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Wirtschaft: Auf Schienen fliegen

Der schnellste Zug der Welt fährt in Frankreich: 574,8 Stundenkilometer. Bahnchef Mehdorn gratuliert, Umweltschützer üben Kritik

Berlin/Paris - An den Oberleitungen sprühen die Blitze. Auf dem Weg zum Weltrekord unterzieht der Hochgeschwindigkeitszug TGV sich und das Schienennetz einem ungeheuren Belastungstest. Der Versuchszug des französischen Bahntechnikkonzerns Alstom schwankt, stampft und schlingert wie ein Schiff in schwerer See. In einer leichten Kurve zerren Fliehkräfte am Passagier. Doch dann ist es so weit: Auf dem Monitor werden 574,8 Stundenkilometer angezeigt. So schnell war noch nie ein Zug unterwegs. Der alte Rekord aus dem Jahr 1990 lag bei 515,3 km/h – ebenfalls von einem TGV.

Der Zug sei nach so einem Test quasi schrottreif, sagen Ingenieure beim Alstom-Konkurrenten Siemens. „Nichts wird verschrottet“, sagt dagegen eine Alstom-Sprecherin am Dienstag im Anschluss an die Fahrt. Die Triebzüge und die Mittelwagen würden weiter im normalen Betrieb der französischen Staatsbahn SNCF eingesetzt.

Bahnfahrer werden aber auch in absehbarer Zukunft wesentlich langsamer vorankommen. Aber immerhin wird das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz enger. Ab 10. Juni fährt der TGV – mit einer Reisegeschwindigkeit von 320 km/h – nicht mehr nur in Frankreich, sondern von Paris bis Stuttgart durch. Teil der Strecke ist auch der Abschnitt, auf dem die Rekordfahrt absolviert wurde. Die Fahrzeit wird sich im Vergleich zu heute um etwa zwei Stunden auf drei Stunden und 40 Minuten verringern. Das deutsche Gegenstück, der ICE, bedient dafür in vier Stunden und elf Minuten die Strecke von Frankfurt am Main nach Paris – ebenfalls eine Verbesserung von zwei Stunden.

Der Chef der Deutschen Bahn, Hartmut Mehdorn, gratulierte seinen Kollegen von der französischen Staatsbahn SNCF zur Rekordfahrt. „Das ist eine stolze Leistung, die zeigt, wie modern die Eisenbahn auch im 21. Jahrhundert ist und unser Herz höher schlagen lässt“, sagte er. Auch die Deutsche Bahn setze auf ausgewählten Abschnitten auf Hochgeschwindigkeit. Auf der jüngst eingeweihten Strecke von Nürnberg nach Ingolstadt liege die Geschwindigkeit bei 300 km/h.

Bei TGV und ICE wetteifern französische und deutsche Ingenieure um den Titel der besten Technik (siehe Kasten). Alstom habe nur den Weltrekord für einen Einwegzug aufgestellt, wird Konkurrent Siemens deshalb nicht müde zu betonen. Die Deutschen sehen sich als die wahren Spitzenkräfte. Denn Siemens hält den Weltrekord für Züge, die im Alltagsbetrieb fahren. Der Velaro, der auf der Basis des ICE 3 entwickelt wurde, schaffte im vergangenen Sommer 404 km/h auf der Strecke zwischen Madrid und Barcelona. Auch im alltäglichen Betrieb werde der Velaro mit mehr als 350 km/h Weltspitze sein, betonte Friedrich Smaxwill, Vorstand der Siemens-Sparte Transportation, vor kurzem. Alstom will mit dem geplanten TGV-Nachfolger AGV, von dem ein Antriebsaggregat am Dienstag zum Einsatz kam, im normalen Betrieb 360 km/h schaffen.

Für die Umwelt sei der Rekord keine gute Nachricht, sagte Heidi Tischmann, Verkehrsexpertin beim Verkehrsclub Deutschland (VCD). Die Testfahrt sei schrecklich. „Ab 200 km/h ist der ganze Umweltvorteil der Bahn hin.“ Für die Attraktivität der Bahn sei es wichtiger, wie schnell Reisende von Tür zu Tür kommen – und nicht auf einzelnen Strecken Spitzengeschwindigkeiten zu erreichen, sagte Tischmann. Zwar liege der Ausstoß von Kohlendioxid bei einem Flugzeug je Kilometer, den eine Person damit zurücklegt, bei 176,9 Gramm und damit immer noch deutlich über dem Wert eines Zuges mit mehr als 200 km/h (56,3 Gramm). Ein voll besetzter Reisebus komme aber auf lediglich 23,5 Gramm pro Reisenden. mit ali/ek (HB)

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