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Wirtschaft: Atomkraft, die heimische Energie

Die Welt erlebt eine Renaissance der Kernkraft – warum nicht in Deutschland? Von Jürgen C. Neumann

In den vergangenen 25 Jahren hat sich Deutschland zum sorglosen Umgang mit Energie verleiten lassen. Dies zeigt sich beim Gas, von dem immer mehr verbraucht wird, und bei der Kernenergie, auf die man meint, verzichten zu können. Zur Zeit der Ölkrisen von 1973 und 1979 war das anders: Gas war damals zu wertvoll, um in Kraftwerken verbrannt zu werden. Stattdessen investierte die Energiewirtschaft in Kernkraftwerke. Als Energie wieder ausreichend vorhanden war, schlug das Pendel um: In der trügerischen Erwartung, Gas gebe es im Überfluss, wurde es zum Heizen und verstärkt auch zur Stromerzeugung eingesetzt.

Bei der Kernenergie wiederum einigten sich Politik und Wirtschaft im Jahr 2000 darauf, die Anlagen abzuschalten, obwohl bis heute ein Konzept fehlt, wie die dadurch entstehende Versorgungslücke geschlossen werden kann – es sei denn mit einem höheren Gasverbrauch. Nun gibt der Gas-Streit zwischen Russland und der Ukraine einem alten Thema höchste Priorität: der Versorgungssicherheit. Zwar kann Deutschland Vertragstreue der Russen erwarten, aber sie hat ihren Preis. Denn China und Japan treten in den Wettbewerb mit uns um dieselben Gasquellen.

Versorgungssicherheit wird nur dann gesteigert, wenn wir uns auf eine quasi heimische Energiequelle zurückbesinnen: die Kernkraftwerke. Einmal gebaut, ausgerüstet mit einer Kernladung und Reserveelementen, liefern sie Strom für über fünf Jahre ohne weitere Importe. Die Kernenergie ist auch kostengünstig. So machen die Brennstoffkosten nur zehn Prozent an den Gesamtkosten der Stromerzeugung aus – gegenüber 60 Prozent bei Gas. Preisschwankungen am Markt für Kernbrennstoffe haben damit nur geringen Einfluss auf den Strompreis.

Obwohl die deutschen Kernkraftwerke für eine Betriebszeit von 40 Jahren gebaut sind, sollen sie im Mittel nach 32 Jahren abgeschaltet werden. Das ist eine Vernichtung von Vermögenswerten. Insgesamt kann man in den fehlenden acht Jahren von einer Belastung von 60 Milliarden Euro ausgehen. Wenn man bedenkt, dass eine Modernisierung die Betriebszeit um weitere 20 Jahre verlängern könnte, wachsen die Belastungen des Ausstiegs sogar auf fast 200 Milliarden Euro.

Natürlich müssen auch die Risiken bedacht werden, die zum Beispiel in Tschernobyl deutlich wurden. Den bekannten Störfällen stehen aber weltweit über 10 000 erfolgreiche Reaktorbetriebsjahre gegenüber, die der Industrie viele nützliche Erkenntnisse gebracht haben.

Die Vorteile führen weltweit zu einer Renaissance der Kernkraft: 25 Kraftwerke werden gebaut, 112 sind in Planung – auch in unserer Nachbarschaft. So hat Finnland den Auftrag für eine 1600- Megawatt-Anlage erteilt, und Frankreich will in der Normandie ebenfalls ein neues 1600-Megawatt-Kraftwerk bauen.

Auch in Deutschland kommt die Diskussion in Gang. Die Regierung könnte ein Zeichen setzen und die Vorbereitung eines Endlagers beschleunigen. Anstatt demnächst weitere Blöcke außer Betrieb zu nehmen, könnten diese Reaktoren von jüngeren Anlagen Stromkontingente übertragen bekommen, so dass die Entscheidungen für eine stufenweise Rückkehr zu Kernkraftwerken nicht unter Termindruck gefällt zu werden brauchen. Die zusätzliche Zeit kann auch genutzt werden, die Bevölkerung für einen ausgewogenen Energiemix zu gewinnen. Im Interesse einer gesicherten und kostengünstigen Energieversorgung sollte die Kernenergie ihren Platz darin haben.

Der Düsseldorfer Unternehmensberater und promovierte Ingenieur Jürgen C. Neumann (66) war seit Anfang der 70er bis in die 90er Jahre einer der Top-Manager im deutschen Kernkraftwerksbau. Er ist Mitglied im Deutschen Nationalen Komitee des Weltenergierates und in mehreren Aufsichtsräten, darunter bei Herlitz in Berlin.

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