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Wirtschaft: Ausbildung für alle

Für fast jeden Bewerber gibt es in diesem Jahr eine Lehrstelle, verspricht die Wirtschaft. Nur die schlechten Schüler will niemand

Berlin - Industrie und Handwerk erwarten in diesem Jahr eine deutliche Entspannung auf dem Ausbildungsmarkt. Erstmals seit sechs Jahren könne die rechnerische Bilanz bei den Lehrstellen fast ausgeglichen sein, berichtete der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) am Donnerstag in Berlin. „Es gibt ein dickes Plus bei den neuen Ausbildungsverträgen“, sagte Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Auch in der Hauptstadt entspannt sich die Lage.

„2007 wird ein sehr gutes Ausbildungsjahr“, befand Wansleben. Angesichts der guten Konjunktur und der aus demografischen Gründen sinkenden Bewerberzahlen verschärfe sich sogar der Wettbewerb um gute Schulabsolventen. Die rechnerische Lehrstellenlücke, also der Saldo aus unvermittelten Bewerbern und offenen Stellen, werde sich bis zum Beginn des Ausbildungsjahres im September „in Richtung Nulllinie bewegen“. Im vergangenen Jahr hatte die Lücke bei 34 000 unversorgten Bewerbern den Höchststand erreicht. Die Gewerkschaften gehen von einer noch höheren Zahl fehlender Stellen aus.

Auch das Handwerk ist zuversichtlich. „Bei uns sieht es sehr gut aus, die Zahlen sind noch besser als in anderen Wirtschaftszweigen“, sagte Otto Kentzler, Präsident des Handwerksverbands ZDH, dem Tagesspiegel. Bei Industrie, Handel und Dienstleistungen stieg die Zahl neu abgeschlossener Lehrverträge bis Ende Mai um 9,8 Prozent, beim Handwerk waren es sogar 12,7 Prozent. Zusammen lag das Plus bei fast 16 300 Stellen. Die ZDH-Betriebe gelten als wichtigster Ausbilder im Land – hier ist jeder zehnte Beschäftigte ein Lehrling, in der Industrie nur jeder 25. „Wenn der Trend so anhält, kommen wir in diesem Jahr auf rund 190 000 Lehrverträge. Nach Jahren mit Rückgängen bei Beschäftigung und Ausbildung wäre damit wieder das Niveau von 2001 erreicht“, sagte Kentzler. 2006 lag die Zahl der geschlossenen Lehrverträge bei 170 000.

Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) sprach von einem Erfolg für den Ausbildungspakt von Verbänden und Politik. Die Aussichten seien gut, 2007 allen ausbildungswilligen und -fähigen Jugendlichen ein Angebot machen zu können.

In Berlin fällt der Zuwachs etwas geringer aus – bis Ende Mai gab es 7,5 Prozent mehr Verträge. Mehr Angebote machten vor allem Betriebe aus den Branchen IT und Medien, Büro, Handel sowie Dienstleistungen, berichtete Eleonore Bausch von der IHK. Bis Ende September sei noch ein deutlicher Zuwachs zu erwarten. Die Handwerkskammer wollte sich zur aktuellen Entwicklung nicht äußern.

Einer Umfrage des DIHK zufolge fehlen den Unternehmen teilweise schon geeignete Bewerber. Mehr als jede zweite der 10 000 befragten Firmen nannte die mangelnde Ausbildungsreife der Schulabgänger das größte Hemmnis. Als wichtigste Mängel wurden das Ausdrucksvermögen, mangelnde Rechenkenntnisse und eine zu geringe Leistungsbereitschaft genannt. Dieses Jahr gebe einen Vorgeschmack auf die Zukunft, sagte Wansleben. Einerseits werde der Wettbewerb um gute Kandidaten zunehmen, andererseits hätten es schwache Schüler schwer. „Die paradoxe Folge wäre dann: Viele Betriebe finden keinen geeigneten Auszubildenden und viele Jugendliche keinen Ausbildungsplatz“, warnte Wansleben.

Die Gewerkschaften kritisierten die Haltung der Wirtschaft. „Die Strategie des DIHK ist durchsichtig: Erfolge vor der Zeit verkünden, und wer keinen Ausbildungsplatz ergattert, ist eben nicht ‚ausbildungsreif’“, sagte Ingrid Sehrbrock, Vizechefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), dieser Zeitung. Es gehe nicht nur um die rechnerische Lücke, sondern um die Gruppe der sogenannten Altbewerber, die sich schon seit mehreren Jahre bewerbe. Ende September 2006 hätten laut Arbeitsagentur 385 000 Jugendliche zu dieser Gruppe gehört. „Erst wenn diese Jugendlichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt bekommen, dann haben wir allen Grund zum Jubeln“, sagte Sehrbrock.

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