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Wirtschaft: Aufklärung mit Dosenobst und Feingefühl

Diabetesberaterinnen helfen Patienten, mit der Krankheit zu leben. Eine Weiterbildung lohnt sich für viele medizinische Berufe.

Bei Bedarf hat Heike Bartel immer ihre Schatzkiste griffbereit. In der Holzbox warten Plastikbecher mit trockenen Nudeln auf ihren Einsatz, mit Zuckerwürfeln gefüllte Colaflaschen und Öl in kleinen Glasgefäßen. Das Öl zeigt Heike Bartel dann herum. „So viel Fett ist in einer Bratwurst drin“, sagt sie dazu.

Die 41-Jährige aus Oranienburg ist seit sieben Jahren Diabetesberaterin. In einer Arztpraxis in Berlin-Kreuzberg mit Schwerpunkt Diabetes macht sie Schulungen für die Patienten, arbeitet im Sprechstundenablauf, kontrolliert Zuckerwerte und klärt die Patienten über notwendige Änderungen in Ernährung und Lebensstil auf. Die Dinge aus ihrer Schatzkiste, wie sie sie nennt, helfen ihr dabei. Um zu lernen, was und wie viel Diabetiker zu sich nehmen dürfen, müssen sie wissen, was eine BE ist, also eine Broteinheit: zum Beispiel die Menge an Nudeln im Plastikbecher. Die Zuckerwürfel zeigen den Zuckergehalt eines Brausegetränks.

In Deutschland gibt es laut der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) mehr als 3000 Diabetesberaterinnen. Sie sind fast ausschließlich weiblich. Als Voraussetzung für die Weiterbildung zur Diabetesberaterin zählen vornehmlich weiblich besetzte Berufe wie Krankenpflege, Diätassistenz und medizinisch-technische Assistenz. Die Beraterinnen arbeiten in Arztpraxen, Reha-Kliniken, Krankenhäusern und Altenheimen.

Deutschlandweit gibt es fünf Einrichtungen, die die Weiterbildung zur Diabetesberaterin DDG anbieten. Sie sitzen in Rheine, Jena, Bad Mergentheim, Regensburg und Trier. Die Kurse sind in fünf Blöcke aufgeteilt, die insgesamt über zwölf Wochen gehen. So dauert die berufsbegleitende Weiterbildung etwa ein Jahr. Neben den medizinischen Inhalten kommen auch pädagogische Lehrstunden dazu. Viele der Dozenten sind Psychologen, schließlich besteht die Aufgabe der Diabetesberaterin nicht zuletzt in der Motivation der Patienten. Man lernt, wie man eine Beratung aufbaut, es gibt Rhetorik-Kurse, bei einigen Schulungen werden die Teilnehmerinnen zur Selbsteinschätzung gefilmt. Zusätzlich müssen die angehenden Beraterinnen 584 Praxisstunden vorweisen. Ist der Diabetesbezug am Arbeitsplatz gegeben, werden die Stunden dort geleistet, oft machen Teilnehmerinnen ein entsprechendes Praktikum.

„Das war heftig“, sagt Heike Bartel heute über die berufsbegleitende Weiterbildung. Die Praxisstunden konnte sie an ihrem Arbeitsplatz leisten. Doch als Mutter auch noch mehrere Wochen in Jena zu verbringen, dazwischen Hausarbeiten und Klausuren zu schreiben, das ging an die Substanz. Der Arbeitgeber übernahm die Weiterbildungskosten sowie Unterkunft und Verpflegung. Allein die Weiterbildung kostet 2900 Euro. Es gibt aber auch viele Teilnehmer, die sich die Weiterbildung selbst finanzieren oder mit Unterstützung des Arbeitsamts, durch die Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung (AZAV).

Kathrin Böhm, berufsfachliche Leiterin für Weiterbildung in der Diabetes-Klinik in Bad Mergentheim, bestätigt den Aufwand: „Auch wenn die Weiterbildung insgesamt nur zwölf Wochen dauert, muss man davon ausgehen, dass sie einen das ganze Jahr über beschäftigt.“ Die Teilnehmerinnen der Weiterbildung seien meist Anfang 20 oder Anfang 40 und älter. Die meisten machen die Weiterbildung direkt nach der Ausbildung oder wenn die Kinder aus dem Haus sind. Böhms älteste Absolventin war 62 Jahre alt. Die Aussichten nach der Weiterbildung seien hervorragend, sagt Böhm. „Diabetesberater sind sehr gefragt." Gerade weil es ein typischer Frauenberuf sei, entfielen immer wieder Kräfte aufgrund von Schwangerschaften. Das Gehalt einer Diabetesberaterin liegt nach Böhms Einschätzung zwischen 2500 und 3000 Euro.

Heike Bartel begleitet seit ihrer Weiterbildung die unterschiedlichsten Menschen, immer mit dem Ziel, den Blutzucker auf ein normales Maß zu bringen. Bei Typ-I-Diabetikern gelten als Ursache für die Erkrankung genetische Faktoren und Umwelteinflüsse. Schon Kinder sind vom Typ I betroffen. Bei Typ II gilt als Hauptursache Übergewicht.

Juliane Steffan hat sich mit ihren 23 Jahren schon früh zur Weiterbildung entschieden. Sie arbeitet seit zweieinhalb Jahren in der Diabetes-Klinik in Bad Mergentheim und steckt mitten in der Weiterbildung zur Diabetesberaterin. Die tägliche Herausforderung sieht sie in der Motivation der Patienten. „Diabetes tut ja nicht weh und was nicht weh tut, nimmt man manchmal nicht so ernst“, sagt Steffan. Während eines Praktikums in der Klinik durfte sie eine eigene Patientenschulung machen und liebt seither den Kontakt zum Patienten. „Es ist spannend, weil Diabetes so vielfältig ist und man so viel über die Patienten lernt.“

Als mögliche Vorstufe zur Diabetesberaterin gilt die Weiterbildung zur Diabetesassistentin DDG. Auch Heike Bartel hatte mit Unterstützung ihres Arbeitgebers zunächst diese Weiterbildung absolviert. Sie dauert zweimal zwei Wochen. Die Betreuung der Diabetes-Patienten ist damit jedoch nur eingeschränkt möglich: Bartel durfte nur Patienten mit Diabetes Typ II beraten und keine Insulinbehandlungen betreuen. Im Anschluss an die Weiterbildung kann man die Weiterbildung zur Diabetesberaterin um zwei Wochen verkürzen. Als anerkannte Diabetesberaterin wiederum spart man sich die ersten beiden Semester im Bachelor-Studiengang „Diabetes Care and Management“. Er wird derzeit in Rheine angeboten und führt in Richtung Praxismanagement.

Die schönsten Momente sind für Heike Bartel die, wenn der Patient mit einem normalen Blutzucker-Wert zu ihr kommt. Doch auch Rückschläge gehören zum Alltag. Bei einer chronischen Erkrankung sei das selbstverständlich, sagt Bartel. „Wir können ja nicht 365 Tage im Jahr diszipliniert sein.“ In verschiedenen Lebensphasen gebe es immer wieder schlechtere Zeiten, sagt Bartel. Wie bei einer ihrer Patientinnen, die gerade als Kassenkraft im Weihnachtsgeschäft so beschäftigt war, dass sie sich nicht um ihre Ernährung kümmern konnte. Dem Patienten dann kein schlechtes Gewissen einzureden, sei wichtig, sagt Bartel. „Wir müssen gemeinsam nach Lösungen suchen.“

Die pädagogischen Ansätze sind auch für Kathrin Böhm das Interessanteste an der Arbeit als Diabetesberaterin. „Das Fachwissen kann man immer wieder nachlesen“, sagt sie. Das Fingerspitzengefühl ist Teil der täglichen Herausforderungen der Diabetesberaterinnen.

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