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Wirtschaft: Auch solide Aktien werden verkauft

Die Stimmung an der Börse ist so schlecht wie lange nicht – Kriegsangst und Konjunkturpessimismus breiten sich aus

Frankfurt (M ain) . „Eigentlich machen wir gar nichts“. Aus den Worten von Fidel Helmer klingt Frust. Tiefer Frust. Seit 30 Jahren steht der Börsen-Chef des Bankhauses Hauck&Aufhäuser fast täglich auf dem Frankfurter Parkett. Aber eine solch lang anhaltende triste Börsen-Phase hat nicht nur er noch nie erlebt. Da geben sich die Börsianer schon mit kleinen positiven Veränderungen zufrieden, die sie früher nicht einmal registriert hätten: Etwa, dass der Deutsche Aktienindex in der vergangenen Woche doch wieder über die „psychologisch wichtige“ Marke von 2500 Punkten geklettert ist. Und die Tiefststände vom Oktober 2002 nur zeitweise „getestet“ hat.

Aber sonst schielt auch die Börse seit Wochen gebannt auf Bagdad. Dort sitzt derzeit der Erzfeind auch der Börsianer: Saddam Hussein vermiest auch ihnen das Geschäft. Und er wird es vermutlich noch einige Zeit tun. Der Konflikt der Weltgemeinschaft mit dem Irak liegt wie schwerer Mehltau auf den Börsen. „Das Thema überlagert zur Zeit alles“, sagt nicht nur Helmer. Die Börsianer hoffen auf eine schnelle Lösung, wenn es sein muss auch mit Waffengewalt. Aber diese Hoffnung hegen sie schon seit Wochen. Und nichts passiert.

Unsicherheit ist bekanntermaßen Gift für die Aktienkurse. Sie lähmt, verurteilt die Börsianer im besten Fall zum Nichtstun. In den meisten Fällen aber zum Verkaufen. Dabei spielen die Privatanleger nur eine untergeordnete Rolle. Es sind vor allem die großen institutionellen Anleger wie Fondsgesellschaften, Banken, Pensionsfonds und Versicherungen, die die Kurse bestimmen. Sie geben die Impulse – derzeit fast nur in eine Richtung: nach unten. Aufgrund der Tiefststände haben sich die Versicherer, sagen Börsianer, derzeit fast aus dem Aktienhandel ausgeklinkt. „Die haben mehr oder weniger gar nichts mehr.“ Der Pessimismus an der Börse ist beispiellos, die Stimmung extrem schlecht. „An der Börse regiert die Angst“, sagen Aktienhändler.

Charttechniker, die die Märkte auf technische Gesetzmäßigkeiten abklopfen, sehen keine Unterstützungslinien mehr nach unten. Nicht nur der Irak lastet auf den Kursen, auch andere Entwicklungen drücken. Die Steuerpolitik der Bundesregierung, die allgemein schwache Konjunktur, der durch den Irak-Konflikt bedingte hohe Ölpreis und zum Teil schlechte Unternehmensmeldungen. Dazu kommen der Bilanzskandal beim niederländischen Einzelhandelskonzern Ahold, drohende Schadenersatzklagen gegen Bayer in den USA wegen Lipobay, Vermutungen, die Telekom habe bei ihrem dritten Börsengang vor knapp drei Jahren mit falschen Zahlen hantiert und nicht zuletzt auch die prekäre Lage der Banken. Auch wenn nicht immer Fakten auf dem Tisch liegen: Negative Meldungen und Gerüchte treffen angesichts der schlechten Stimmung an der Börse auf fruchtbaren Boden.

„Bei Aktien wird derzeit alles rausgehauen, selbst solide Papiere“, sagt der renommierte Vermögensverwalter Jens Ehrhardt. Gleichzeitig würden zum Teil sehr riskante Anleihen gekauft, aus Brasilien, der Türkei oder gar Jamaika. „Das ist fast wie damals am Neuen Markt, als die Börsengänge mehrfach überzeichnet waren.“ Dabei gibt es für Aktien durchaus auch erfreuliche Signale: Die Stimmung in den Unternehmen hat sich wieder aufgehellt, wenn man dem Münchener Ifo-Institut glaubt. Auch aus den Unternehmen, sagt Helmer, gibt es wieder bessere Nachrichten. Die Gewinnsituation habe sich verbessert. Dazu läuft die Konjunktur in den USA runder als erwartet. Die Inflationsrate ist auf einem günstigen Niveau. Und schließlich signalisiert die Europäische Zentralbank (EZB) eine weitere Zinssenkung. Wahrscheinlich lockert sie ihre Geldpolitik schon am kommenden Donnerstag, der Leitzins könnte von 2,75 auf 2,5 oder gar 2,25 Prozent sinken. Eigentlich gute Vorlagen für die Börse. Zudem gelten deutsche Standard-Aktien mittlerweile als durchaus billig. Auch in den Augen der wichtigen ausländischen Investoren, wie in Frankfurt zu hören ist.

Je länger sich eine Entscheidung über die Lösung der Irak-Krise hinzieht, desto größer wird allerdings auch die Nervosität unter den großen Anlegern. Da dem Dax nach der Krise das größte Potenzial eingeräumt wird und es dann, wie ein Banker sagt, „sehr schnell nach oben geht“, will keiner den Einstieg verpassen. „Wenn der Deckel Irak weg ist, wird das zu einer Eruption führen“, glaubt Börsenprofi Helmer. Alte Höchststände allerdings sind für die Deutsche Börse für Jahre außer Reichweite.

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