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Ausbildung: Knigge hat Konjunktur

Jährlich weniger Schulabgänger und mehr offen bleibende Lehrstellen: Warum Arbeitgeber zunehmend zu Erziehern werden.

Von Maris Hubschmid

Da ist diese Internetplattform, die jungen Leuten Tipps gibt, wie man sich richtig bewirbt. Von der Erstellung des Lebenslaufs bis hin zum Outfit beim Auswahltag, für alles gibt es Handlungsanleitungen. „Unterlagen mit Schreib- und Grammatikfehlern werden sofort aussortiert“ warnen die Macher in einem Menüpunkt. Ihre Seite heißt „bewerbe-dich.de“. Dass man in Personalerkreisen inzwischen über den falschen Imperativ lacht, hängt vielleicht auch damit zusammen, dass sich kaum noch jemand Perfektionsansprüche leisten kann. „Weil die Nachfrage nach Ausbildungsangeboten sinkt, müssen die Unternehmen Kompromisse eingehen“, heißt es beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK).

Ob es das Reisebüro um die Ecke ist oder die BVG: Von einem Mindest-Notendurchschnitt ist in Ausschreibungen nur noch selten zu lesen. Schlechte Noten in Englisch sollen mit innerbetrieblichen Bildungsangeboten aufgefangen werden. Auch über eine unpassende Antwort im Vorstellungsgespräch oder das ungebügelte Hemd werde eher hinweggesehen als früher.

Damit die Interessen aber langfristig nicht weiter auseinanderlaufen oder es gar zu Ausbildungsabbrüchen kommt, weil die jungen Leute überfordert sind, investieren die Unternehmen neben der Schulung der fachlichen Fähigkeiten verstärkt in die sozialen Kompetenzen ihres Nachwuchses. „Mehr und mehr geraten Arbeitgeber in die Rolle des Erziehers“, sagt Katharina Schumann von der Berliner Handwerkskammer. Was bei der Bundeswehr seit vielen Jahren fester Bestandteil der Ausbildung ist, gewinnt heute in der Wirtschaft an Bedeutung: das Vermitteln von Disziplin und Etikette.

Dabei gehen die Unternehmen unterschiedlich offensiv vor. „Bei uns müssen alle Azubis eine Woche lang ein Hilfsprojekt organisieren“, sagt Dominique Albrecht, Sprecherin bei Daimler. Ein Gruppenausflug in den Klettergarten soll zudem Konzentration und Teamgeist fördern.

Im Seminar „Botschafter im Blaumann“ der Handwerkskammer lernen die Teilnehmer unter anderem, sich die Schuhe an der Fußmatte abzustreifen und die Mütze abzusetzen, wenn sie einen Kunden aufsuchen, erklärt Schumann. „Die Nachfrage vonseiten der Betriebe ist groß.“ Und auch die klassischen Knigge-Kurse haben wieder Konjunktur. Beim Hamburger Jahreszeiten Verlag lernen kaufmännische Auszubildende nicht nur, wann man sich welchen Bestecks bedient, sie bekommen auch eine Typ-Beratung. Blond gefärbte Strähnchen? Wirken schnell billig. Ein Silberkettchen mit dem Namen des Partners am Hals? Signalisiert Abhängigkeit.

Im Süden Deutschlands stellen etliche Unternehmen sogar gezielt Sozialpädagogen ein. Den „normalen“ sozialen Einrichtungen wie Suchtberatungsstellen oder Kitas gehen deshalb die Bewerber aus, ist hier und da zu hören – weil die weniger zahlen können.

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