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Wirtschaft: Aus dem Rahmen gefallen

Meisterwerke kommen selten unter den Hammer. 2004 ist ein Ausnahmejahr – Auktionen versprechen Weltrekorde

KOMMERZ UND KREATIVITÄT: KUNST ALS WARE

Auch der Kunstmarkt hat seine Börsengänge. Am 5. Mai findet ein wichtiger im New Yorker Saal des Auktionshauses Sotheby’s statt. Dort kommt Picassos Bild „Garçon à la pipe“ aus dem Jahre 1905 unter den Hammer. Schätzpreis: 70 Millionen Dollar. Wenige Wochen später, am 8. Juli, wird ein weiteres Highlight der Malerei versteigert. In London präsentiert Sotheby’s das 25 mal 20 Zentimeter kleine Bildnis einer jungen Frau, das dem holländischen Meister Jan Vermeer zugeschrieben wird. Schätzpreis: drei Millionen Pfund.

Vermeer und Picasso sind für den Kunstmarkt das, was Siemens und die Deutsche Bank für die Börse sind: Blue Chips. Höchst selten kommen solche Schwergewichte auf den Markt. Die meisten hängen im Museum oder sind Bestandteil privater Sammlungen. Steht ein großer Name doch einmal zum Verkauf, dann reißen sich die Anleger um das „marktfrische Material“, wie Experten die Auktionsware nennen. 2004 verspricht in dieser Hinsicht ein gutes Jahr zu werden. „Die großen Sammler verhalten sich wie Jäger auf der Pirsch“, sagt Karl Schweizer von der Schweizer Bank UBS. „Gelangt ein wichtiges Werk in die Auktionen, kann es vorkommen, dass sich drei oder vier Sammler hochsteigern und Preise zustande kommen, die ökonomisch nicht mehr zu begründen sind.“

Der Hunger nach Kunst sprengt die Gesetze der Ökonomie. Dass der Kunstmarkt überhaupt funktioniert, ist eigentlich ein Wunder. Er ist ineffizient, illiquide und intransparent. Angebot und Nachfrage stehen in einem ungleichen Verhältnis zueinander. Geschmack und Gefühle beeinflussen die Marktteilnehmer stärker als ihr rationales Kalkül. Und doch finden sich Parallelen.

„Die gute Börse kommt mit Verzögerung am Kunstmarkt an“, sagt Christina Schroeter-Herrel, Leiterin der Kunstberatung der Deutschen Bank. Die Kauflust sei seit 2003 nicht nur am Finanzmarkt wieder da, auch das Kapital der Sammler sitze seit den Herbstauktionen wieder lockerer. „Es wird wieder in Schönes investiert.“ Das spüren die Auktionshäuser. Sotheby’s konnte im vierten Quartal nach langer Zeit wieder einen Gewinn erzielen und den Jahresverlust mehr als halbieren. Christie’s erreicht fast seinen Vorjahresumsatz. „Es gibt viele Finanzinvestoren, die fast ausschließlich an der Börse aktiv waren und die sich nun ein Kunstobjekt kaufen, das sie sich an die Wand hängen können“, sagt Karl Schweizer. Mehr als zehn Prozent der vermögenden Menschen – die drei Prozent der Weltbevölkerung ausmachen – investieren laut „Wall Street Journal“ in Kunst. Zum traditionell starken Auftritt amerikanischer Sammler gesellt sich seit kurzem Nachfrage aus dem Osten: „Die Russen spielen eine wichtige Rolle auf den Auktionen“, weiß Schroeter-Herrel. Die Erweiterung der EU könne diesen Trend noch verstärken.

Aber es sind nicht nur die Vermögenden, die den Markt beleben. Die Dresdner Bank zeigt in einer Studie, wie positiv sich das allgemeine Interesse an Ausstellungen auf die Auktionspreise auswirkt (siehe Grafik). „Die Zunahme an Museumsbesuchen verläuft der Preisentwicklung trendmäßig annähernd parallel“, schreibt Kunstexperte Wolfgang Wilke. Der Zulauf, den etwa die MoMA-Ausstellung in Berlin erlebt, könnte so eine Art Frühindikator für den Kunstmarkt 2004 sein. UBS-Banker Schweizer: „Die Besucher freuen sich nicht nur an der Kunst, sie lassen sich auch verlocken, selber Kunst zu kaufen.“ Bei Sotheby’s bleiben die Profis jedoch weiter unter sich. Nur sie können die horrenden Preise nebst Kommissionsmarge zahlen. Letztere liegt bei Auktionen bei bis zu 30 Prozent. Für das Picasso-Bild, das Sotheby’s im Mai versteigert, wären so allein schon beim Einstiegspreis 21 Millionen Dollar Kommission fällig. Dabei wird es aber wohl nicht bleiben. Picassos „Garçon“ dürfte am Abend des 5. Mai das teuerste Kunstwerk der Welt sein – und Sotheby’s um einige Millionen reicher.

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