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Wirtschaft: Auf der Spur der Millionen

Betrug, Unterschlagung, Managementfehler: Im Irak ist viel Geld versickert. Jetzt ermittelt ein Inspektor

Während einer Routineüberprüfung bei der US-Behörde, die im Irak die Mittel für den Wiederaufbau verwaltete, stießen amerikanische Sonderermittler im letzten Sommer auf Erstaunliches: Einmal wurde eine Baufirma doppelt für dieselbe Arbeit bezahlt, ein anderes Mal durfte ein Beamter mit Barmitteln in Millionenhöhe hantieren, obwohl er längst wegen Unfähigkeit entlassen war. Und von den 119,9 Millionen Dollar (99,4 Millionen Euro) für regionale Wiederaufbauprojekte wurden 89,4 Millionen ohne jeden Vertrag oder sonstige Nachweise ausgegeben. Von weiteren 7,2 Millionen Dollar fehlte jede Spur.

Überraschender als diese und andere Versäumnisse war für die Verantwortlichen in Bagdad und Washington nur, wer diese letztlich aufdeckte: Stuart Bowen, der Sonderinspektor für den irakischen Wiederaufbau und enge Vertraute von US-Präsident Bush. Bowen ist inzwischen zu einem der prominentesten und glaubwürdigsten Kritiker der Methoden bei der Verwaltung des Iraks geworden. In einer Reihe von explosiven Berichten enthüllte er systematische Management-Fehler, schwache oder fehlende Überwachung und offensichtliche Fälle von Betrug und Unterschlagung durch die mit der Verwaltung der Aufbaugelder betrauten US-Beamten.

Das Weiße Haus verweigert jeden Kommentar über Bowen. Doch dem US-Außenministerium und dem Verteidigungsministerium ist die unabhängige Rolle des Sonderermittlers ein Dorn im Auge. Paul Bremer, Chef der ehemaligen Übergangsverwaltung im Irak, warf Bowen „Missverständnisse und Ungenauigkeiten“ vor und kritisierte, dass er der provisorischen Verwaltung zu Kriegszeiten Buchführungsmaßstäbe abverlangt, die selbst „für westliche Staaten ein Problem wären“. Der ehemalige Sprecher des amerikanischen Senats, Newt Gingrich, fand Bowens Mitarbeiter „dramatisch ahnungslos, was die Realitäten der Kriegsführung und die Schwierigkeiten eines Regierungsaufbaus in einem vom Krieg geplagten Land angeht“.

Auch Bowen erkennt in einem Bericht an, dass die US-Übergangsverwaltung „in einem gefährlichen Arbeitsklima und unter schwierigen Umständen tätig war“. Trotzdem hätten die USA für eine bessere Kontrolle der Aufbaufonds sorgen müssen, „gerade weil es keine funktionierende irakische Regierung gab“.

Der 47-jährige Rechtsanwalt ist ein enger Vertrauter und langjähriger Unterstützer des amerikanischen Präsidenten. Bereits als George W. Bush 1994 erfolgreich für das Amt des texanischen Gouverneurs kandidierte, war Bowen ein Leiter in seinem Wahlkampfteam und bekleidete danach hohe Beraterposten in Bushs Regierungsmannschaft. Während Bushs erstem Präsidentschaftswahlkampf verbrachte er 35 Tage bei der Neuauszählung der Stimmen in Florida und arbeitete dann als Berater für das Weiße Haus.

Der irakische Wiederaufbau wurde schnell zum größten amerikanischen Bauvorhaben seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Die USA steuerten dazu 18,4 Milliarden Dollar bei, weitere 22 Milliarden kamen aus beschlagnahmten irakischen Quellen und wurden der USA von den Vereinten Nationen übergeben. Im Herbst 2003 schuf der US-Kongress den Posten des Generalinspektors für die Finanzen beim Wiederaufbau, um die Verwendung der Gelder zu überwachen. Allerdings kann das Weiße Hause den Kontrolleur bei der Veröffentlichung seiner Berichte erheblich einschränken. Kritiker bezweifelten, dass der Inspektor bei solchen Begrenzungen für eine echte Aufklärung sorgen kann. Noch skeptischer wurden sie, als das Weiße Haus im Januar 2004 die Stelle mit Bowen besetzte, der für seine Loyalität zu Bush bekannt war.

Fast zeitgleich mit Bowens Arbeitsantritt im Irak im Februar 2004 drückten die US-Behörden beim Wiederaufbau aufs Tempo. Zivilverwalter Bremer wollte der zum 30. Juni antretenden irakischen Interimsregierung einen Sympathieschub verschaffen. Er wies seine Beamten an, mit den beschlagnahmten irakischen Mitteln möglichst viele kleine Bauprojekte zu fördern. Später ergaben Bowens Buchprüfungen, dass dies zu überstürzten Auszahlungen führte, von denen viele nicht mehr nachvollziehbar sind. So berichtete einer der Aufbauleiter, dass er am 21. Juni 6,75 Millionen Dollar in bar erhalten habe – mit der Maßgabe, sie bis zum Regierungsantritt der neuen Regierung Ende Juni auszugeben. Für Aufsehen sorgte auch Bowens Bericht vom 30. Januar 2005. Danach verlor die amerikanische Übergangsverwaltung den Überblick über fast neun Milliarden Dollar, die an die irakischen Regierungsbehörden ausgegeben wurden. Eines der Ministerien hatte sich zusätzliche Mittel erschlichen, indem es die Anstellung von 8206 Wachschutzkräften abrechnete, obwohl es nicht einmal 600 beschäftigte.

Nach Bowens Untersuchungen beruhten viele der Probleme beim Wiederaufbau auf strukturellen Unzulänglichkeiten. So habe es dem Projekt zum Beispiel erheblich an Personal gemangelt. Im Anschluss an einen seiner Berichte vom November 2004 verlangte Bowen auch, dass Zahlungen an den US-Ölservicekonzern Halliburton in Höhe von 90 Millionen Dollar zurückgehalten werden, weil das Unternehmen die in Rechnung gestellten Leistungen nicht nachweisen konnte. An anderer Stelle enthüllten Bowens Kontrolleure Kriminelles: So hatte ein Armeeangehöriger, der als Assistent für einen US-Boxtrainer arbeitete, 20 000 Dollar verspielt, mit denen die Ausgaben für eine Auslandsreise einer irakischen Leichtathletikmannschaft gedeckt werden sollten. Und US-Beamte der Bauverwaltung haben das Land verlassen, ohne nachweisen zu können, wofür sie 1,5 Millionen Dollar ausgegeben hatten.

Trotz erheblichen Widerstandes des Außenministeriums und des Pentagons, die Bowens Befugnisse einschränken wollten, wurde seine Rolle inzwischen beträchtlich erweitert: Aufgrund eines von den Demokraten eingebrachten Gesetzes kontrolliert der Generalinspektor jetzt nicht mehr nur die Finanzen, sondern den gesamten Wiederaufbau. Bowen beschäftigt nun 32 Mitarbeiter in Bagdad und 70 in Arlington, Virginia.

Allerdings steht bereits ein neuer Kampf um die Zukunft von Bowens Amt bevor: Die Befugnisse der Behörde sind nach der Verwendung von 80 Prozent der Fördermittel auf einen Zeitraum von zehn Monaten begrenzt. Danach liefe ihr Mandat bereits im kommenden Sommer aus.

Yochi J. Dreazen

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