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Wohin? Literatur, Kurse und Tests gibt es zu diesem Thema in rauen Mengen. Experten empfehlen nach wie vor die klassische Potenzialanalyse: Was kann ich? Welche Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt kann ich bedienen? Foto: Picture Alliance/dpa

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Wirtschaft: Auf der Suche

Jeder fünfte Arbeitnehmer hat innerlich seinen Job gekündigt. Doch wer sich nach Alternativen umsieht, wird feststellen, dass es durchaus Perspektiven gibt. Wie Coachings bei der Neuorientierung helfen

Lisa Pippus war nicht besonders zufrieden mit ihrem Job. In Toronto und Mailand hatte die Kanadierin Modedesign studiert und ihren Lebensunterhalt als Lehrerin für Business-Englisch verdient. Dann zog sie nach Berlin, gab hier in Unternehmen weiter Sprach- und Präsentationskurse. Doch das reichte ihr nicht. „Ich kam an einen Punkt, an dem ich spürte, dass ich beruflich sehr viel mehr geben kann. Zugleich fühlte ich mich aber blockiert“, erzählt die heute 52-Jährige, „ein Teil meines Wissens blieb außen vor.“

Lisa Pippus war damals 46 Jahre alt. Einen anderen Job zu suchen, war für sie kaum vorstellbar. Und dann hat sie es doch gewagt.

Den Anstoß zur Veränderung gab ein Kurs zur beruflichen Neuorientierung, zu dem ihr Freunde rieten. Drei Monate lang, zweimal die Woche, widmete sie sich nun vormittags ihrer beruflichen Zukunft, nebenberuflich. Die Zeit hat sie sehr gefordert, erinnert sie sich. Im Nachhinein betrachtet sei der Kurs für sie aber die beste Gelegenheit ihres Lebens gewesen, sagt sie. Er half ihr, den Blick auf ihre Stärken und Interessen zu richten. „Wir konnten über unsere Wünsche sprechen, ohne dass sie gleich negativ bewertet wurden“, erklärt Pippus.

Sie begann ihr Wissen aus dem Studium zu reaktivieren. Gleich nach dem Kurs bewarb sie sich an der Hochschule für Technik und Wirtschaft, als Präsentationstrainerin im Fach Modedesign. Und sie wurde angenommen. Der Neuorientierungskurs gab ihr den Mut, in weitere Fortbildungen zur Image-Trainerin zu investieren. Und: Dieser Bereich ist es dann geworden. Als Image-Expertin berät Lisa Pippus heute Kunden zu selbstbewusstem und stilsicherem Auftreten. „Alleine hätte ich das nie geschafft“, sagt sie.

AUF DAUER GEFRUSTET

Vielen Arbeitnehmern geht es irgendwann einmal ähnlich wie Lisa Pippus: Sie sind dauerhaft unzufrieden mit ihrem Beruf, suchen nach etwas Neuem, merken, dass sich etwas ändern muss. „Die Gründe für eine berufliche Neuorientierung sind vielfältig“, sagt Angelika Gulder, Karriere-Coach und Autorin des Ratgebers „Finde den Job, der dich glücklich macht“. Grund kann ein geplanter Karriereschritt sein, aber auch ein drohender Arbeitsplatzabbau im Unternehmen. „Manche Menschen langweilen sich auch schlicht und einfach in ihrem Job“, so Gulder. Chronische Unterforderung kann genauso wie ständige Überforderung die Motivation rauben und zu Depressionen führen. Da reicht es dann häufig auch nicht mehr, nach kleinen Veränderungen am Arbeitsplatz zu streben. In Deutschland hat bereits jeder fünfte Arbeitnehmer die „innere Kündigung“ ausgesprochen, fand das Marktforschungsunternehmen Gallup 2008 heraus. Zukunftsangst, Sicherheitsdenken und Trägheit verhindern jedoch häufig den längst überfälligen Berufs- oder Arbeitsplatzwechsel.

NEUE WEGE FINDEN

Wer sich für eine berufliche Neuorientierung entscheidet, hat die Qual der Wahl: Literatur, Kursangebote und Tests gibt es zu diesem Thema in rauen Mengen. „Eine klassische Methode wie die Potenzialanalyse macht immer Sinn“, sagt Angelika Gulder. „Dabei geht es um die Fragen: Was kann ich? Welche Nachfrage kann ich damit auf dem Markt bedienen? Was muss ich mir noch aneignen?“ Die eigenen Stärken und Schwächen kennen zu lernen, stehe bei vielen Karriere-Coachings im Mittelpunkt. Auch im Internet gebe es eine Reihe von Werkzeugen und Persönlichkeitstests zur Selbsteinschätzung. „Der Nachteil vieler Tests ist aber, dass sie nur einen bestimmten Bereich der Persönlichkeit abbilden“, warnt sie.

DER RICHTIGE KURS

Wie lang ein Orientierungskurs oder ein Coaching sein sollte und wie intensiv, hängt entscheidend von der Ausgangssituation ab. Manche brauchen nur einen kurzen Impuls, andere benötigen Monate oder gar Jahre, um eine feste Vorstellung von den eigenen Wünschen und Möglichkeiten zu bekommen.

Neben vielen selbstständigen Coaches bieten auch Volkshochschulen und die Arbeitsagentur Kompaktkurse zur beruflichen Neuorientierung an. Diese sind in der Regel auch mit kleinerem Budget bezahlbar oder sogar gratis – kratzen aber manchmal nur an der Oberfläche. „In jedem Fall sollte man googeln, wer den Kurs leitet“, rät Gulder. „Bei einem erfahrenen Referenten spricht nichts gegen solche Angebote.“

Ein weiterer Anlaufpunkt sind Beratungen wie der Verein „Frau und Beruf“ in Kreuzberg, bei dem Lisa Pippus ihr Orientierungsseminar absolvierte. Der dortige Kurs wird über den Europäischen Sozialfonds mitfinanziert und ist mit 55 Euro entsprechend preiswert. Das Training findet regelmäßig statt. Es richtet sich an Akademikerinnen und Frauen, die ihr Studium abgebrochen haben.

Die Dozentin Anne Lücking-Mewald leitet seit 15 Jahren Berufsorientierungskurse. In dieser Zeit habe sich einiges verändert, sagt sie: „Ursprünglich war der Kurs für Mütter gedacht, die nach mehreren Jahren wieder in den Job zurück wollten. Heute ist der gesellschaftliche Druck, aber auch der persönliche Wunsch vieler Mütter sehr viel größer, schnell wieder berufstätig zu werden. Immer mehr Teilnehmerinnen haben kleine Kinder.“ Inzwischen seien auch Männer an solchen Angeboten interessiert. „Der EU-Sozialfonds bietet ihnen aber leider nichts Vergleichbares“, weiß Lücking-Mewald.

In ihrem Kurs kommen ganz unterschiedliche Methoden zum Einsatz. „Das Programm reicht von Kommunikationstechniken über Mindmapping und Zeitplanungsmethoden bis zur Kunst- und Bewegungstherapie“, sagt Lücking-Mewald. „Wir achten dabei immer auf den Praxisbezug: Die Teilnehmerinnen sollen ihre ganz eigenen Wünsche formulieren, Prioritäten setzen und die ausgewählten Ziele dann auch umsetzen.“

Wichtig sei auch, zu lernen, wie man mit Rückschlägen richtig umgeht: „Das kommt in Crash-Kursen am Wochenende häufig zu kurz“, sagt die Dozentin. Gezielt werde nach Transferkompetenzen aus früheren Jobs, Interessensgebieten und familiären Tätigkeiten geforscht. Dabei entstünden auch immer wieder spannende Geschäftsideen, erzählt die Dozentin: zum Beispiel ein Haushaltsreparatur-Service für ältere Menschen, gegründet von einer Ingenieurin mit Altenpflege-Erfahrung. Oder eben das Image-Training von Lisa Pippus, das Mode-Fachwissen mit langjähriger Präsentationserfahrung verknüpft.

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