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Wirtschaft: Ausschau nach dem Nebenjob

Zeitung austragen oder Regale auffüllen – immer mehr Rentner müssen etwas dazu verdienen.

Zwei Wochen im Monat parkt vor Rolf Mezians Haus ein Kleinbus. Mezian ist 71 Jahre alt, seit sechs Jahren arbeitet er als Busfahrer in Sachsen-Anhalt. Im Altmarkkreis Salzwedel gibt es kaum regulären Busverkehr: Fahrgäste, die mit dem Bus fahren wollen, können bei einer Hotline anrufen und einen den Rufbus bestellen. Zuhause bei Mezian klingelt dann das Diensthandy.

Rolf Mezian sagt: „Ich habe Spaß an der Arbeit und sie hält mich fit.“ Den Kleinbus teilt er sich mit einem anderen Rentner, die beiden wechseln sich wöchentlich ab. Vorne, neben dem Fahrersitz, hat Mezian ein Ticket-Automat, wie die Fahrer der großen Busse auch. Vier bis fünf Stunden fährt er am Tag: Kinder in die Schule, ältere Menschen zum Supermarkt, zum Friseur, zum Arzt oder zur Bank, am Wochenende auch mal Jugendliche in den nächsten Club.

Immer mehr Rentner in Deutschland arbeiten, obwohl sie eigentlich schon im Ruhestand sind. Sie füllen Regale auf, putzen, tragen Prospekte aus und vieles mehr. 761 000 der über 65-Jährigen sind Mini-Jobber, das sind 60 Prozent mehr als im Jahr 2000. 120 000 von ihnen sind 75 Jahre und älter. Diese Zahlen gehen aus einer Antwort der Bundesregierung auf Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion hervor. In Brandenburg gab es rund 14 000 geringfügig entlohnte Beschäftigte zwischen 65 und 74 Jahren, etwa 2100 waren älter als 74 Jahre. In Berlin waren nach Angaben der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen im Dezember 2011 rund 20 300 Menschen über 65 Jahren geringfügig beschäftigt.

Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK, hält die Zahlen für alarmierend. „Diese Menschen versuchen auch im fortgeschritteneren Alter aufzuhalten, was für viele nicht aufzuhalten ist: die Altersarmut“, sagte Mascher. „Denn wer in diesem Alter arbeiten geht, tut dies sicherlich selten aus Gründen der Selbstverwirklichung. Zeitungen austragen, Supermarktregale auffüllen oder nachts als Pförtner arbeiten – das sind keine Jobs, die man macht, weil man so gerne arbeitet, das sind belastende Knochenjobs.“ Für den Trend macht der VdK die Rentenentwicklung der letzten Jahre verantwortlich.

Die durchschnittlichen Rentenzahlbeträge bei den Neurentnern gehen zurück. Die Erwerbsminderungsrenten liegen bereits auf Grundsicherungsniveau. 985 Euro beträgt der durchschnittliche Rentenzahlbetrag für Männer, bundesweit. Frauen erhalten weit weniger, im Schnitt 490 Euro im Monat. Altersarmut betrifft häufiger Frauen als Männer. 400 000 Rentnerinnen und Rentner sind auf Sozialhilfeleistungen angewiesen, weil ihre Rente unterhalb der Grundsicherung liegt. „Nach seriösen Schätzungen liegt die verborgene Armut um mindestens ein Doppeltes höher“, sagt Mascher. Seit 2004 gab es vier Nullrunden und drei Anpassungen von gerade mal 0,5 beziehungsweise. einem Prozent, Rentner haben einen Kaufkraftverlust von neun Prozent.

Auch Busfahrer Rolf Mezian könnte einen Antrag auf Beihilfe stellen, aber er geht lieber auf 400 Euro-Basis arbeiten. Mezian hat Agrarwissenschaften studiert, zu DDR-Zeiten hat er als Leiter einer Brigade in der Pflanzenproduktion gearbeitet, nach der Wende war er zehn Jahre lang selbstständig. Seine Kinder sagen oft zu ihm: „Übernimm dich nicht!“ Eigentlich wäre für Mezian mit 70 Schluss gewesen, aber sein Chef war so zufrieden mit ihm, dass er ihn weiter fahren lässt. Regelmäßig muss Mezian Untersuchungen zu Fitness und Reaktionsvermögen machen. Der Rentner ist dankbar, dass ihn sein Chef weiter engagiert. Denn er will arbeiten. Das Geld ist ein Grund. Das Gefühl, gebraucht zu werden, der vielleicht viel wichtigere.

Irmtraud Schmied geht es ähnlich. Die 68-Jährige arbeitet bei Dallmayr in München, zwei Tage in der Woche steht sie in blauer Bluse und mit weißer Schürze hinter der Käsetheke. „Die ältere Kundschaft freut sich, wenn sie bekannte Gesichter sehen“, sagt Schmied. Oft erzählen ihr die Kunden dann, dass sie demnächst in den Urlaub fahren oder ins Krankenhaus müssen. Seit 22 Jahren arbeitet Schmied bei Dallmayr. In all den Jahren sind die Kollegen so etwas wie eine Familie für sie geworden. Wie viel sie bei Dallmayr verdient, möchte Schmied nicht sagen, nur soviel: „Mit der Arbeit kann ich mir in München mehr leisten.“ Die Stadt zählt zu den teuersten in Deutschland, weit mehr als die Hälfte von Schmieds Einkommen geht für die Miete ab.

Schmied hat Friseurin gelernt und später einen Bioladen geleitet. Da sie drei Kinder groß gezogen hat, konnte sie viele Jahre lang nicht arbeiten. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hat sie für die Rente vorgesorgt. Schmied schätzt, dass etwa die Hälfte ihrer älteren Bekannten nebenbei arbeitet. „Die meisten, die nicht arbeiten, haben noch einen Partner.“ Irmtraud Schmied ist seit 16 Jahren alleinstehend.

Die Unternehmen profitieren von den Rentnern. Im Juli machte der Hamburger Handels- und Dienstleistungskonzern Otto Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass ehemalige ältere Angestellte zurückgeholt werden. Grund ist der demografische Wandel und der daraus resultierende Fachkräftemangel: Rentner und Pensionäre sollen Engpässe im Arbeitsprozess schließen. Und auch die Gesellschaft profitiert. Bundesweit haben sich etwa viele Rentner für den Bundesfreiwilligendienst gemeldet, rund 1400 der insgesamt 27 000 Freiwilligen sind älter als 50. Zwischen 160 und 230 Euro können sie sich so dazuverdienen, je nach Stundenzahl.

Trotz der positiven Beispiele von Busfahrer Rolf Mezian und Dallmayr-Verkäuferin Irmtraud Schmied: Die Mehrheit arbeitet gewiss auch wegen des Geldes. Wie hoch ihre Rente ist, möchten die meisten nicht sagen. Betroffene schämen sich, zuzugeben, dass ihre Rente nicht reicht. Dass sie arm sind, obwohl sie so viele Jahre lang gearbeitet haben. Wie viel sie konkret dazu verdienen, oder wie wenig, darüber möchten sie nicht sprechen.

Glaubt man den Berechnungen des Arbeitsministeriums, werden Rentner auch in Zukunft weiter arbeiten. Menschen, die 40 Jahre lang gearbeitet und weniger als 2500 Euro brutto im Monat verdient haben, könnten 2030 eine Rente von 680 Euro erwarten. Sie müssten dann „mit dem Tag des Renteneintritts den Gang zum Sozialamt antreten“, warnte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zufolge arbeitet heute bereits jeder fünfte Arbeitnehmer für einen Niedriglohn.

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