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Wirtschaft: Auf der Rolle

Mit einer Hundeleine, ein paar Schrauben und Rollen fing alles an. Und natürlich mit der richtigen Idee.

Mit einer Hundeleine, ein paar Schrauben und Rollen fing alles an. Und natürlich mit der richtigen Idee. Die hatte Ende der 60er Jahre ein pfiffiger Erfinder, der irgendwann seinen Koffer nicht mehr selber tragen konnte. Da schraubte er einfach ein paar Rollen unter sein altes Gepäckstück und zog es mit einer Hundeleine hinter sich her.

Mit seiner Idee war er seiner Zeit weit voraus. Auf der Internationalen Ausstellung "Ideen-Erfindungen-Neuheiten" IENA kam der Koffer auf Rollen gar nicht gut an: "Presse und Ausstellungsbesucher amüsierten sich köstlich über die vermeintlich irre Idee. Es konnte sich damals einfach keiner vorstellen, dass man einen Koffer nicht trägt", erinnert sich Lydia Zetl, die Projektleiterin der jährlich stattfindenen IENA. Mittlerweile lacht niemand mehr darüber, wenn jemand seinen Koffer hinter sich her zieht. Im Gegenteil: Von den Flughäfen dieser Welt sind die Koffer auf Rollen nicht mehr wegzudenken. Vom Manager auf dem Business-Trip bis zum Pauschalurlauber auf dem Weg nach Mallorca, alle ziehen ihr Gepäck hinter sich her. Denjenigen, die ihre Koffer immer noch durch die Abflughalle schleppen, wird ein mitleidiges Lächeln geschenkt.

Alles was rollt liegt im Trend. Doch woher kommt so ein Trend eigentlich? "Heute ist die Sehnsucht nach Mobilität groß und die Menschen müssen flexibel sein", sagt Birgit Müller vom Trendbüro in Hamburg. Sie beschäftigt sich mit dem Entstehen von Trends und berät Unternehmen bei der Entwicklung neuer Produkte. Der moderne Mensch wechselt häufig seinen Wohnort, sagt sie, ist viel auf Reisen - geschäftlich und privat. Da kommen ihm Gebrauchsgegenstände entgegen, die genau so flexibel sind wie er selbst. "Wer oft verreist, freut sich über den praktischen Ziehkoffer mit Rollen. Und wer oft umzieht, dessen Möbel müssen flexibel sein", sagt Müller.

Und auch für den Trend zur rollenden Einkaufstasche gibt es gute Gründe. "In den Innenstädten haben viele Leute kein Auto oder keine Möglichkeit, direkt am Supermarkt zu parken." Da macht es Sinn, die Einkäufe nicht in Tüten und Taschen nach Hause zu schleppen, sondern ganz einfach hinter sich herzuziehen. Birgit Müller macht aber auch noch etwas anderes für den anhaltenden Trend zur Rolle verantwortlich. "Die Menschen werden immer älter, bleiben aber im Alter noch mobil." Und wer zum Koffer schleppen schon zu alt, zum Verreisen aber noch jung genug ist, für den ist ein rollender Koffer einfach der ideale Reisebegleiter.

Doch Mobilität ist nicht nur unterwegs, sondern auch zu Hause gefragt. Überrascht und argwöhnisch beäugte die Möbelbranche 1994 eine neue Kreation des britischen Stardesigners Jasper Morrison. Ein Schubladenschrank aus - igittigitt - Kunststoff und obendrein auf Rollen! Acht Jahre später ist die Befremdung der Gewohnheit gewichen. Die ganze Möbelwelt ist ins Rollen gekommen. Fast jedes Einrichtungsstück lässt sich heute mit fahrbarem

Untersatz finden - vom Regal über Schränke, Sessel und Sofas bis zum Küchentisch.

"Möbel auf Rollen sind so vielseitig", schwärmt die New Yorker Designerin Eve Robinson, "und Vielseitigkeit ist in kleinen Wohnungen ein Muss". Ein Tischchen mit zwei Schubladen dient im Schlafzimmer als Ablage für Zeitungen und Post. In Nullkommanix wird das Möbel abends ins Wohnzimmer gerollt und dient zum Abstellen der Cocktailgläser. Und wenn am Frühstückstisch mehr Besucher als Stühle sind - dann wird der Cocktailtisch eben zum Sitzplatz. Auch rollende Regale haben ihre Vorteile: Sie dienen als Raumteiler oder verbergen chaotische Krimskrams-Ecken. Und wenn man für eine Party mehr Platz braucht, schiebt man das rollende Möbel kurzerhand ins Schlafzimmer.

Wegen ihrer Flexibilität sind mobile Möbel keine kurzfristige Modewelle, die bald wieder verschwindet, heißt es beim Verband der deutschen Möbelindustrie. "Die Rollen werden bleiben, sie haben einfach zu viele Vorteile", sagt Verbandssprecherin Ursula Geismann. Gerade für eine Ge-sellschaft, deren Mitglieder immer stärker beruflich flexibel sein müssen und immer mehr in Single-Haushalten leben. Wer nicht weiß, welchen Job er übermorgen hat, will sich nicht auf einen Stil und sperrige Schrankwände festlegen. Und Singles leben tendenziell in kleineren Wohnungen. Das große Angebot von Rollen-Möbeln hat Geismanns Meinung nach weniger mit Ästhetik zu tun. Sie sind einfach praktisch.

Melanie Hinter, Karen Wientgen

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