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Bundestag in Corona-Zeiten:  Außenminister Heiko Maas gibt seine Stimme ab.

© Tobias Schwarz/AFP

Ausnahmeregelung der Schuldenbremse: Wie der Staat die Schulden des Corona-Rettungspakets wieder abbauen will

Der Bund kann seine Corona-Schulden nicht durch neue Kredite refinanzieren, sondern muss sie tilgen. Schon gibt es Streit über den angemessenen Zeitraum.

Der Notfall ist erklärt. Der Bundestag hat am Mittwoch beschlossen, die im Grundgesetz vorgesehene Ausnahmeregelung der Schuldenbremse in Kraft zu setzen. Anders ist der Nachtragsetat nicht zu finanzieren. Insgesamt ist der Haushalt für 2020 um 156 Milliarden Euro gewachsen.

Nach der etwas komplizierten Regelung der Schuldenbremse wird diese Summe allerdings in zwei Komponenten geteilt. Etwa 56 Milliarden Euro an neuen Krediten darf der Bund wegen des erwarteten Einbruchs der Wirtschaft aus Konjunkturgründen aufnehmen. Die Regierung rechnet vorerst mit einem Minus des Bruttoinlandsprodukts von gut fünf Prozent, so viel Spielraum gibt die Schuldenbremse also in diesem Fall. Knapp 100 Milliarden Euro aber müssen aufgrund der Ausnahmeregel im Artikel 115 der Verfassung aufgenommen werden.

Notkredite wegen Corona-Krise

Die Notkredite sind möglich in außergewöhnlichen Situationen, „die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“ – so die Formulierung in der Verfassung. Doch es gibt eine Bedingung: Der Bundestag muss einen Tilgungsplan beschließen. Am Mittwoch stimmte das Parlament zu, diese 100 Milliarden Euro von 2023 an binnen 20 Jahren zurückzuzahlen.

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Es ist eine historische Entscheidung, denn üblicherweise tilgt der Bund seine Schulden nicht, sondern löst sie immer wieder durch neue Kredite ab. Nun müssen bis 2042 in jedem Etat fünf Milliarden Euro (Zinsen dürften vorerst nicht anfallen) zur Tilgung eingestellt werden.

Das kann noch zu Streit führen - der sich am Mittwoch im Haushaltsausschuss auch schon andeutete. Denn das Grundgesetz verlangt, dass die Rückführung der Notkredite „binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen“ habe. Was aber ist angemessen? Die Koalition entschied sich für 20 Jahre. „Um unserer Verantwortung für folgende Generationen gerecht zu werden, haben wir vereinbart, die neuen Schulden in einem sehr überschaubaren Zeitkorridor zu tilgen“, sagt der SPD-Haushaltspolitiker Johannes Kahrs.

FDP versus Grüne und Linke

Grüne und Linke sehen das eher skeptisch. Die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch meint, es wäre vernünftiger, den Zeitraum auf 50 Jahre zu strecken. Das hat auch ihr Grünen-Kollege Sven-Christian Kindler vorgeschlagen. In seiner Fraktion fürchtet man, dass ein zu kurzfristig bemessener Tilgungsplan Mittel bindet, die man in den kommenden Jahren für größer angelegte Investitionsprogramme brauchen könnte. Der Tilgungszeitraum lässt sich jederzeit per Gesetz noch ändern.

Es gibt auch schon ein aktuelles Vorbild. Die schwarzgelbe Regierung in Nordrhein-Westfalen will die Tilgung von 25 Milliarden Euro an Krediten im Nachtragsetat des Landes über fünf Jahrzehnte dehnen.

Die FDP im Bundestag dagegen möchte eine möglichst schnelle Rückzahlung sicherstellen. „Wir haben gefordert, dass der Tilgungsplan ein eigenes Gesetz wird, denn er muss auch für die nächsten Bundesregierungen bindend sein“, sagte der FDP-Haushälter Otto Fricke dem Tagesspiegel. „Schon einmal hat ein SPD-Finanzminister in der Finanzkrise 2009 den Bürgern versprochen, dass die Schulden für das Konjunkturpaket II in guten Zeiten wieder zurückgezahlt werden. Aber diese rund 20 Milliarden Schulden belasten uns bis heute.“

"Spielräume für künftige Generationen"

Gemeint ist Peer Steinbrück, allerdings galt damals die Schuldenregel im Grundgesetz noch nicht. „Diese Schulden müssen in guten Zeiten auch wieder zügig und vollständig getilgt werden, damit wir uns Spielräume für die Zukunft erhalten“, fordert Fricke. „Auch zukünftige Generationen müssen in Krisen die Spielräume haben, die wir jetzt nutzen.“ Künftige Überschüsse sollten daher in jedem Fall in die Tilgung fließen. Stattdessen lasse sich die Koalition weiterhin die Möglichkeit offen, diese in eine Rücklage fließen zu lassen.

FDP-Fraktionsvize Christian Dürr betont, es sei das erste Mal, dass die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse greife. Er meint daher, eine rechtswissenschaftliche Prüfung könne sinnvoll sein, "um zu ermitteln, ob dieser Tilgungsplan den Anforderungen des Grundgesetzes genügt”.

Sechs Wahlperioden gebunden?

Kritisch sieht den Bundestagsbeschluss auch der Verfassungsjurist Hans-Günter Henneke, der als Hauptgeschäftsführer des Landkreistages einem Gremium angehört, das die Einhaltung der Schuldenbremse mitkontrollieren soll – dem Beirat des Stabilitätsrates, in dem die Finanzminister von Bund und Ländern sitzen.

Henneke hält es angesichts der Situation zwar für nachvollziehbar, dass die Tilgung erst 2023 beginnt. „Zu hinterfragen ist allerdings, ob eine Tilgungsstreckung auf 20 Jahre, die damit die Handlungsmöglichkeiten künftiger Haushaltsgesetzgeber für sechs Legislaturperioden bindet, sachgerecht erscheint“, sagte er dem Tagesspiegel. Nach der Intention der Schuldenregel im Grundgesetz müssten die Notkredite „möglichst zeitnah zurückgeführt werden, um keinerlei Anreiz für eine extensive Auslegung der Ausnahmeregelung zu schaffen“.

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