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Heiliges Handwerk. Das mittelalterliche Gemälde zeigt Joseph und das Christuskind in der Werkstatt. Im Matthäus-Evangelium, Kapitel 13, Vers 55 steht über Jesus geschrieben: „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns?“.

© bpk / Gemäldegalerie, SMB / Jörg

Auf den Spuren von Josef: Wie sich der Beruf des Zimmermanns wandelt

Er gehört zu den ältesten Berufen der Welt. Auch Josef von Nazareth übte ihn aus. Zu Besuch bei zwei Zimmerern, die heute immer weniger mit den Händen arbeiten.

Mit der Arbeit sei es doch wie mit einer Frau: Die wechselt man nicht ständig. Man entscheidet sich und bleibt. Der Mann, der noch an diese Art von Treue glaubt, ist Gordon Nusko. Seit einem Vierteljahrhundert ist der 41-Jährige Zimmermann, seit vergangenem Jahr bei der Viellechner Dachdeckerei in Berlin. Gehen, wenn es einem nicht mehr so passt? „Da stimmt doch was bei einem nicht“, sagt Nusko.

Es sind null Grad an diesem Dezembermorgen. Eine blaue Bommelmütze aus Wolle schützt seine Ohren vor den winterlichen Temperaturen. Schwarze Hose, blauer Sweatpulli, ein Tuch um den Hals gewickelt, so steht er im Dachgeschoss eines Schöneberger Altbaus. Der Wind pfeift durch die Holzbalken, vier Mitarbeiter haben sich heute krankgemeldet. Über die Kälte, die fehlenden Helfer klagen? Nee, Kippe weg, weitermachen. „Die jungen Leute sind heute so weich“, sagt Nusko. „Ich war in der Ausbildung nicht ein Mal krank – und was ist schon ein Schnupfen?“

Es ist nicht das Einzige, das sich um ihn, der das Gewohnte mag, verändert hat.

Der Zimmerer gehört neben den Steinmetzen und Schmieden zu den ältesten und traditionsreichsten Berufen der Welt. Bis in die Bronzezeit wird er zurückdatiert, als die ersten Hütten aus Brettern gebaut wurden. Auch in der Bibel wird der Beruf genannt. Im Matthäus-Evangelium, Kapitel 13, Vers 55 steht über Jesus geschrieben: „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns?“ Noch heute ist Josef von Nazareth unter anderem Schutzpatron dieses Handwerks.

Im Laufe der Zeit spezialisierten sich die Handwerker auf bestimmte Techniken, sodass der Zimmermann zu einem eigenständigen Beruf wurde. Eine Hochzeit der Branche war das Mittelalter mit seinen großen städtischen Fachwerkbauten. Heute zählt der Zimmermann noch immer zu den häufigsten Nachnamen in Deutschland. Es gibt mehr als 50 000 sozialversicherungspflichtig Angestellte.

Nur noch wenig Gesellen gehen auf Wanderschaft

Nach seiner Lehre ist Gordon Nusko mit 19 auf Wanderschaft gegangen. Drei Jahre und ein Tag, so ist es vorgeschrieben. Nusko war in Österreich, der Schweiz, Frankreich, Spanien, den Niederlanden, allein, zu Fuß, mit keinem Ziel. „Ich habe die Orte aus dem Bauch heraus und ein wenig wegen der Landschaft gewählt“, erzählt er. „Aber für so eine lange Reise muss man frei sein.“

Tim Wagenaar, der neben ihm steht, ist das nicht. Obwohl er erst 22 ist. Der junge Mann mit dem dunklen Bart ist einer der elf Auszubildenden im Betrieb, lebt aber schon mit Frau und Kind. Undenkbar, sie zurückzulassen. Ganz früher sah die Tradition vor, dass ein Geselle durch die Welt ziehen musste, bevor er sich niederließ. Vom Spätmittelalter bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war die Walz Voraussetzung für die Meisterprüfung. Die Regeln: Den Gesellenbrief in der Tasche haben, sich dem Heimatort höchstens auf 50 Kilometer nähern, jünger als 30 sein. Ein Dasein ohne Ehering, Schulden, Pflichten. Mit der Zeit ging die Zahl der reisenden Handwerksleute jedoch immer weiter zurück. Heute sind es nur noch ein paar Hundert im Jahr.

In der Lehre. Tim Wagenaar (l.) ist im dritten Ausbildungsjahr. Sein Meister Gordon Nusko leitet ihn auf der Baustelle an.
In der Lehre. Tim Wagenaar (l.) ist im dritten Ausbildungsjahr. Sein Meister Gordon Nusko leitet ihn auf der Baustelle an.

© Mike Wolff, Tsp

„Trotzdem denken die Leute, das Handwerk sei noch wie im 19. Jahrhundert“, sagt Nusko. Dabei verbringe er 70 Prozent seiner Arbeit im Büro und 30 Prozent auf Baustellen. Die Pläne zeichnet er nicht mehr mit der Hand, sondern mit einem Computerprogramm. Maschinen schneiden die Hölzer in der Regel zurecht und setzen sie zusammen, nicht Menschen. Kräne hieven Balken hoch in das richtige Stockwerk. Gut möglich, dass Zimmerer in Zukunft mit Robotern eine Holztreppe reparieren.

„In hundert Jahren werden wir darüber lachen, wie wir heute arbeiten“, glaubt Nusko. Der Zimmermeister arbeitet nicht nur mit Hammer und Beitel, sondern ebenso mit einem iPad, teuren 3D-Aufnahmegeräten und Drohnen, die Luftaufnahmen machen. An dem Dachstuhl, den er an diesem Morgen noch einmal besichtigt, hat er ein Jahr lang theoretisch getüftelt. An nur einem Tag war das Alte abgenommen und das Neue aufgesetzt. So gut vorbereitet ist inzwischen alles. „Muss ja immer schnell gehen und gleichzeitig auf den Millimeter genau sein“, sagt Nusko. Soweit ist es schon: Im Zuge der Digitalisierung werkeln selbst Handwerker immer weniger mit ihren Händen.

Ein Problem der Nachwuchssuche ist das Image

Obwohl die Technik die Arbeit schneller macht, kommen die Betriebe mit den Anfragen nicht hinterher. Wochenlang warten Kunden auf einen Termin, monatelang auf ein neues Dach. Wie in anderen Gewerben sind die Auftragsbücher bei den Zimmerern voll. Unternehmen suchen verzweifelt nach Mitarbeitern und zahlen deswegen mehr. Die Lehrlinge gehören zu denen, die am besten verdienen: Im dritten Lehrjahr verdienen sie 1270 Euro brutto. Und doch: Bis zu 250 000 fehlende Fachkräfte beklagt der Zentralverband des Deutschen Handwerks. Inzwischen ist der Bau von neuen und dringend benötigten Wohnungen gefährdet.

Ein Problem der Nachwuchssuche ist das Image des Berufs: früh aufstehen, schwer schuften, wenig verdienen. Eltern wollen, dass ihre Kinder es weit bringen. Das heißt: Abitur machen und studieren. Deutschland geht der Handwerkernachwuchs aus. Deswegen werben etliche Politiker für die Aufwertung der dualen Ausbildung. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist mit seiner Frau in diesem Jahr deswegen eine Woche lang durch Deutschland gereist. Die Väter des prominenten Paares waren Tischler. Steinmeier erzählte, er könne sich noch zu gut an den Geruch von Leim, Sägemehl und frisch geschnittenem Holz erinnern.

Anders als die Jugendlichen heute habe er sich „damals gar nicht so viele Gedanken gemacht“, sagt Nusko. „Ein Freund meiner Mutter hatte einen Job. Den hab ich genommen.“ Es sollte nur keine Banklehre sein. Selbst Erwachsene, die ihren Job schon lange machen, seien oft so wankelmütig. „Viele verstehen unter arbeiten ja auch Geld zu verdienen, Karriere machen. Für mich ist Arbeit einfach Arbeit.“ Bei Tim Wagenaar war es nach der Schule anders. Er probierte erst andere Wege aus. Seine Bewerbungen bei der Bundeswehr scheiterte jedoch an seinem hohen Blutdruck, die bei der Polizei an seinem linken Auge. Nach einem halben Jahr im Lager von Amazon entschied er sich für was Solides. „Wären meine Eltern wie andere gegen eine Ausbildung gewesen, stünde ich wahrscheinlich nicht hier.“ Was die beiden aber auch sagen: Die Unternehmen haben es lange versäumt, gut auszubilden.

Ihr Chef Lasse Kutzbach hat umgedacht: Der Betrieb hat einen Instagram-Account, dreht Videos, wendet sich an die Jugendlichen. Wer eine passende Bewerbung einreicht, muss sich nicht in einem langen Prozedere behaupten, sondern spielerisch bei einer Azubi-Challenge. Um die 25 Bewerberinnen und Bewerber kommen an einem Tag zum Betrieb nach Tempelhof und zeigen an zehn Stationen, ob sie geschickt sind. Sie schlagen Winkel an und fertigen kleine Holzarbeiten. Was ein Zimmermann so braucht? Er sollte körperlich fit und belastbar sein, zeichnen und rechnen können. Die Arbeit im Freien muss ihm liegen, ganz gleich wie das Wetter ist – und Höhen dürfen ihn nicht ängstigen. Wer überzeugt, macht vor der Ausbildung trotzdem noch ein Praktikum. Auch der Chef findet: Wer kommt, der soll bleiben.

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