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Wirtschaft: „Auffanglager für Obdachlose“

Das Occupy-Camp in der Nähe der Europäischen Zentralbank wurde geräumt – manche Aktivisten gehen desillusioniert nach Hause.

Frankfurt am Main - „Hallo“, sagt der nette Polizist. „Hallo“, sagt der nette Blockierer. „Wenn Sie nicht verletzt sind, würden wir sie dann jetzt wegtragen, ja?“ „O.k.“. Beide lächeln sich noch einmal an, dann packen der Beamte und eine Kollegin den jungen Mann unter den Armen und in den Kniekehlen und tragen ihn vom Rasen vor der Europäischen Zentralbank (EZB), setzen ihn ab, kehren zurück zu den Blockierern, den Nächsten holen. Es herrscht beste Stimmung an diesem Mittwochmorgen in Frankfurt im Camp der Occupy-Aktivisten, das hier gerade geräumt wird. „Danke, dass ihr nicht aggressiv seid“, sagt ein Sprecher des Camps freundlich ins Mikro. „Schön, dass die allermeisten von Ihnen friedlich bleiben“, gibt der Polizist mit der blauen „Communicator“-Weste zurück.

Es ist ein Ende, wie es zu diesem Camp passt. Sieben Monate und ein Tag war die kleine Zeltstadt rund um das riesige Euro-Zeichen vor der Europäischen Zentralbank (EZB) das deutsche Symbol des Occupy-Protestes. Sieben Monate lang stand sie für eine weit verbreitete Wut auf Banken und das Finanzsystem.

Nun ist es also erst einmal vorbei. Weil von Mittwoch bis Sonnabend zu den „Blockupy“-Aktionstagen auch viele gewaltbereite Linksradikale aus ganz Europa erwartet werden, errichtet die Stadt eine Sicherheitszone rund um die EZB. Und weil das Camp genau in dieser Zone liegt, müssen die Bewohner nun raus. So ist nun ausgerechnet das beschauliche Occupy-Camp mit seinem Infostand und seiner kleinen Gartenkräuter-Zucht das erste Opfer der Großgefahrenlage.

Als das Camp geräumt wird, steht Mathieu (Name geändert) etwas am Rande, mit verschränkten Armen. Er arbeitet bei einer diplomatischen Vertretung in Frankfurt und ist einer derjenigen, die das Camp immer als Vehikel für politische Arbeit verstanden haben. Von Mathieus Optimismus ist nichts mehr übrig. „Ich habe mich schon im März ziemlich zurückgezogen“, sagt er, „aus Frustration über zu viel Naivität und Unreife im Camp“. Das Ganze sei „ein Auffanglager für Obdachlose und Junkies.“ Er könne die Stadt schon verstehen, „dass sie sich überlegt, ob sie so ein Lager auf so einem Platz wirklich noch dulden muss“.

Dann wird es doch noch ein wenig angespannter, einige Aktivisten bespritzen die Polizisten mit einem Farb-Wasser-Gemisch. „Farbe spritzen ist kein passiver Widerstand!“, mahnt der Beamte am Mikro. Ein paar Festnahmen gibt es deshalb. „Habt ihr früher im Kindergarten nicht mit Farbe gespielt?“, stichelt der Camp-Sprecher übers Mikro in Richtung Polizei. Offiziell hat das Camp noch eine Genehmigung bis zum 23. Mai, man könnte also wiederkommen. Aber so richtige Vorfreude auf einen Neuanfang herrscht unter den Aktivisten nicht. „Erst mal schauen, was in den nächsten Tagen passiert“, sagt einer. Für die meisten ist das heute ihr Abschied vom Camp.

Am Ende wehren sich die letzten Blockierer noch mit ein paar Fußtritten und Schreien, manche müssen von gleich fünf Polizisten weggetragen werden. Dann, nach knapp zwei Stunden, ist es vorbei. Dem letzten Aktivisten stellen die Beamten noch eine Leiter hin, damit er von seinem prominenten Platz im riesigen Euro-Zeichen auf der Mitte des Parks hinunterklettern kann. Die Zelte dürfen erst einmal stehen bleiben, ebenso wie die Transparente weiter rund um den Platz hängen. „Wir sind die 99 Prozent“ steht auf einem. Die 99 Prozent waren aber nie hier. Lenz Jacobsen

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