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Die Schulabgänger haben die Wahl. Viele Betriebe suchen händeringend Azubis. Allein in Berlin gibt es noch mehr als 5000 freie Ausbildungsplätze. Foto: Christoph Schmidt/dpa

© dpa

Ausbildung: Die Betriebe sind die Bewerber

Ein Drittel der Firmen findet keine Auszubildenden. Weil sie dringend Nachwuchs brauchen, müssen die Arbeitgeber attraktiver werden.

Wer Fahrer bei der Deutschen Bahn werden möchte, braucht sich nicht mehr mit Anschreiben und Lebenslauf bewerben. Das Unternehmen bietet mit dem Berliner Start-Up „JobUFO“ eine App an, über die Jugendliche nur ein kurzes Video von sich hochladen müssen. Es gibt offene Castings an Bahnhöfen. Um zu sehen, was ein Lokführer tut, können Bewerber Virtual-Reality-Brillen nutzen. Mit diesem modernen Verfahren konnte das Unternehmen seine 3300 Ausbildungsplätze besetzen. Im Gegensatz zu einem Drittel der deutschen Betriebe, die keinen Nachwuchs finden.

Wegen des demografischen Wandels ist ein Schülerjahrgang heute um rund 120 000 Mädchen und Jungen kleiner als vor zehn Jahren. Dazu kommt, dass immer mehr Schulabgänger lieber studieren wollen, weil sie sich davon größere Karrierechancen versprechen. Die Hochschulen zählten 2015 mehr als eine halbe Million Studienanfänger. Während sich sieben Prozent weniger um einen Ausbildungsplatz bewarben als 2006, studierten 40 Prozent mehr.

Betriebe bieten Nachhilfe an

Die Betriebe kritisieren vor allem die Schulen. Weil die Berufsvorbereitung nicht gut genug sei, würden die Schüler bei rund 350 anerkannten Ausbildungsberufen nach wie vor die Klassiker wählen: Einzelhandelskaufmann, Bürokaufmann, Verkäufer. Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), warf den Schulen vor, für die immer schlechteren Deutsch- und Mathekenntnisse der Jugendlichen verantwortlich zu sein. Die Unternehmen müssten leistungsschwächere Jugendliche einstellen, 40 Prozent der Betriebe böten eigene Nachhilfe an.

Als der Deutsche Gewerkschaftsbund die IHK-Lehrstellenbörsen vor kurzem analysierte, kam er zu einem anderen Ergebnis: Während sich Abiturienten auf fast alle Stellen bewerben könnten, würden Bewerbern mit mittlerer Reife rund 86 Prozent aller Stellen offen stehen. Bei Hauptschülern seien es noch 39 Prozent und jungen Leuten ohne Schulabschluss stünden nur 2,7 Prozent aller Stellen offen. Mittlere Abschlüsse und Abitur würden „mehr und mehr zur Leitwährung auf dem Ausbildungsmarkt“, so der DGB.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte Unternehmen zur Einstellung auch schwächerer Azubis aufgerufen. Unternehmen sollten auch jenen eine Chance geben, die sie auf den ersten Blick nicht einstellen würden, sagte Nahles am Mittwoch in Berlin. Zudem müsse die Ausbildung attraktiv sein. „Da müssen wir dann auch an so einer Stelle über die Qualität reden“, sagte sie.

Bewerber haben höheren Anspruch

Bei vielen Jugendlichen hat die Ausbildung ein schlechtes Image. Harte Arbeit, frühes Aufstehen, mäßiger Verdienst – Handwerksberufe wie Koch, Metzger oder Klempner gelten für häufig als unattraktiv. Sehr stressige Branchen wie das Hotel und Gaststättengewerbe mit regelmäßigen Überstunden werden gemieden. Dazu kommt: Viele Schüler haben keine klare Vorstellung vom Beruf, den sie wählen, und merken nach ein paar Wochen, dass es nicht passt. Fast jeder Vierte beendet die Lehre vorzeitig.

Weil die Betriebe so dringend nach Nachwuchs suchen, können sich die Bewerber einen gewissen Anspruch leisten. „Unternehmen sind längst selbst zu Bewerbern geworden“, sagt Beatrice Kramm, Präsidentin der IHK Berlin. Manche Unternehmen bieten Azubis finanzielle Unterstützung beim Führerschein an, helfen bei der Wohnungssuche oder stellen ihnen Mentoren zur Seite.

Hunderttausend offene Stellen

Von Oktober 2015 bis August 2016 haben sich bundesweit 530 000 Bewerber für eine Ausbildung gemeldet. Das waren 3000 weniger als im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen liegt mit 527 000 Stellen über dem Vorjahr. Derzeit haben 98 000 junge Menschen noch keinen Ausbildungsplatz gefunden. Darüber hinaus suchen weitere 54 000 gemeldete Bewerber noch einen Ausbildungsplatz, obwohl sie bereits eine feste Alternative haben, wie zum Beispiel einen weiteren Schulbesuch oder eine Einstiegsqualifizierung. Gleichzeitig sind 131 000 gemeldete Ausbildungsstellen nach wie vor frei. Darunter viele in klassischen Branchen wie dem Verkauf, in Hotel- und Gaststättenberufen, in Bauberufen und im Fleischer oder Bäckerhandwerk – aber auch in Nischenberufen wie der Augenoptik und Hörgeräteakustik.

Auf dem Berliner Ausbildungsmarkt gibt es noch 5166 freie Ausbildungsplätze. Allein im Bereich der IHK-Berufe sind 624 Angebote in der IHK-Lehrstellenbörse unbesetzt. Hinzu kommen 410 Plätze im Brandenburger Umland. Die Top-Drei-Branchen: 81 Angebote gibt es allein für Mechatronikerinnen und Mechatroniker, 46 für Hotelfachfrauen und Hotelfachmänner – und 44 für Bürokauffrauen und -männer.

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