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Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace haben ein großes Banner an das Verkehrsministerium angebracht.

© Reuters

Update

Aus Sicherheitsgründen: Dieselgipfel kurzfristig ins Innenministerium verlegt

Umstiegsprämien der Hersteller, ein Plan für grüne Städte: Das soll der Diesel-Gipfel heute beschließen. Doch zunächst kommt es zu Protesten vor dem Verkehrsministerium.

Der Diesel-Gipfel in Berlin von Bund, Ländern und Autobranche ist überraschend an einen anderen Tagungsort verlegt worden. Statt wie vorgesehen im Verkehrsministerium sollte das Treffen aus Sicherheitsgründen im nahen Innenministerium stattfinden, wie es am Mittwoch aus Teilnehmerkreisen hieß.

Vor dem Verkehrsministerium in der Invalidenstraße gibt es seit dem Morgen Protestaktionen. Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace entrollten vom Dach des Gebäudes ein großes Transparent mit der Aufschrift „Willkommen in Fort NOx“ - in Anspielung an einen zu hohen Ausstoß von Stickoxiden (NOx) aus Diesel-Fahrzeugen.

Der Diesel-Gipfel wird an diesem Mittwoch ein Maßnahmenbündel zur Vermeidung von Fahrverboten in schadstoffbelasteten Städten beschließen. Darauf verständigten sich die Teilnehmer bereits im Vorfeld des Treffens. Der Entwurf der Vereinbarung, die von mehreren Bundesministerien, den Staatskanzleien der Autoländer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland sowie den Stadtstaaten Berlin und Hamburg abgesegnet wurde, liegt dem Tagesspiegel vor.

Die Hersteller sollen sich demnach auf dem Gipfel verpflichten, bis Ende 2018 Dieselfahrzeuge der Schadstoffklassen Euro 5 und Euro 6 umzurüsten. Eine konkrete Zahl ist im Entwurf noch nicht enthalten, dem Vernehmen nach sind aber sieben Millionen Fahrzeuge betroffen, also etwa die Hälfte aller in Deutschland zugelassenen Dieselwagen.

Dazu soll es „ein rasches, umfassendes und belastbar wirksames Sofortprogramm zur Minderung der NOx-Belastung von im Verkehr befindlichen Dieselfahrzeugen sowie erhebliche technologische Anstrengungen zur Verbesserung der Dieseltechnologie“ geben. Erforderlich sei ein „starker Beitrag“. Die Kosten sollen die Hersteller tragen und nachweisen, dass Dieselfahrzeuge nach der Umrüstung nicht mehr Kraftstoff verbrauchen oder weniger Motorleistung haben.

Darüber hinaus sollen die Autobauer selbst „mit eigenfinanzierten wettbewerblichen Maßnahmen (z. B. Umstiegsprämien)“ Anreize setzen, damit Autofahrer von Euro-5- auf Euro-6-Fahrzeuge umsteigen. Eine steuerliche Förderung oder „Klimaprämien“, wie sie die Ministerpräsidenten von Bayern, Horst Seehofer (CSU), und Niedersachsen, Stephan Weil (SPD), vorgeschlagen hatten, ist damit offenbar vom Tisch.

Autobauer sollen einwandfreie Abgasreinigung zusichern

Von den Autobauern wird zudem eine ausdrückliche Erklärung verlangt, dass bei neu zugelassenen Fahrzeugen „in allen Fahrsituationen auf der Straße“ eine einwandfreie Dieselabgasreinigung mit Harnstoff (SCR-Katalysator) gewährleistet ist. Der Bund sichert zu, insgesamt seine Abgaskontrollen zu stärken. Von Sanktionen bei Nichteinhaltung der Zusagen ist nicht die Rede. Generell wird eine „neue Verantwortungskultur der Automobilindustrie“ gefordert.

Im Entwurf der Erklärung, die dem Tagesspiegel vorliegt, sind Hardware-Umbauten an älteren Dieselfahrzeugen nicht enthalten. Diese lehnen die Hersteller auch ab und verweisen darauf, dass mit einer Software-Lösung in der Summe eine Reduzierung der Schadstoffe um 25 Prozent möglich ist. Die Umrüstung sei aber nur „ein erster Schritt“, weitere müssten folgen – etwa „technisch leistbare sowie wirtschaftlich vertretbare“ Konzepte für den Einbau zusätzlicher Abgasreinigungssysteme.

Ein Fonds für "Nachhaltige Mobilität in der Stadt"

Die Kommunen sollen nach dem Willen der Gipfel-Teilnehmer Zugriff auf einen Fonds „Nachhaltige Mobilität in der Stadt“ haben. Im Gespräch waren zuletzt 500 Millionen Euro, die je zur Hälfte vom Bund und der Industrie stammen sollen. Für die 28 mit besonders hohen Stickoxidwerten belasteten Regionen soll ein Masterplan („green-city-Plan“) erarbeitet werden. Dabei ist die Rede von Digitalisierung und Vernetzung von Verkehr.

An dem Treffen im Verkehrsministerium nehmen an diesem Mittwoch Vertreter von BMW, Daimler, Ford, Opel, sowie der VW-Konzern und die Marke VW teil. Ford nutzte den Gipfel für eine Werbeaktion und lobte eine „Umweltprämie“ zwischen 2000 und 8000 Euro für ältere Diesel beim Kauf eines Neuwagens aus.

Eine blaue Plakette, wie sie SPD und Grüne fordern und die Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ablehnt, muss die Industrie vorerst nicht fürchten. In der Erklärung ist davon nicht die Rede. Software-Umrüstungen, so wird von der Branche zugesagt, würden den gleichen Effekt auf die Umwelt haben wie Fahrverbote.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der am Gipfel teilnimmt, hält dies nicht für ausreichend. „Wir brauchen schnelle Software-Nachrüstungen und dann eine richtige Umrüstung der Hardware der Fahrzeuge“, sagte Müller dem Tagesspiegel. Nur so ließen sich Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in besonders belasteten Städten vermeiden.

Özdemir fordert verpflichtende Rückrufe

Die Grünen fordern verpflichtende Rückrufe für Diesel-Autos. „Wir brauchen Verbindlichkeit“, sagte der Parteichef Cem Özdemir am Mittwoch. „Der Rückruf muss verbindlich erfolgen. Freiwillige Zusagen reichen nach diesen Skandalen, nach diesem immensen Glaubwürdigkeitsverlust der Automobilindustrie, nicht mehr aus.“

Um eine Chance für bundesweit einheitliche Regelungen für Fahrbeschränkungen zu haben, müsse auch die „Blaue Plakette“ für saubere Diesel ein Ergebnis des Spitzentreffens sein. Eine Lösung für die mehr als fünf Millionen älteren Diesel der EU-Abgasnormen Euro 3 und Euro 4 in Deutschland vorzuschlagen, sei nicht „vornehmste Aufgabe der Opposition“, sagte Özdemir. „Die Automobilindustrie hat uns das eingebrockt. Sie steht jetzt auch in der Pflicht, Lösungen zu präsentieren.“

Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil warnt vor zu hohen Erwartungen an das Treffen. "Eine Fehlentwicklung, die über so viele Jahre entstanden ist, die werden wir nicht innerhalb von Monaten oder sagen wir einigen wenigen Tagen beiseite räumen können", sagte der SPD-Politiker am Mittwoch im ZDF. "Die Autoindustrie hat schwere Fehler gemacht, massive Fehler über viele, viele Jahre hinweg".

Umweltverbände, die nicht zum Gipfel-Treffen eingeladen wurden, haben zu Protesten an diesem Mittwoch vor dem Bundesverkehrsministerium aufgerufen. „Software-Schminke alleine kann den schmutzigen Diesel nicht aufhübschen“, sagte Greenpeace-Verkehrsexperte Benjamin Stephan der Deutschen Presse-Agentur. Die Hersteller müssten auch an die Hardware ran. „Um die Menschen dauerhaft vor schädlichen Stickoxiden zu schützen und den Klimaschutz voran zu bringen, müssen die deutschen Autobauer und die Politik ihre Wagenburg um den Verbrenner aufbrechen.“ (mit dpa)

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