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Wirtschaft: Auf der Suche nach einer neuen Vision

Saudi-Arabiens neuer Herrscher Abdallah ist 81. Mit ehrgeizigen Reformen führt der Alte sein Land in die Moderne

Riad - Immer mehr Prinzen müssen mit Linienflügen vorlieb nehmen. Nur Tage nach seinem Amtsantritt im August 2005 hat König Abdallah von Saudi-Arabien das Privileg der königlichen Familie auf exklusives Reisen in Sondermaschinen stark beschnitten. Eine populäre Entscheidung, die den Ruf des langjährigen Kronprinzen als Reformer stärkt.

Abdallah hat in dem religiös-konservativen Königreich erstmals ein Ministerium für Kultur geschaffen. Und zur Buchmesse im Februar ließ er ein kontroverses Kulturprogramm auf die Beine stellen, in dem Medienzensur ebenso diskutiert wurde wie die Auswirkungen des Beitritts zur WTO. Und selbst wenn der 81-jährige Monarch im Fernsehen beim traditionellen Schwertertanz Ardha zu sehen ist, verbreitet dies in Saudi-Arabien Aufbruchstimmung: Die Agonie, welche die letzten Jahre der Regentschaft des kranken König Fahd kennzeichneten, ist vorbei.

Zwar lassen konkrete politische Reformen noch auf sich warten. Kritiker fürchten gar, dass der ständig anwachsende Strom von Petrodollars diese auf Jahre hinaus verzögern wird. Denn mit vollen Staatskassen lassen sich die materiellen Bedürfnisse der Bevölkerung eher befriedigen. So erhöhte König Abdallah wenige Wochen nach seinem Amtsantritt die Gehälter der staatlichen Angestellten um 15 Prozent.

Das Budget für 2006 sieht Ausgaben in Höhe von 89,3 Milliarden Dollar vor – 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Die außergewöhnlichen Einnahmen sollen vor allem in Ausbildung, Gesundheit und Infrastruktur investiert werden. Damit will das Königreich, dessen Bevölkerung jährlich um etwa drei Prozent wächst, Versäumnisse nachholen. In bisher vernachlässigten Regionen sind neue Universitäten geplant, 2700 neue Schulen und 440 Gesundheitszentren in allen 13 Regionen des Landes stehen auf dem Programm. Drei neue Häfen sind vorgesehen und die bisher einzige Eisenbahnverbindung von Dammam nach Riad soll bis Jeddah im Westen fortgesetzt werden.

Auch wenn das Rückgrat dieses Wirtschaftsbooms die Einnahmen aus dem Erdöl sind, so hat der Privatsektor – anders als beim Boom in den 70er Jahren – einen wachsenden Anteil daran. Nach Angaben John Sfakianakis, Chefökonom der zweitgrößten Bank des Landes Samba, kam etwa die Hälfte des Wirtschaftswachstums von 6,5 Prozent im vergangenen Jahr aus dem privaten Sektor, der nichts mit Erdöl zu tun hat. Saudische Privatfirmen sind heute allein oder mit Joint-Ventures in der Lage, Großprojekte auszuführen. „Das war in den 70er Jahren nicht der Fall“, sagt Sfakianakis.

Auch der Präsident der Faisaliyah-Gruppe, eines der führenden 20 Privatunternehmen des Landes mit 5000 Mitarbeitern, das in den Sparten Lebensmittel, Konsumelektronik, medizinische Ausstattung und IT-Kommunikation tätig ist, preist diese Entwicklung. Der Privatsektor sei der „wahre Motor“ hinter dem Wirtschaftswachstum, sagt der 38-jährige Prinz Mohamed bin Khaled al-Faisal. Saudi-Arabien hat in den vergangenen Jahren über 40 Gesetze erlassen, welche das Land für Handel und ausländische Investitionen weiter öffnen. „Marktwirtschaftliches Denken hat die Federführung übernommen“, analysiert der Prinz.

Die Investitionsbehörde Sagia gehört ebenso wie die Hochkommission für Tourismus zur der neuen Generation von Regierungsbehörden, die effizient und unbürokratisch arbeiten. Angesichts des schlechten Images von Saudi-Arabien ist es ein cleverer Schachzug, dass Sagia drei saudische Frauen ins Ausland geschickt hat, um in Frankfurt, Peking und New York Büros der Investitionsbehörde aufzubauen. „Bald wird es direkt am Flughafen Visa für ausländische Geschäftsleute geben“, verspricht Vize-Gouverneur der Sagia, Mujahid al-Gain.

Dauerte es früher mindestens ein halbes Jahr, bis ein Unternehmen die nötigen Genehmigungen zur Niederlassung in Saudi-Arabien hatte, so hat sich die Zeit dank des One-Stop-Shops unter dem Dach der Sagia auf 30 Tage verkürzt. „Bis Ende des Jahres wollen wir dies in sieben Tagen schaffen“, sagt al-Gain. Damit versucht Saudi-Arabien Anschluss zu finden an andere Golfstaaten wie Dubai.

Allerdings bleiben strukturelle Probleme bestehen: Die mangelnde Ausbildung der Saudi-Arabier. Der hohe Anteil an ausländischen Arbeitskräften. Die vorgegebene Quote, nach der bei ausländischen Unternehmen 75 Prozent Saudis beschäftigt werden müssen. Die langsame Umsetzung der neuen Direktiven in der Verwaltung. Dennoch will Saudi-Arabien bis 2010 beim Ranking der Wettbewerbsfähigkeit durch die Weltbank auf den ersten zehn Plätzen landen.

Von diesem neuen Ehrgeiz der saudischen Führung und dem ungewohnten Mut zum großen Wurf zeugt das Mega-Projekt der „König Abdallah Economic City“. Im Dezember gab der König den Startschuss für dieses größte private Investitionsprojekt in der Geschichte Saudi-Arabiens: Etwa 100 Kilometer nördlich von Jeddah am Roten Meer entsteht eine neue Stadt, die in spätestens zehn Jahren fertig gestellt sein soll. Der Hafen soll jährlich sechs Millionen Container umschlagen, ein Industriepark für Arzneimittel, Plastik und IT ist geplant, sowie Hotel- und Freizeitanlagen.

Das erfolgreiche Dubaier Entwicklungsunternehmen Emaar übernimmt die Planung und investiert 27 Milliarden Dollar in die Stadt, die einen Teil des Containerverkehrs im Roten Meer an sich ziehen und 500 000 Arbeitsplätze schaffen soll. Sie könnte auch die Sitten des Landes verändern. Ein Werbefilm lässt vergessen, dass man sich in Saudi-Arabien befindet, wo relativ strikte Geschlechtertrennung herrscht und Kinos verboten sind. „Ein Traum“, meint ein junger Saudi.

Auch al-Gain räumt ein, dass dieses Experiment nur gelingen kann, wenn eine gewisse wirtschaftliche und soziale Liberalität herrsche. Die neue Stadt solle junge, professionelle Saudis und Ausländer anziehen, gut ausgebildete Leute, die weltoffen sind. „Aber ein zweites Dubai wollen wir nicht werden“, sagt er. So bleiben noch einige Fragen offen. Ein kritischer Banker sieht darin die „verzweifelte Suche nach einer neuen Vision“ Saudi-Arabiens.

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