem Sinne teilte auch Franz Müntefering an die Adresse der Kanzlerin aus. Diese habe "zum wiederholten Male" zugelassen, dass einzelne Minister Kabinettsbeschlüsse unterlaufen hätten, hielt der SPD-Chef Angela Merkel vor.

Das Risiko dieser Anti-Guttenberg-Strategie dürfte der SPD-Spitze bewusst sein. Bislang hat sie jedenfalls kein Mittel gefunden, um den blitzartig zum neuen "Superstar" im Unionslager aufgestiegenen Ressortchef zu entzaubern. Dass Guttenbergs Position, der Staat dürfe Unternehmen wie Arcandor kein Steuergeld hinterherwerfen, laut Umfragen zumindest derzeit auch von einer Mehrheit der Bevölkerung geteilt wird, hat bei vielen in der SPD für einige Verstörung gesorgt.

Für weitere Irritation dürfte auch der Chef des Meinungsforschungsinstitutes Forsa, Manfred Güllner, sorgen. Dieser riet Steinmeier und der SPD von Angriffen auf Guttenberg ab. "Der Wirtschaftsminister taugt nicht als Feindbild, weil er relativ positiv bewertet wird." Viele Bürger wüssten, dass die Autoindustrie und Karstadt nicht erst durch die Finanzkrise in Schwierigkeiten geraten seien.

Appell der Großaktionärin

Das weiß wohl auch Arcandor-Großaktionärin Madeleine Schickedanz, die sich nun erstmals an die Öffentlichkeit gewandt hat. "Bis zur letzten Sekunde habe ich gehofft und gebangt, um dieses Schicksal abzuwenden", teilte sie in Fürth in einer persönlichen Erklärung mit. "Ich habe mich mit meinem gesamten Vermögen engagiert und damit nach landläufiger Auffassung weit über jedes vertretbare Maß ins Risiko begeben", erklärte die Quelle-Erbin. "Ich habe stets zum Unternehmen gestanden und auch in schwierigsten Zeiten die Treue gehalten." In dieser "schweren Stunde" seien ihr Gedanken bei den Mitarbeitern und ihren Angehörigen. "Ich wünsche, dass sie ihre Arbeit behalten können und hoffe mit ihnen und ihren Angehörigen auf eine bessere Zukunft."

Der Essener Handels- und Touristikkonzern Arcandor hatte am Dienstag nach langem Ringen um staatliche Beihilfen Insolvenz angemeldet. Zuvor hatte die Bundesregierung sowohl eine Staatsbürgschaft als auch einen Notkredit für die Karstadt-Mutter abgelehnt. Damit bangen nun 43.000 Beschäftigte um ihre Arbeitsplätze. Guttenberg ebenso wie Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) wollen sich zusammen mit Arbeitnehmervertretern des Konzerns um den Erhalt von Jobs beraten.

ZEIT ONLINE, kg, dpa, Reuters, 10.06.2009

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